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Das Parlament
Nr. 47 / 15.11.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Ines Gollnick

Die Authentische: Christa Nickels

Parlamentarisches Profil

Christa Nickels war die erste Krankenschwester im Deutschen Bundestag, als die Grünen 1983 zum ersten Mal ins Plenum einzogen. Und sie war die erste Krankenschwester in Regierungsfunktion in ihrer Zeit als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit von Oktober 1998 bis Januar 2001. Daran erinnert die klassische Gründungsgrüne ganz gern, wenn sie über ihre politische Biografie reflektiert. Nicht nur, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen, vielmehr, um zu vermitteln, was möglich ist, wenn der entsprechende Antrieb da ist.

Mit Unterbrechungen, ausgelöst durch die Rotation, gehört sie dem Bundestag 16 Jahre an. Sie ließ sich nicht politisch versorgen, als sie das Mandat abgeben musste, weil sie das verlogen fand, sondern ging von 1991 bis 1994 wieder in ihren Beruf zurück und machte währenddessen eine Ausbildung zur Fachkrankenschwester mit Examen. "Viele Kollegen aus Politik und Pflege haben mir prophezeit, dieser bruchlose Umstieg vom Parlament in die Intensivstation sei unmöglich. Es hat mir außerordentlich viel abverlangt. Ich habe mich zwei Jahre sozusagen bei den Grünen abgemeldet, weil Beruf und Ausbildung meine ganze Kraft beansprucht haben", erzählt sie im Gespräch mit "Das Parlament" in ihrem Haus am Niederrhein. 1994 kehrte sie auf Listenplatz eins in NRW wieder in den Bundestag zurück. Seitdem ist sie kirchenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Sie leitete jahrelang den Petitionsausschuss des Bundestages, übernahm dann das Regierungsamt als Staatssekretärin bis zum Rücktritt von Gesundheitsministerin Andrea Fischer und war Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Nickels sitzt außerdem in der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin". Und seit Frühjahr 2001 ist sie Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. Dem Politikschwerpunkt kann sie viel abgewinnen: "Es ist interessant, Außenpolitik zu machen. Der Menschenrechtsausschuss ist kein Einzelfallausschuss. Es ist sehr reizvoll, an einer langen Linie entlang zu arbeiten." Der Ausschuss sei einer mit eingebauter Glaubwürdigkeit, denn er sei nicht nur für auswärtige Menschenrechtspolitik zuständig, sondern auch für den Menschenrechtsschutz in Deutschland. "Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn man mit Staaten wie beispielsweise China oder anderen redet, die Probleme mit Menschenrechten haben." Man könne auf diese Funktion hinweisen und Beispiele nennen. Dann sei der Verdacht, "Fingerpointing" zu betreiben, schnell auszuräumen.

Nickels setzt auf Strukturen. Mit System zu arbeiten, ist ihr wichtig, um sich nicht zu verzetteln. So hat der Ausschuss unter ihrer Leitung Länderschwerpunkte gesetzt und auch einen Jahresschwerpunkt wie 2004 "Menschenrechtliche und humanitäre Situation in Afrika" oder 2003 "Menschenrechte und Islamisches Recht". Länderschwerpunkte sind unter anderem die Türkei, Russland und China. Als ganz wesentlichen Schwerpunkt nennt sie auch Afghanistan.

Nickels hat häufig Situationen erlebt, wo sich Menschen in existenziell schwierigen Lagen befanden. Das kennt sie aus ihrem Beruf. Das erlebt sie nun in der Politik wie im Frühjahr auf der Reise nach Darfur im Sudan. "Ich glaube, Darfur zeigt, dass man mit zäher Beharrlichkeit etwas ausrichten kann. Wir haben noch im Flugzeug erfahren, dass man uns die Visa und die Einreiseerlaubnis entzogen hatte. Wir haben uns trotzdem entschieden, sitzen zu bleiben. Auf dem Flugfeld haben die Sudanesen uns nicht des Landes verwiesen. Wir haben darauf bestanden, Darfur wie geplant zu besuchen. Die Regierung ging auf Tauchstation. Wir haben dann zig Gespräche mit nationalen und internationalen Hilfsorganisationen und Menschen geführt, die noch Angehörige in Darfur haben, und so ein sehr genaues Bild der Lage erhalten", sagt Nickels. "Man muss bestimmte Punkte identifizieren, die existenziell für die Menschen sind, bestimmte Absprachen treffen, ganz konsequent sein und sich nicht von Floskeln und Begründungen abhalten lassen, sondern die entsprechende Umsetzung verlangen", beschreibt Nickels die Erfahrung. Wenige Tage nach der Rückkehr der Ausschuss-Delegation habe es einen erheblich verbesserten Zugang für humanitäre Organisationen gegeben. "Das ist übrigens eine schöne Erfahrung, wenn man in hochkomplexen Zusammenhängen bei intensiver Arbeit auch mit Nichtregierungsorganisationen so ein Muster herausarbeitet, welches ein Mosaikstein für eine grundlegende Strategie der Verbesserung in solchen Ländern sein könnte", so Nickels.

Mit Erfahrungen, die an die persönliche Substanz gehen, kann die 52-Jährige umgehen, sagt sie. Selbstverständlich seien Politiker keine Abenteurer. Vielmehr gehe es darum, kalkulierte Risiken in Kauf zu nehmen, wenn man etwas bewegen wolle. "Wenn man im menschenrechtspolitischen Bereich etwas verändern will, muss man fähig sein, schonungslos schlimme Situationen auch anzusehen und das auszuhalten. Wenn man das nicht kann, sondern den Drang hat, sich seitlich in die Büsche zu schlagen, sich die Regierungen schönerzureden oder nur den Bereich zu identifizieren, wo es aufwärts geht, dann sollte man es besser sein lassen", meint Nickels.

Dass sie sich vor 25 Jahren den Grünen anschloss, hat viele Auslöser gehabt, beispielsweise, dass Ende der 70er-Jahre von Vorläuferparteien der Grünen der Europawahlkampf mit ganz neuen Themen, auch umweltpolitischen, geführt wurde, aber auch damit, dass bei den Grünen jeder gebraucht wurde. "Das ist auch heute noch so. Es hängt von jedem Einzelnen mit ab", so Nickels. Für sie sei das Wichtigste, dass Menschen bei den Grünen sehr schnell die Möglichkeit bekommen, mit an den Rahmenbedingungen für gesellschaftliches Handeln zu arbeiten. Dass es schwierige Entscheidungen für eine Gründungspolitikerin der Grünen in den vergangenen Jahren gegeben hat, verhehlt Nickels nicht. Insbesondere das Abweichen vom absoluten Nein zu Militäreinsätzen.

Und wie findet sie selbst die so notwendige Distanz, um Kraft zu tanken? Sie selber könne sehr gut und schnell abschalten. Ein Garten und unzählige Bücher helfen ihr dabei. In der Nähe von Heinsberg wohnt Nickels landschaftlich in der reinsten Idylle. Und gar nicht weit von ihrem eigenen Haus ist sie aufgewachsen, als ältestes von acht Kindern auf einem Bauernhof. Geprägt hat sie das katholische Mädchengymnasium St. Ursula, wo sie auch mit ersten politischen Themen wie dem Vietnamkrieg in Berührung kam und wo sie die Haltung kennen lernte, dass der Glaube kein Privatvergnügen sei, sondern auch Motivation dafür, dass man etwas tun müsse, anpa-cken, damit es Menschen besser geht. Diese Philosophie bestimmt auch ihre politische Arbeit.

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