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Astrid Pawassar
Milbradt erst im zweiten Wahlgang im Amt
bestätigt
Sachsen: CDU/SPD-Koalition blamiert
sich
Wie nachhaltig die politische Ordnung im
Freistaat Sachsen durcheinander geraten ist, zeigte sich bei der
mit Spannung erwarteten Wahl des Ministerpräsidenten. Georg
Milbradt (CDU) erhielt im ersten Wahlgang nicht die erforderliche
Mehrheit. Alle vorangegangenen Appelle an die Geschlossenheit der
Koalitionsfraktionen von CDU und SPD hatten ihr Ziel verfehlt:
Fünf Abgeordnete verweigerten auch im folgenden zweiten
Wahlgang dem Ministerpräsidenten die Gefolgschaft. Der
Gegenkandidat der NPD erhielt beide Male vierzehn Stimmen, also
zwei mehr, als die Partei Sitze im Landtag hat.
Aschfahl nahm der glücklose
Regierungschef die Abstimmungsergebnisse zur Kenntnis. Obwohl die
Landtagssitzung nach dem unerwarteten Ausgang der ersten Wahlrunde
für eine Stunde unterbrochen war, hatte sich an der
Stimmenverteilung nichts geändert: Von den 67 möglichen
Stimmen der Regierungskoalition aus CDU und SPD - eine Abgeordnete
war erkrankt - entfielen wiederum nur 62 auf den Kandidaten
Milbradt. "Wir waren es nicht", hieß es gleich aus der
SPD-Fraktion; ihr Vorsitzender, Wirtschaftsminister Thomas Jurk,
hatte vor der Landtagssitzung via Presse verkündet: "Alle 13
Abgeordneten werden die Koalition stützen."
Aber auch Fritz Hähle, der altgediente
Chef der CDU-Fraktion, hatte auf Geschlossenheit gehofft. Georg
Milbradt müsse im ersten Wahlgang gewählt werden, alles
andere sei blamabel. Offenbar haben fünf Abgeordnete genau
diese Blamage gewollt. Ob es sich dabei allein um frustrierte
Christdemokraten handelt, ist kaum zu ergründen. Zwar hatte es
im Vorfeld zum Teil heftige Kritik an Milbradts Entscheidung
gegeben, ausgerechnet die beiden öffentlichkeitswirksamen und
zukunftsträchtigen Ressorts Wirtschaft und Wissenschaft an die
SPD abzugeben. Namentlich der bisherige Wissenschaftsminister
Matthias Rößler war während einer Fraktionssitzung
sehr deutlich geworden. Auch auf dem Sonderparteitag der CDU am
vorvergangenen Wochenende wurde vernehmlich gemurrt. Allerdings
hielt sich die offen geäußerte Kritik in Grenzen. Dabei
ging es mehr um die Aufarbeitung der verheerenden Stimmenverluste
bei der Landtagswahl und die notwendige Neuorientierung der CDU im
Lande.
Als der Parteitag mit nur sechs Gegenstimmen
und sieben Enthaltungen die Koalitionsvereinbarung abgenommen
hatte, schien die Wahl des Ministerpräsidenten gesichert. Eine
Ohrfeige ja, auch die Möglichkeit, dass es im ersten Anlauf
nicht klappen würde, stand durchaus im Raum. Aber das planvoll
in Szene gesetzte Signal an die Regierungskoalition, dass ihre
Mehrheit im Landtag von Anfang an brüchig ist, hatte niemand
erwartet. Dabei ist es durchaus möglich, dass auch in der
SPD-Fraktion nicht alle Abgeordneten zum
CDU-Ministerpräsidenten stehen wollten. Immerhin hatte Georg
Milbradt den Unmut in seiner eigenen Partei mit dem Hinweis zu
dämpfen versucht, er werde dem kleinen Koalitionspartner keine
Gelegenheit geben, sich in der Regierung zu profilieren. Genau
darauf ist die SPD aber angewiesen, nachdem sie es vierzehn Jahre
lang nicht geschafft hat, in der Bevölkerung als
ernstzunehmende Alternative zur CDU wahrgenommen zu werden. Beim
SPD-Parteitag hatte einzig der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass
lediglich die Wahlarithmetik - sprich fehlende Alternativen - die
9,8-Prozent-Partei in die Landesregierung befördert
hat.
