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Igal Avidan
Keine Erbin des Antisemitismus
Die Tochter von Albert Speer ist Gründerin
der Stiftung "Zurückgeben"
Vor zehn Jahren sollte die
Erziehungswissenschaftlerin Hilde Schramm, 68, mehrere romantische
Bilder von ihrem Vater, Hitlers Architekten und
Rüstungsminister Albert Speer, erben. Der Kriegsverbrecher
hatte sie in der Zeit des Nationalsozialismus erworben, und Schramm
musste davon ausgehen, dass diese Gegenstände einmal Juden
gehört hatten, die sie vor ihrer Emigration zwangsverkaufen
mussten oder dass sie enteignet wurden. In beiden Fällen hatte
ihr Vater persönlich Vorteil daraus gezogen. Daher wollte sie
ihr Erbe nicht antreten.
Schramm suchte vergeblich nach den
rechtmäßigen Eigentümern und beschloss daraufhin,
die Bilder zu verkaufen und aus dem Erlös zusammen mit anderen
Frauen eine Stiftung zu gründen, um damit jüdische
Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen in Deutschland zu
unterstützen. "Wir möchten zum Wiederbeleben des
jüdischen Leben in Deutschland ganz wenig beitragen", sagt sie
bescheiden. Damit die jüdischen Frauen sich nicht verpflichtet
fühlen, Deutschen gegenüber dankbar zu sein, sitzen in
der Jury ausschließlich jüdische Frauen.Viele Deutsche
zogen materielle Vorteile aus der Vertreibung und Ermordung der
Juden - von einer freigewordenen Professur bis hin zur
günstigen Übernahme einer Arztpraxis oder eines
Ladengeschäftes. Deutsche Notare, Banken und
Versicherungsgesellschaft machten gute Geschäfte mit der
Enteignung jüdischen Vermögens und vererbten diesen
Wohlstand an die nächsten Generationen. Die Stiftung
"Zurückgeben" will aber nicht moralisieren, sondern wichtige
Projekte fördern, die auch Deutschland zugute kommen, betont
Geschäftsführerin Karin Wieckhorst: "Das sind Filme,
Lesungen, Bilder, wissenschaftliche Untersuchungen. Diese Werke
fließen in die Gesellschaft hinein und sind gerade für
Deutschland so wichtig."
Wenig finanzielle
Unterstützung
Aber nicht wichtig genug, dass sich die
Medien für die zumeist unbekannten Stipendiatinnen
interessieren würden. Sehr viele Deutsche loben die Idee der
Stiftung, aber nur sehr wenige unterstützen deren Arbeit
finanziell, entweder weil sie sich an die Vergangenheit ihrer
Familie nicht erinnern wollen oder weil sie die Förderung
jüdischer Frauen für ein Anliegen der Regierung halten.
Aufgrund der knappen Mittel ist das Büro der Stiftung nur
dreimal pro Woche nachmittags besetzt, was die öffentliche
Präsenz der Stiftung nicht gerade erleichtert. Hilde Schramm
ist da wesentlich bekannter, sowohl als Erziehungswissenschaftlerin
wie auch als Lokalpolitikerin der Grünen und ehemalige
Vize-Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses. Dass sich
die Journalisten bei der Berichterstattung vor allem für
Schramm und insbesondere für ihre Biographie interessieren,
löst Kritik innerhalb der Stiftung aus, obwohl Schramm die
Öffentlichkeit nicht sucht und Fragen nach ihrem Vater
höflich aber bestimmt zurückweist.
Auf hartnäckiges Nachfragen öffnet
sie einen Katalog, in dem eines jener Bilder prangt, über die
sie ihren Vater nie befragt hatte. "Das Bild hat mich nur als
Erbstück interessiert, dessen Erlös ich der Stiftung
geben kann," sagt sie. Dann beschreibt sie widerwillig das Werk des
italienischen Malers Consalvo Carelli: Der Hafen von Neapel im 19.
Jahrhundert.
Ob sich ihr Vater in seiner Funktion als
"Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt" diese Bilder
bei der Zwangsräumung von Berliner Juden ab 1937 angeeignet
hat, kann Schramm nicht sagen, nur das: "Mein Vater war
kunstverständig. Ich weiß aber nicht, was in seiner
Berliner Amtswohnung hing, weil ich als Kind nur ein paar Mal sehr
kurz dort war. So einfach ist das nicht, dass man denken kann, er
hatte Gegenstände aus der NS-Zeit nach dem Krieg bei sich
stehen gehabt." Da die Bilder nicht bekannt waren, konnten ihre
ehemaligen Besitzer nicht identifiziert werden.
