Klaus-J. Haller
Gefährliche "Urlaubsstimmung"
Front gegen europäischen
Antiamerikanismus
Matthias Rüb macht in seinem Buch Front gegen den massiven
Antiamerikanismus in Europa, gegen die moralisierende
Überheblichkeit und die Auffassung, dass Washingtons Aktionen
die größte Gefahr für den Weltfrieden darstellten
und nicht etwa gefährliche Regime, der Zugang zu
Massenvernichtungsmitteln und ein weltweit operierender
islamistischer Terror.
Rüb folgt der Einschätzung Robert Kagans, dass der
Fall der Mauer Europa in eine "geostrategische Urlaubsstimmung"
versetzt hat. Allein die Vereinigten Staaten garantierten die
globale Stabilität und geben dafür derzeit täglich
über 1,2 Milliarden Dollar aus. Eine abschließende
Beurteilung des Irakkrieges hält Rüb noch nicht für
möglich. Das sollte dann auch für seine These gelten,
dass Washington aus dem Streit mit dem Sicherheitsrat als
"Gewinner" hervorgegangen sei. Ohne die Vereinten Nationen wird im
Irak nichts laufen.
Den Kriegsgegnern hält Rüb entgegen, dass sie
gemeinsam mit den Vereinigten Staaten Saddam Hussein hätten
zum Rücktritt zwingen können, wenn es ihnen mehr um die
Menschen und weniger um die globale Kräfteverteilung gegangen
wäre. Warum der militärische Einsatz auf dem Balkan und
nicht im Irak? Das Massaker im bosnischen Srebrenica
erschütterte den Paradepazifismus der Friedensbewegung. Im
Irak hingegen wurden wahrscheinlich 300.000 Menschen in
Massengräbern verscharrt. Allein in Mahawil doppelt so viele
wie in Srebrenica, wie der ehemalige Balkankorrespondent Rüb
zu bedenken gibt.
Europakenner wie Robert Kagan und Walter Russel Mead haben auf
die unterschiedlichen Lektionen verwiesen, die das 20. Jahrhundert
Europäern und Amerikanern erteilt habe; nur wollten
Europäer nicht erkennen, dass die Regeln ihres blutig
erkämpften Paradieses der Friedfertigkeit in anderen Teilen
der Welt nicht anwendbar seien.
Rüb folgt dieser Einschätzung. Amerika befinde sich
seit dem 11. September 2001 im Krieg gegen den globalen Terror,
während Europa im "kategorischen Konjunktiv" verharre. Im
Solana-Entwurf von 2003 für eine Europäische
Sicherheitsstrategie heißt es eher sibyllinisch, die neuen
terroristischen Bewegungen schienen "gewillt, unbegrenzte Gewalt
anzuwenden und eine sehr große Zahl von Menschen zu
töten".
Nicht nur die Republikaner halten in Washington am Prinzip eines
notfalls unilateralen amerikanischen Militäreinsatzes fest. Im
Wahlkampf bekräftigte Kerry immer wieder, dass er nicht daran
denke, einem Staat oder einer internationalen Organisation in
Fragen der nationalen Sicherheit ein Vetorecht einzuräumen.
Gravierende Auffassungsunterschiede zwischen Europa und Amerika
sind nicht neu; wüste Unterstellungen auch nicht, wie man in
Arnulf Barings Polemik gegen den "neuen deutschen
Größenwahn" nachlesen könne. Neu ist die Versuchung,
Europas fragile Identität im direkten Widerspruch zu Amerika
zu definieren.
Der Autor ist erst seit zwei Jahren Korrespondent der FAZ in
Washington; dafür erfährt der Leser erstaunlich viel
über die ungebrochene Religiosität und den
selbstbewussten Patriotismus, auch und gerade der Neuamerikaner.
Auch der idealistische Schwung und das amerikanische
Sendungsbewusstsein haben Tradition. So setzte sich der
Realpolitiker Henry Kissinger mehrfach mit dem "Wilsonianismus"
auseinander, jenem rigorosen Idealismus, der sich in globaler
Reformbegeisterung bis nach Vietnam verlor.
In Ronald Reagan sah Kissinger die späte Rache Vietnams;
nicht zufällig werden George W. Bush und Reagan oft in einem
Atemzug genannt. Der Frage nach Bushs politischen Fehlern weicht
Rüb aus, sieht man von dem zustimmend zitierten Bonmot ab,
dass für jemanden mit einem Hammer die meisten Probleme die
Gestalt eines Nagels annehmen.
Matthias Rüb
Der atlantische Graben.
Amerika und Europa auf getrennten Wegen.
Zsolnay Verlag, Wien, 2004; 220 S., 17,90 Euro
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