Bei jener denkwürdigen Sitzung des
Sächsischen Landtages am 10. November haben sich allerdings
nicht nur Georg Milbradt und die neue Regierungskoalition blamiert.
Zwei Abgeordnete, die sich zum Lager der demokratischen Parteien
zählen, haben den Ministerpräsidentenkandidaten der NPD
gewählt. FDP-Fraktionschef Holger Zastrow fand das nur
"peinlich", andere Abgeordnete äußerten sich besorgt. Der
Vorgang werfe einen Schatten auf das gesamte Parlament, meinte
Peter Porsch (PDS), "alarmierend" nannte Thomas Jurk (SPD) den
Vorgang und die Grünen-Chefin Antje Hermenau sorgte sich um
den Ruf des Freistaates.
Das Rätselraten um die Motive jener
beiden Abgeordneten bestimmte die Gespräche auf den
Gängen des Landtages. Sollte es bei der CDU tatsächlich
Abgeordnete geben, die in ihrer Wut auf den Vorsitzenden und
Ministerpräsidenten völlig schamlos geworden sind? Oder
muss man die Täter am anderen Ende des politischen Spektrums
suchen, bei der PDS, wo sich vielleicht noch nicht einmal nur
junge, unerfahrene Parlamentarier in der Rolle des Provokateurs
gefallen könnten? Die zuvor stets beschworene Einheit der
Demokraten im Sächsischen Landtag erscheint ebenso
brüchig wie die Mehrheit für die
Regierungskoalition.
Als hätte es noch weiterer Beweise
für parlamentarische Verirrungen bedurft, leistete sich der
Landtag, entfacht von der PDS, noch eine Diskussion über die
Stimmzettel für die Ministerpräsidentenwahl. Sich - wie
bei Abstimmungen üblich - zwischen den benannten Kandidaten zu
entscheiden oder gar kein Kreuz zu machen, reichte den Sozialisten
nicht. Sie wollten zusätzlich eine "Nein"-Rubrik. FDP und
Grüne stießen ins gleiche Horn, wobei die
Bündnisgrünen darauf verwiesen, sie hätten aus
Protest gegen beide Kandidaten ihre Wahlzettel ungültig
gemacht. Die Zahl der ungültig abgegebenen Stimmen schnellte
daraufhin beim zweiten Wahlgang auf 37 hoch und die PDS
kündigte an, eine Anfechtung der Ministerpräsidentenwahl
in Erwägung zu ziehen.
Bestgehütetes Geheimnis
Nach dem Abstimmungsdebakel im Landtag hatte
Georg Milbradt noch einen Moment überlegt, ob er die Wahl
überhaupt annehmen sollte. Doch dann stellt er sich der
Herausforderung mit den Worten: "Uns stehen schwierige Jahre bevor.
Ich bitte das Hohe Haus, mit der neuen Regierung kollegial
zusammenzuarbeiten." Seine Kabinettsliste war über Wochen das
bestgehütete Geheimnis im Freistaat. Allein die SPD ließ
durchsickern, dass ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Thomas
Jurk das Wirtschaftsressort und die Chemnitzer
Kulturbürgermeisterin Barbara Ludwig das Amt des
Wissenschaftsministers übernehmen würden. Über den
christdemokratischen Anteil am Personaltableau war hingegen so
lange spekuliert worden, dass letztlich nur zwei Berufungen
überraschen konnten: CDU-Generalsekretär Hermann Winkler,
der wohl engste Vertraute Milbradts, wird Chef der Staatskanzlei im
Ministerrang. Für Thomas de Maizière, der als neuer
Innenminister mehr Gewicht im Kabinett haben wird, rückt sein
ehemaliger Staatssekretär Geert Mackenroth auf den Platz des
Justizministers. Sozialministerin Helma Orosz und Finanzminister
Horst Metz behalten ihre Ämter. Der bisherige Umweltminister
Steffen Flath wechselt an die Spitze des Kultusministeriums.
