Petitionsrecht auf europäischer Ebene
In einem zusammenwachsenden Europa ist es selbstverständlich, dass sich nicht alle Probleme der Bürgerinnen und Bürger auf nationaler Ebene lösen lassen, zumal viele Fragen erst aufgrund europäischer Regelungen entstehen. Auf Gemeinschaftsebene sind deshalb mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die Europäische Union zum 1. November 1993 (Vertrag von Maastricht) zwei Institutionen geschaffen worden, die für die Bearbeitung von Bürgerbeschwerden auf europäischer Ebene zuständig sind: der Bürgerbeauftragte und der Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments. Das ursprünglich nur durch die Geschäftsordnung des Parlaments eingeräumte Petitionsrecht wurde durch die Einfügung entsprechender Artikel in den EG-Vertrag (siehe Anlage VI) zu einem Rechtsanspruch der Bürger aufgewertet.
An den Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments können sich jede Bürgerin und jeder Bürger der Union sowie jede natürliche oder - anders als in Deutschland - juristische Person mit Wohnort oder satzungsmäßigem Sitz in einem Mitgliedsstaat wenden. Sie haben das Recht, allein oder zusammmen mit anderen eine Petition an das Europäische Parlament zu richten in Angelegenheiten, die in die Tätigkeitsbereiche der Gemeinschaft fallen und sie unmittelbar betreffen. Nachdem die Petition registriert und vom Präsidenten des Europäischen Parlaments an den Petitionsausschuss überwiesen wurde, prüft dieser, ob die in der Petition aufgeworfenen Fragen den Tätigkeitsbereich der Europäischen Union betreffen. Der Petitionsausschuss verlangt kein persönliches Einzelinteresse des Petenten, sondern hält es für ausreichend, wenn dieser eine ernst zu nehmende und tatsächliche Besorgnis bezüglich des Gegenstands der Petition darlegt. Die weitere inhaltliche Prüfung einer Petition beginnt sodann mit der Ermittlung des Sachverhalts, an den sich eine Prüfung der Rechtslage anschließt. In der Regel wird eine Stellungnahme der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingeholt.
Sobald die Sachverhaltsermittlung abgeschlossen ist und die rechtliche Problematik einer Eingabe beurteilt werden kann, wird die Petition in einer Auschusssitzung erörtert. Teilt der Ausschuss die Auffassung der Kommission nicht, so wird häufig der Vorsitzende beauftragt, sich an das zuständige Mitglied der Kommission zu wenden, um dieses um eine nochmalige Prüfung der Angelegenheit unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Petitionsausschusses zu bitten. Da das Gemeinschaftsrecht in aller Regel durch die Mitgliedsstaaten ausgeführt wird, macht der Ausschuss auch von der Möglichkeit Gebrauch, den Präsidenten des Europäischen Parlaments zu bitten, sich an den Ständigen Vertreter des betroffenen Mitgliedsstaates bei den Europäischen Gemeinschaften zu wenden und diesen um eine Prüfung des Falles nach Maßgabe der Auffassung des Petitionsausschusses zu bitten. Zur weiteren Aufklärung steht dem Ausschuss auch das Recht zu, Anhörungen durchzuführen und Mitglieder zur Tatsachenfeststellung an Ort und Stelle zu entsenden. Darüber hinaus kann der Ausschuss die Kommission bitten, Akten vorzulegen und ihm den Zutritt zu ihren Einrichtungen zu gestatten. Insbesondere bei Petitionen, die auf eine Änderung geltenden Rechts gerichtet sind, kann er schließlich die Stellungnahme eines anderen Ausschusses einholen.
Besteht kein weiterer Aufklärungsbedarf in bezug auf die Sach- und Rechtslage, trifft der Ausschuss eine das Petitionsverfahren abschließende Entscheidung.
Der Europäische Bürgerbeauftragte ist befugt, von sich aus oder aufgrund von Beschwerden über Missstände bezüglich der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft seine Arbeit aufzunehmen. Er ist berechtigt eigene Untersuchungen durchzuführen, um die von den Petenten angesprochenen Problemstellungen zu durchleuchten. Hierzu ist er mit weitgehenden Informationsrechten gegenüber der EG-Kommission aber auch den Behörden der Mitgliedstaaten ausgestattet. Nach Einholung der Informationen werden die betroffenen Organe dazu aufgefordert, zu dem Thema innerhalb von drei Monaten Stellung zu nehmen. Der Bürgerbeauftragte legt anschließend dem Europäischen Parlament und dem betreffenden Organ einen Bericht vor und unterbreitet darin unter Umständen Empfehlungen zur Abhilfe. Der Beschwerdeführer ist über das Ergebnis dieser Untersuchungen zu unterrichten.
Um die Interessen der Unionsbürgerinnen und Bürger besser zu schützen, ist es dem Bürgerbeauftragten auch gestattet, mit den nationalen Bürgerbeauftragten oder ähnlichen Behörden (in Deutschland ist dies der Petitionsausschuss) zusammmen zu arbeiten. Ausserdem legt der Bürgerbeauftragte dem Europäischen Parlament jährlich am Ende jeder Sitzungsperiode einen Bericht über die Ergebnisse seiner Untersuchungen vor. Der Bürgerbeauftragte ist völlig unabhängig.
Eine stetig steigende Zahl an Petitionen, die an den Deutschen Bundestag, an das Europäische Parlament und an den Bürgerauftragten gerichtet werden, macht deutlich, dass es ein zunehmendes Bedürfnis der Bürger gibt, die befugten Anlaufstellen mit ihren Anliegen zu befassen. Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Europäischen Gemeinschaft sind durch die Einrichtung der Petitionsausschüsse Institutionen geschaffen worden, die Bürgereingaben sachgerecht bearbeiten und Entscheidungen treffen können. Mit der Einführung eines Europäischen Bürgerbeauftragten steht den Bürgerinnen und Bürger Mitte der neunziger Jahre eine weitere Beschwerdestelle zur Verfügung, die Missstände bei der Tätigkeit der Organe oder Institutionen der Gemeinschaft überprüft.
Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene
Im übrigen arbeitet der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages aber auch im internationalen Rahmen mit den Bürgerrechtseinrichtungen anderer Länder zusammen. Er ist zu diesem Zweck Mitglied in zwei Vereinen, die sich dem Eingabewesen widmen: dem Europäischen Ombudsmann-Institut in Innsbruck/Österreich und dem Internationalen Ombudsmann-Institut in Edmonton/Kanada. Bei den Ansprechpartnern handelt es sich vielfach um Ombudsmänner nach dem skandinavischen Vorbild, wobei die organisatorische und rechtliche Ausgestaltung in den einzelnen Ländern recht unterschiedlich ist. Im Nachbarland Österreich prüft beispielsweise die Volksanwaltschaft, ein Kollegium aus drei Volksanwälten, im Auftrag des Parlaments die Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger. In den mittel- und osteuropäischen Staaten wurden jüngst Bürgerrechtseinrichtungen - zum Teil mit Beratungshilfe durch den Petitionsausschuss - aufgebaut.
Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, vertreten durch die bzw. den Vorsitzende/n, setzt die bisherige reibungslose Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene im Interesse der Bürgerinnen und Bürger auch in Zukunft fort.