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Jeanette Goddar
Eine Revolution in Bildung anzetteln
Vbw-Studie legt Finanzierung vor
Bescheiden geht anders. Die Autoren der jüngsten
bundesweiten Bildungsstudie wollen nichts Geringeres als einen
Umsturz: "Unser Ziel ist es, eine Art Bildungsrevolution
anzuzetteln." Der das sagt, ist wiederum der Öffentlichkeit
bisher nicht als Revolutionär bekannt: Randolf Rodenstock ist
Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw),
einem Zusammenschluss von 110 Verbänden und Einzelpersonen,
die insgesamt 3,3 Millionen Menschen beschäftigen.
In der letzten Oktoberwoche legte der vbw den zweiten Teil der
Studie "Bildung neu denken!" vor. Dass es den überhaupt gibt,
ist zwar vielleicht noch nicht revolutionär, aber zumindest
beachtlich. Anders als üblich haben die Verfasser nämlich
auf die inhaltlichen Vorschläge, die sie bereits vor einem
Jahr machten, auch ein Konzept zur Finanzierung folgen lassen. Mit
der ökonomischen Analyse beauftragt wurde die Schweizer
Prognos AG; wissenschaftlicher Koordinator ist der Berliner
Erziehungswissenschaftler und Präsident der Freien
Universität Dieter Lenzen.
Die Umgestaltung des Bildungssystems nach der Vision der Bayern
würde Deutschland in jedem Jahr 26,7 Milliarden Euro kosten -
und das Land damit im OECD-Vergleich der Industriestaaten von Platz
18 auf Platz 3 hinter den USA und Südkorea platzieren. "Viel
Geld", konstatiert Rodenstock - aber andererseits doch nur 33 Euro
pro Einwohner "für den wertvollsten Rohstoff, den wir haben."
Außerdem sei Bildungspolitik die beste Sozialpolitik: "Dass
wir zurzeit sechs mal soviel für Soziales wie für Bildung
ausgeben ist ein Skandal", sagt Rodenstock.
Um die fehlenden 26 Milliarden zusammenzubringen, sollen
staatliche wie private Ausgaben umgeschichtet werden. Auf
staatlicher Seite würden die Länder als
Bildungsverantwortliche den größten Teil der Mehrkosten
tragen müssen, der Bund würde vor allem in die
Hochschulen und die Kommunen in die Vorschulen investieren.
Genommen werden soll das Geld unter anderem aus zweckgebundenen
Steuern: Allein die Einnahmen aus der Mineralölsteuer
betrügen jährlich 40,7 Milliarden; jene aus der
Tabaksteuer 12 Milliarden, rechnet Dieter Lenzen vor: "Da kann man
zielgerichtet umorganisieren." Aber auch die Wirtschaft und die
Privathaushalte sollen für bessere Bildung in die Tasche
greifen: Unternehmen sollen für die Weiterbildung zahlen;
jeder Bürger ein bei seiner Geburt eingerichtetes
"Bildungskonto" regelmäßig aufstocken. "Bildung ist
Daseinsvororge", so Lenzen weiter, "da kann man von jedem erwarten,
dass er investiert."
Junge Leute mit Abitur gesucht
Von den 26 Milliarden - das ist ein Viertel der jetzigen
Ausgaben extra - soll die Hälfte in Grundschulen fließen.
Die (Ganztags-)Grundschule von morgen soll früher anfangen,
länger dauern und mehr individuelle Förderung und
Diagnostik bieten. Mehr als 5,4 Milliarden Euro würde nach
Berechnungen der Forscher die verlängerte Grundschulzeit
kosten; weitere 5,7 Milliarden der konsequente Umbau zu einer
Schule, die von acht bis 18 Uhr geöffnet hat. Für
gezielte Förderung in der Schulzeit wie in den Ferien, neue
Medien und Tests zum Beginn und Ende der Primarschule werden in dem
Konzept 1,9 Milliarden veranschlagt. Dafür, dass die
Primarstufe den größten Teil der Investitionen braucht,
gibt es für Dieter Lenzen einen guten Grund: "Wir brauchen 50
bis 70 Prozent junge Leute mit Abitur", prognostiziert er, - "und
die Entscheidung darüber, ob jemand das schafft, fällt
früh."
Nach Lenzens Ansicht ist es eins der größten Mankos
des Bildungssystems, dass seit Jahren völlig entgegengesetzt
dieser simplen Erkenntnis gehandelt wird. "In die Jüngsten
wird viel zu wenig investiert - stattdessen versucht man
mühselig, das Versäumte bei den Älteren zu
reparieren. Das muss sich ändern." Rodenstock ergänze,
dass auch die Investitionen, die Eltern zu leisten hätten,
ungerecht verteilt seien: So finanzierten wenig verdienende Eltern
das Studium der Kinder aus wohlhabenden Familien mit; und
müssten dann auch noch Geld für einen Kindergarten
aufbringen.
Geld gespart werden kann nach Ansicht der Experten in dem
Bildungssystem von morgen auch: zum Beispiel durch die Abschaffung
des Sitzenbleibens sowie durch mehr befristete
Beschäftigungsverhältnisse. Dass ein Wirtschaftsverband
für die Abschaffung von Klassenwiederholungen eintrat, war
2003 nur eine von mehreren Überraschungen des ersten Teils von
"Bildung neu denken". Darüber hinaus sieht die Schule von
morgen so aus: Sechs Jahre lang werden Kinder gemeinsam
unterrichtet und danach auf nur noch zwei Schulformen mit hoher
Durchlässigkeit verteilt. Die Hauptschule wird
abgeschafft.
Beginnen soll die schulische Laufbahn bereits im Alter von vier
Jahren - wer dann noch nicht über die nötigen
Voraussetzungen verfügt, folgt mit fünf oder sechs. Und
nicht nur für die Schüler würde sich vieles
ändern: Der Lehrer soll zum "Lehrprofi" ohne Beamtenstatus
werden. Er wäre ganztags in der Schule und in weiten Teilen
der bisherigen Ferienzeit mit Fortbildung oder dem Unterricht
für Schwächere beschäftigt.
Für den vbw ist das Konzept alternativlos. "Wir brauchen
eine Revolution", sagt Rodenstock, "sonst rauben wir unseren
Kindern und Enkeln Chancen. Und Deutschland seine
Wettbewerbsfähigkeit." Warum? Bis zum Jahr 2040 wird die Zahl
der Arbeitskräfte in Deutschland von 40 auf 25 Millionen
zurückgehen; am stärksten verliert das Land Bürger
im innovativsten Alter zwischen 30 und 39. Und irgendwer wird die
Arbeit in einer Welt, die immer mehr hoch qualifizierte
Arbeitskräfte braucht, erledigen müssen. Unter den
Schülern von heute, rechnet die Bayerische Wirtschaft vor,
gehen dafür zu viele verloren: Zurzeit verlässt jeder
Fünfte die Schule ohne Abschluss.
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