Für Umwelt und Landwirtschaft ist nun der frühere Chef
der Staatskanzlei, Stanislaw Tillich, zuständig. Aus dieser
Ministerriege lässt sich nicht nur der Wille zu weitgehender
Kontinuität der Regierungspolitik in Sachsen ablesen. Steffen
Flath und Thomas de Maizière sind schon zum Ende der
Biedenkopf-Ära als kommende
Ministerpräsidenten-Kandidaten gehandelt worden. Sie haben nun
die Gelegenheit, in zwei für die CDU besonders wichtigen
Schlüsselressorts ihr Profil zu schärfen.
Kontinuität verspricht auch die
Vereinbarung der ersten Koalitionsregierung in Sachsen zur
Regierungspolitik. Viel soll sich nicht ändern am Kurs der
soliden Haushälter. Etwaige Blütenträume der
Sozialdemokraten über ihre Gestaltungsmöglichkeiten
scheiterten schnell an der Erkenntnis, dass sich
möglicherweise mehr als 9,8 Prozent der Wähler für
die Sozialdemokraten entschieden hätten, wäre es ihnen um
eine völlig neue Politik im Freistaat gegangen. Der enorme
Verlust von fast 16 Stimmenprozenten und damit der absoluten
Mehrheit war für die erfolgsverwöhnten Christdemokraten
zwar außerordentlich schmerzlich, aber immerhin hat mit gut 41
Prozent der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung die
CDU als führende Regierungspartei gewollt. Das sollte sich
auch in der Koalitionsvereinbarung spiegeln, die weder einen neuen
Ressortzuschnitt des Kabinetts vorsieht noch umstürzende
Änderungen in der Schul- und Hochschulpolitik, wie von den
Sozialdemokraten im Wahlkampf gefordert. Es bleibt beim
gegliederten Schulsys-tem mit der Option auf einige Versuche mit so
genannten Gemeinschaftsschulen. Auch der mühsam errungene
Hochschulkonsens wird nicht aufgebrochen; die beschlossenen
Fakultätsschließungen und personellen Einsparungen
bleiben bestehen. Dafür gibt es mehr Geld für die
Kindertagesstätten, auch um die Vorbereitung auf die Schulzeit
zu intensivieren, 800 zusätzliche Grundschullehrer, mehr
Ganztagsangebote an Schulen und Finanzspritzen für
Bibliotheken und studentische Hilfskräfte. In der
Wirtschaftsförderung wird der von der CDU angedachte
Wachstumsfonds für mittelständische Betriebe mit einem
Volumen von 30 Millionen Euro aufgelegt, sollen
Existenzgründungen durch Bürgschaften und Beteiligungen
des Freistaates unterstützt werden. Neu ist ein
zusätzliches Förderprogramm "Regionales Wachstum", das in
den kommenden zwei Jahren 20 Millionen Euro für
erfolgversprechende Initiativen in strukturschwachen Regionen
vorsieht. Koalitionen haben ihren Preis, diesen Hinweis von
Ministerpräsident Milbradt dürfen die Sachsen durchaus
wörtlich nehmen. Denn durch die finanziellen
Zugeständnisse an die SPD wird sich der Abbau der
Staatsschulden verlangsamen - eine Kröte, die Sparkommissar
Milbradt geschluckt hat ohne zu ahnen, wie viele giftigere
Kröten ihm noch bevorstehen.
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