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Das Parlament
Nr. 47 / 15.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Klaus-J. Haller

Gefährliche "Urlaubsstimmung"

Front gegen europäischen Antiamerikanismus

Matthias Rüb macht in seinem Buch Front gegen den massiven Antiamerikanismus in Europa, gegen die moralisierende Überheblichkeit und die Auffassung, dass Washingtons Aktionen die größte Gefahr für den Weltfrieden darstellten und nicht etwa gefährliche Regime, der Zugang zu Massenvernichtungsmitteln und ein weltweit operierender islamistischer Terror.

Rüb folgt der Einschätzung Robert Kagans, dass der Fall der Mauer Europa in eine "geostrategische Urlaubsstimmung" versetzt hat. Allein die Vereinigten Staaten garantierten die globale Stabilität und geben dafür derzeit täglich über 1,2 Milliarden Dollar aus. Eine abschließende Beurteilung des Irakkrieges hält Rüb noch nicht für möglich. Das sollte dann auch für seine These gelten, dass Washington aus dem Streit mit dem Sicherheitsrat als "Gewinner" hervorgegangen sei. Ohne die Vereinten Nationen wird im Irak nichts laufen.

Den Kriegsgegnern hält Rüb entgegen, dass sie gemeinsam mit den Vereinigten Staaten Saddam Hussein hätten zum Rücktritt zwingen können, wenn es ihnen mehr um die Menschen und weniger um die globale Kräfteverteilung gegangen wäre. Warum der militärische Einsatz auf dem Balkan und nicht im Irak? Das Massaker im bosnischen Srebrenica erschütterte den Paradepazifismus der Friedensbewegung. Im Irak hingegen wurden wahrscheinlich 300.000 Menschen in Massengräbern verscharrt. Allein in Mahawil doppelt so viele wie in Srebrenica, wie der ehemalige Balkankorrespondent Rüb zu bedenken gibt.

Europakenner wie Robert Kagan und Walter Russel Mead haben auf die unterschiedlichen Lektionen verwiesen, die das 20. Jahrhundert Europäern und Amerikanern erteilt habe; nur wollten Europäer nicht erkennen, dass die Regeln ihres blutig erkämpften Paradieses der Friedfertigkeit in anderen Teilen der Welt nicht anwendbar seien.

Rüb folgt dieser Einschätzung. Amerika befinde sich seit dem 11. September 2001 im Krieg gegen den globalen Terror, während Europa im "kategorischen Konjunktiv" verharre. Im Solana-Entwurf von 2003 für eine Europäische Sicherheitsstrategie heißt es eher sibyllinisch, die neuen terroristischen Bewegungen schienen "gewillt, unbegrenzte Gewalt anzuwenden und eine sehr große Zahl von Menschen zu töten".

Nicht nur die Republikaner halten in Washington am Prinzip eines notfalls unilateralen amerikanischen Militäreinsatzes fest. Im Wahlkampf bekräftigte Kerry immer wieder, dass er nicht daran denke, einem Staat oder einer internationalen Organisation in Fragen der nationalen Sicherheit ein Vetorecht einzuräumen. Gravierende Auffassungsunterschiede zwischen Europa und Amerika sind nicht neu; wüste Unterstellungen auch nicht, wie man in Arnulf Barings Polemik gegen den "neuen deutschen Größenwahn" nachlesen könne. Neu ist die Versuchung, Europas fragile Identität im direkten Widerspruch zu Amerika zu definieren.

Der Autor ist erst seit zwei Jahren Korrespondent der FAZ in Washington; dafür erfährt der Leser erstaunlich viel über die ungebrochene Religiosität und den selbstbewussten Patriotismus, auch und gerade der Neuamerikaner. Auch der idealistische Schwung und das amerikanische Sendungsbewusstsein haben Tradition. So setzte sich der Realpolitiker Henry Kissinger mehrfach mit dem "Wilsonianismus" auseinander, jenem rigorosen Idealismus, der sich in globaler Reformbegeisterung bis nach Vietnam verlor.

In Ronald Reagan sah Kissinger die späte Rache Vietnams; nicht zufällig werden George W. Bush und Reagan oft in einem Atemzug genannt. Der Frage nach Bushs politischen Fehlern weicht Rüb aus, sieht man von dem zustimmend zitierten Bonmot ab, dass für jemanden mit einem Hammer die meisten Probleme die Gestalt eines Nagels annehmen.

Matthias Rüb

Der atlantische Graben.

Amerika und Europa auf getrennten Wegen.

Zsolnay Verlag, Wien, 2004; 220 S., 17,90 Euro

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