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Helmut Herles
Abgeordnete wollen alte Villa retten
Das Haus der Parlamentarischen Gesellschaft in
Bonn
Selten sind sich die Abgeordneten aller Fraktionen des
Bundestages so einig, wie in der Versammlung der Deutschen
Parlamentarischen Gesellschaft Ende Oktober im ehemaligen Palais
des Reichstagspräsidenten in Berlin. Dabei ging es diesmal
abermals um Bonn, aber nicht um den längst überwundenen
Streit um den Sitz des Parlamentes, um Bundesstadt oder
Bundeshauptstadt, sondern um nicht mehr oder weniger als
Geschichtsbewusstsein.
Die Geschichte der Einwurzelung der parlamentarischen Demokratie
in Bonn hat in Berlin mehr Freunde, als sich manche Bonner
vorstellen können. So erhob sich in diesem Club der
Abgeordneten einmütiger Protest gegen den möglichen
Abriss der Villa Dahm an der Dahlmannstraße, die bis zum Umzug
des Bundestages nach Berlin 1999 ihr Sitz war. Da stimmten der
frühere Bundestagsvizepräsident Helmuth Becker (SPD) und
der FDP-Politiker Torsten Wolfgramm ebenso überein wie der
Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion,
Eckart von Klaeden, und seine ehemalige Kollegin bei der SPD, Helga
Timm.
Zwei Stimmen aus der Versammlung: "Das kann doch nicht wahr
sein!" "Als Haushaltsabgeordneter weiß ich, dass der Bund die
Villa zwar 2002 der Stadt Bonn überlassen hat, aber man
verschenkt doch nicht etwas, damit es der Beschenkte wegwirft."
Torsten Wolfgramm setzte sofort einen Brief an den in Bonn
lebenden Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement auf. Er solle
Einfluss auf seinen Nachfolger, Ministerpräsidenten Peer
Steinbrück, nehmen, damit dieser wiederum auf den
nordrhein-westfälischen Landeskonservator einwirke. Die
Präsidentin der Gesellschaft, Elke Leonhard (SPD), will in
diesem Sinn mit ihrer Parteifreundin, der Bonner
Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann, sprechen.
Die Mitglieder der Parlamentarischen Gesellschaft haben auf
Vorschlag ihres Ehrenpräsidenten, Professor Otto Wulff,
einstimmig eine Resolution "zum Erhalt der Villa Dahm" verfasst.
Sie soll dem Ältestenrat des Bundestages vorgelegt werden,
weil sich gerade Parlamentarier, die für den Umzug nach Berlin
gestimmt hatten, dem Abschiedswort der damaligen
Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth verpflichtet
fühlen: "Wir hinterlassen in Bonn keine Ruinen."
In der Resolution heißt es: "Mit Sorge betrachten die
Mitglieder der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft die
Planungen für ein Internationales Kongress-Zentrum Bundeshaus
Bonn. Sowohl der von der Jury erstplatzierte Entwurf als auch die
Planung der beiden nächstplatzierten sehen den Abriss der
für die politische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
so wichtigen Gründerzeitvilla in der Dahlmannstraße vor
... Wie wohl kein Verfassungsorgan, gilt die Parlamentarische
Gesellschaft ... als Tochter des Bundestages, und ihr einstiger
Sitz in Bonn bildet mit den sich zum Rhein erstreckenden ehemaligen
Gebäuden des Bundestages und Bundesrates ein gemeinsames
historisches Ensemble, das nicht zerstört werden darf."
Die Abgeordneten schreiben, dass es sich bei ihrem Wunsch nach
Erhaltung der Villa - wie sie von anderen Entwürfen für
Hotel und Kongress-Zentrum vorgesehen ist - nicht um "sentimentales
Erinnern" handele. Das 1897 erbaute denkmalgeschützte Haus
gehöre als "Zeugnis großbürgerlicher Bebauung der
Rheinaue im 19. Jahrhundert" nicht nur zu dem Dreiklang mit der
Villa Hammerschmidt (Sitz des Bundespräsidenten) und dem
Palais Schaumburg (Kanzleramt von Konrad Adenauer bis Helmut
Schmidt), sondern "ist vor allem Zeugnis Bonner Geschichte in der
Bundesrepublik Deutschland und einer tiefen Einwurzelung des
Parlamentarismus". Die Villa Dahm stehe "für ein
parlamentarisches Gemeinschaftsbewusstsein und die vertrauensvolle
Begegnung über Parteigrenzen hinweg".
