Eberhard von Lochner
Freundschaft in mörderischer Zeit
Briefwechsel zwischen Alfred Schütz und
Eric Voegelin
Was für ein fesselndes Buch für alle Zeitgenossen, die
verstehen wollen, was Politik und Philosophie miteinander zu tun
haben! Alfred Schütz (1899 - 1959) und Eric Voegelin (1901 -
1985), zwei herausragende Gestalten europäischer Gelehrsamkeit
im 20. Jahrhundert, sind dem deutschen Publikum zu wenig bekannt.
Umso verdienstvoller ist die Edition des Briefwechsels zwischen
diesen interessanten Persönlichkeiten.
"Eine Freundschaft, die ein Leben ausgehalten hat" lautet der
Titel des Buches - ein Zitat Voegelins aus dem Jahre 1958. Er
lässt bereits den Grundton des Dialogs über mehr als 20
Jahre anklingen: Freundschaft zwischen zwei Sozialwissenschaftlern
angesichts von Verfolgung und Emigration und schwierigem Neubeginn
in den USA.
Der Briefwechsel beginnt 1938. Schütz und Voegelin sind von
den Nationalsozialisten aus ihrer Wiener Lebens- und Geisteswelt
vertrieben worden und vergewissern sich sozusagen, dass sie noch am
Leben sind (Schütz 1945: "Meine weitere Familie … ist
vollständig ausgerottet").
Schütz, der als Bankangestellter nicht mit der gleichen
Intensität wie Voegelin seine philosophischen und
soziologischen Interessen verfolgen konnte, hatte im Anschluss an
Max Weber und Edmund Husserl versucht, die Lebenswelt des Menschen
mit seinen alltäglichen Problemen zu durchdenken und so den
"sinnhaften Aufbau der sozialen Welt" (so der Titel seines ersten
Buches) zu ergründen.
Voegelin hatte eine glänzende Karriere an der Wiener
Universität begonnen, die politisch relevant wurde, als er
sich mit der Rassenideologie der Nazis und dem autoritären
Staat Österreich auseinander setzte. Weil er in der Politik
der österreichischen Kanzler Dollfuß und Schuschnigg den
Versuch sah, das größere Übel des
Nationalsozialismus abzuwenden (wie übrigens auch Sigmund
Freud und Karl Kraus), musste er in den ersten Wochen nach dem
Einmarsch deutscher Truppen mit seiner Verhaftung rechnen. Die
abenteuerliche Flucht in die Schweiz glückte, und Voegelin
konnte sich in den USA eine neue wissenschaftliche Existenz
aufbauen.
Räumlich getrennt (Schütz lebte in New York, weiter
als Bankmanager beschäftigt und sich langsam in einen
erlesenen Kreis von Sozialwissenschaftlern integrierend - Voegelin
lehrte in Baton Rouge/Louisiana), blieben sie in engem brieflichen
Kontakt. Ihre Lebensumstände, das Schicksal von Bekannten und
Freunden nebst Kommentaren zu Kultur und Politik während und
nach dem Zweiten Weltkrieg geben den Briefen die Atmosphäre
des biographisch Interessanten. Keineswegs marginal sind dabei die
Analysen politischen Wahnsinns (Hiroshima).
Schwerpunkt des Austausches ist aber immer der jeweilige
Fortschritt dessen, woran man gerade schreibt. Voegelin tritt hier
mit seinem in Deutschland erst jetzt, nach fast 50 Jahren,
übersetzten Hauptwerk "Order and History" und der "Neuen
Wissenschaft der Politik" in den Vordergrund. Nach dem Leitartikel
über dieses Buch im "Time"-Magazin (1953) steht Voegelin im
Zenit seines Ruhms in Amerika. Auf seiner Europa-Reise 1950 war er,
um seine Forschungen zur politischen Gnosis auszubauen, mit
Spitzenpersönlichkeiten der damaligen Geisteswissenschaften
zusammengetroffen - mit Karl Jaspers, Urs von Balthasar, Alois
Dempf.
Zweifel über das richtige geistige Milieu
Als Voegelin den Ruf an den neu gegründeten Lehrstuhl
für Politische Wissenschaft der Münchner Universität
erhielt, hatte Alfred Schütz Zweifel, ob dort das richtige
geistige Milieu für den überaus anspruchsvollen und
selbstbewussten Freund vorhanden sei. Er sollte in gewissem Sinne
Recht behalten - Voegelin konnte seinem Werk dort nicht den Platz
verschaffen, der ihm gebührte. Als Schütz völlig
überarbeitet und schwer krank mit nur 60 Jahren starb, setzte
Voegelin in seinem Buch "Anamnesis" dem Freund ein anrührendes
Denkmal: "Einer der feinsten philosophischen Köpfe unserer
Zeit ist noch immer der stille Partner meines Denkens."
Dem Vorwort der Herausgeber ist zuzustimmen, dass dieser
Briefwechsel nicht nur Wesentliches zum Verständnis der
Lebens- und Arbeitswelt der emigrierten Intellektuellen
beiträgt, sondern auch aufmerksam macht auf zwei Klassiker des
Nachdenkens über Ethik und Politik.
Alfred Schütz, Eric Voegelin
Eine Freundschaft, die ein Leben ausgehalten hat. Briefwechsel
1938 - 1959.
Herausgegeben von Gerhard Wagner und Gilbert Weise.
UVK-Verlag, Konstanz 2004;
610 S., 98,- Euro
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