Das Wort "Raubgut" kommt häufig vor im
Gespräch mit der Psychotherapeutin Irene Anhalt. Sie erbte
wertvolle Biedermeiermöbel von ihrer geliebten
Großmutter. Beim Recherchieren stellte sie schockiert fest,
dass "diese moralische Person sich 1943, nachdem sie ausgebombt
worden war, blindlings an jüdischem Eigentum bereichern
konnte". Weil sie nicht "Erbin von Nationalsozialismus und
Antisemitismus" sein wollte, trennte sich auch Anhalt von ihrem
Erbe und schloss sich der Stiftung an. Dabei betont auch sie, dass
die Stiftung nicht gegründet wurde, um zu moralisieren,
sondern, um bewusst zu machen, dass die Großeltern in jeder
Familie in Deutschland am Nationalsozialismus beteiligt waren und
dass sich jeder in Deutschland mit dem Holocaust auseinander setzen
muss, egal ob seine Eltern oder Großeltern während der
Nazi-Zeit Verbrechen an den Juden begangen haben oder nicht. "Es
ist nicht nur eine Sache der Bundesregierung, sondern von jedem
Einzelnen, der Teil an den Privilegien dieses Landes hat. Dazu
gehört der geistige, ideelle aber auch dingliche Wohlstand,
den jüdische Deutsche geschaffen haben."
Um Unruhe unter der Zivilbevölkerung zu
verhindern, wurden in allen bombardierten deutschen Städten
auf Auktionen Gegenstände aus jüdischem Besitz
versteigert, sagt der Historiker Frank Bajohr von der
Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. "Allein nach
Hamburg wurden 2.700 vollgestopfte Zugwaggons aus den Niederlanden
transportiert - Möbel, Pelzmäntel, Schmuck,
Bügeleisen und sogar Lebensmittel. Rund 100.000 Menschen - vor
allem Frauen - die meisten Männer waren an der Front - nahmen
an den Versteigerungen teil. Sie wussten, dass es sich um den
Besitz deportierter oder ausgewanderter Juden handelte, und in
Kleinstädten sogar, wem jedes Sofa, jeder Tisch und Stuhl
persönlich gehört hatten. Bedürftige Deutschen
erhielten von der NS-Volkswohlfahrt Anzüge mit
eingenähten Judensternen."
Woher stammen die Möbel?
Zurückhaltende Freude herrscht zum
Jubiläumsfest im Wappensaal des Berliner Roten Rathauses. Die
rund 250 Gäste - Durchschnittsalter 45, mehr Frauen als
Männer - unterhalten sich munter mit Bekannten. Aber das
Verbrechen an den Juden überlagert das Gespräch wie ein
schwarzer Schatten. Staatssekretär André Schmitz erinnert
daran, dass viele Deutsche nicht wissen, woher ihr
Wohnzimmermobiliar stammt, "oder sie wollen es nicht
wissen".
Nach den Reden füllt Elzbieta Sternlicht
am Klavier den großen Raum mit den Klängen von Fanny
Hensel. Diese begabte Musikerin war nicht nur die Enkelin des
großen jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn und die
Muse ihres berühmten Bruders Felix Mendelssohn Bartholdy,
sondern auch eine sehr interessante Komponistin. Durch die
finanzielle Förderung der Stiftung "Zurückgeben" konnte
die polnische Jüdin Sternlicht bisher unveröffentlichte
Werke Hensels auffinden und auf CD einspielen. Jahrelang hat sie
sich geweigert, deutschen Boden zu betreten, auch weil sie im
Holocaust viele Angehörige verloren hat. Jetzt lebt Sternlicht
in Berlin und spricht über das Vertrauen zu Deutschland, das
sie nicht zuletzt durch die Stiftung "Zurückgeben" gewinnt:
"Das war das erste Mal, dass ich in Deutschland eine Förderung
bekam. Noch wichtiger als das Geld war jedoch die Würdigung
meiner Arbeit, die mich gerührt und mich an die Stiftung
gebunden hat."
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