Die Abgeordneten wollen auch eine Stellungnahme des
NRW-Landeskonservators, Professor Udo Mainzer, erhalten. Er soll
zwar seine schützende Hand über die
Abgeordneten-Wohnungen ("MdB-Käfige") in einer
Nebenstraße der Dahlmannstraße gelegt haben, nicht jedoch
über die Villa, in die die Parlamentarische Gesellschaft 1955
eingezogen war.
Die Abgeordneten waren alarmiert worden, weil eine Jury zum
Ausbau des vom Bundestag gewollten und geförderten
Internationalen Kongress-Zentrums Bundeshaus Bonn (IKBB)
ausgerechnet die Architektur-Entwürfe ausgezeichnet hatte, die
den Abriss der Villa am Rhein vorsehen. Dieser
Architektur-Wettbewerb ist noch keine verbindliche Bauplanung, aber
er präjudiziert sie stark. Die drei Erstplatzierten
müssen ihren Entwurf in den nächsten drei Monaten
überarbeiten. Dann tritt die Jury noch einmal zusammen, um
endgültig zu entscheiden. Aber ihr Vorsitzender, Professor
Kunibert Wachten, erklärte: "Ihr Entwurf zeigt großen
Respekt vor dem angrenzenden Plenarsaal von Günter Behnisch
und geht eigenständig mit der sensiblen Umgebung um." Genau
daran - am sensiblen Umgang mit der Geschichte - zweifeln die
Bundestagsabgeordneten und verweisen auf andere Entwürfe, die
den Fortbestand der Villa einplanen. Für die Jury würde
sich dies jedoch negativ auf das Gesamtprojekt des geplanten
15-geschossigen Hotels auswirken, welches sich dann zu gravierend
der "Parlamentarischen" unterordnen müsste.
In der Sitzung der Parlamentarischen Gesellschaft wurde deshalb
den Bonner Juroren empfohlen, sich einmal in Berlin umzusehen, wie
man hier bewusst alte Bauwerke in die neue Glas-Stahl-Welt
eingebaut hat. Otto Wulff: "Für einen phantasievollen
Architekten wäre unsere Villa ein wunderschönes Entree zu
einem modernen Turm. Alt und neu ließe sich in diesem Bonner
Viertel wunderbar verbinden." AAußerdem würden die erst
in den 80er-Jahren freigelegten Verzierungen und Decken in jenem
ehemaligen Doppelhaus einer Bonner Fabrikantenfamilie als
Kontrastbild zum modernen Bauwerk diesem gut zu Gesicht stehen.
In jener Villa am Rhein, wo Carlo Schmid seine geistreichen
Reden hielt und Präsidenten der Parlamentarischen Gesellschaft
wie Kurt Georg Kiesinger, Otto Fürst Bismarck, Richard
Stücklen, Otto Wulff oder Reinhard von Schorlemmer wirkten,
wurden nicht nur Geschichten zur Geschichte erlebt und
erzählt. Hier entstand manches Gesetz, oder es wurde im
informellen und vertraulichen Gespräch von Abgeordneten ohne
Rücksicht auf Parteigrenzen verändert. Die Villa ist von
der Erfolgsgeschichte des Parlamentarismus in Bonn nicht
wegzudenken.
Schon einmal war das Haus vom Abriss bedroht, als der damalige
Bonner Oberbürgermeister Hans Daniels, verbündet mit
einigen Bundestagsabgeordneten, den Ehrgeiz hatte, vor dem
Bundeshaus eine repräsentative "grüne Mitte" entstehen zu
lassen. Anders als heute, schützten die Denkmalschützer
damals die "Parlamentarische": "Das Bauwerk ist wegen der
baukünstlerischen Qualität erhaltenswert. Die Erhaltung
ist zudem wegen des stadtgeschichtlichen Zeugnischarakters sowie
wegen der städtebaulichen Wirkung des von der Straße
zurückgesetzten freistehenden Gebäudes geboten." Im
Grunde brauchte der heutige Landeskonservator Udo Mainzer nur den
damaligen Satz zu zitieren.
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