Deutscher Bundestag
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Dezember 12/2000
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Die Parteien müssen Konsequenzen ziehen

Von Wolfgang Thierse

Vor wenigen Wochen hat der Deutsche Bundestag die Hälfte seiner Arbeitszeit der 14. Wahlperiode hinter sich gebracht. Es gibt also Anlass, jetzt, zum Ende des Jahres 2000, zurückzuschauen und auch einen Ausblick auf die nächste Zeit zu wagen.

Eingangsportal des Reichstagsgebäude

Diese Wahlperiode des Parlaments wird mit Sicherheit denkwürdig und auch bei vielen Menschen in Erinnerung bleiben. Neun Jahre nach der Vereinigung Deutschlands zog 1999 der Bundestag von Bonn nach Berlin und nahm hier seine Arbeit im umgebauten Reichstagsgebäude auf, ein ohne Zweifel historischer Schritt. Nach fünf Jahrzehnten in Bonn ist eine erfolgreiche parlamentarische Arbeitsphase zu Ende gegangen, und Berlin wurde wieder die Stätte parlamentarischer Debatten und Entscheidungen, die wie keine andere in Deutschland mit der wechselvollen Geschichte der parlamentarischen Demokratie verbunden ist. Mit der Arbeitsaufnahme des Bundestages in Berlin ist auch für das Zusammenwachsen Deutschlands ein politisch wichtiger Schritt getan worden.

Der Bundestag ist in Berlin gut angekommen. Er hat die parlamentarische Tradition, die er in Bonn begonnen und entwickelt hat, hier fortgesetzt. Prognosen über eine nun beginnende "Berliner Republik" waren und blieben realitätsfremd. Dass der Bundestag im Übrigen intensiv in Berlin weiterarbeitet, wie er es auch in Bonn über all die Jahre getan hat, zeigt eine Zahl: Er hat in dieser Wahlperiode bisher knapp 400 Gesetzesvorlagen in erster Beratung behandelt, 200 von ihnen hat er inzwischen verabschiedet.

Natürlich ist einiges anders geworden nach dem Wechsel vom Rhein an die Spree, aber die eigentliche parlamentarische Arbeit ist davon im Wesentlichen unberührt geblieben. Räumliche Enge, auf zahlreiche Liegenschaften verteilte Abgeordnetenbüros, manches Mal längere Verwaltungswege zwischen Bonn und Berlin: Das sind Übergangserscheinungen, die behoben sein werden, wenn der Bundestag im kommenden Jahr das Jakob-Kaiser-Haus und das Paul-Löbe-Haus und im Jahr 2002 das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zusätzlich zum Reichstagsgebäude und anderen Bürogebäuden nutzen kann.

Mich freut besonders, dass der Bundestag auch bei den Berlinern und zahlreichen anderen Besuchern der Stadt gut angekommen ist. Gut 4 Millionen Menschen haben ihn, seit er in Berlin seine Arbeit aufgenommen hat, besucht: Auf Einladung von Abgeordneten zur Information über die Arbeit des Parlaments oder als Neugierige, die sich von der Kuppel des Reichstagsgebäudes anziehen ließen und von der Dachterrasse einen Blick über Berlin warfen. Das besondere Interesse der Öffentlichkeit zeigte sich in diesem Jahr von neuem, als bei den "Tagen der Ein- und Ausblicke" die Besucher auch sonst nicht der Öffentlichkeit zugängliche Teile des Reichstagsgebäudes besichtigen konnten. Das Haus, in dem der Deutsche Bundestag zusammentritt, berät und entscheidet, ist zu einem der zentralen Anziehungspunkte der Stadt geworden. Wenn die Besucher dabei etwas mitnehmen über die Arbeit ihres Parlaments und über seine Geschichte, dann trägt dies über die Information hinaus zu dem bei, was für unsere parlamentarische Demokratie besonders wichtig ist: Offenheit und Transparenz und damit auch Vertrauen in die Politik.

Dass dieses Vertrauen in die Politik ständig neu erworben werden muss, ist eine der Erfahrungen, die auch den Bundestag in diesen ersten Monaten seiner Tätigkeit in Berlin in besonderer Weise kennzeichneten. Im Rückblick auf die Diskussionen nach den Verstößen der CDU gegen das Parteiengesetz ist zweifelsfrei deutlich geworden, in welch engem Verhältnis zueinander Offenheit in der Politik und Vertrauen zwischen der Öffentlichkeit und Politikern stehen. Dabei will ich unterstreichen: Eine kritische Öffentlichkeit hat, nicht zuletzt dank der hartnäckigen Arbeit der Medien, im Sinne demokratischer Kontrolle einen Klärungsprozess initiiert, an dessen Ende, so hoffe ich, sich ein schärferer Blick entwickeln wird für Notwendigkeiten, die Transparenz und Offenheit von zentralen, für die parlamentarische Demokratie unerlässlichen Institutionen verlangen, wie es die Parteien sind. In diesem Sinne habe ich auch meinen Anstoß verstanden wissen wollen, den ich vor wenigen Tagen für eine Novellierung des Parteiengesetzes gegeben habe. Vielleicht gelingt es, die Diskussion dazu bald in Gang setzen zu können, damit sich die Bundestagsfraktionen auf eine entsprechende Korrektur und Ergänzung des Gesetzes verständigen können. "Aus der Mitte des Bundestages", wie es im Grundgesetz heißt, muss meines Erachtens für eine solche Novellierung eine Gesetzesvorlage erfolgen.

Wolfgang Thierse.
Wolfgang Thierse.

Zwar wird der Untersuchungsausschuss "Parteispenden" des Bundestages zu dieser Diskussion ebenso beitragen können wie es Ermittlungsergebnisse von Staatsanwaltschaften tun können, und auch die beim Bundespräsidenten eingerichtete Kommission wird Empfehlungen vorlegen. Die Bürgerinnen und Bürger können jedoch zu Recht erwarten, dass die Parteien selbst Konsequenzen ziehen aus den Erkenntnissen, die in den vergangenen Monaten gewonnen werden konnten und möglicherweise noch hinzukommen. Dem Auftrag des Grundgesetzes, dass die Parteien über die Herkunft ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben müssen, sollte als Schlussfolgerung aus den Diskussionen der jüngsten Zeit mit einer Novellierung des Parteiengesetzes nachgekommen werden.

Das besondere Verhältnis zwischen Medien und Politik in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung ist in diesem Jahr in besonderer Weise hervorgetreten. Zweifellos haben die Medien bei der Aufdeckung von verheimlichten oder fragwürdigen Spenden eine wichtige Funktion der öffentlichen Kontrolle wahrgenommen, auf die auch die Politik zu reagieren hatte. Wenn das Bild von den Medien als "vierter Gewalt" eine bestimmte Aufgabe von Presse, Fernsehen und Hörfunk zum Ausdruck bringt, dann haben die vergangenen Monate eine Bestätigung dafür gebracht.

Ich möchte die Rolle der Medien auch an einem anderen Beispiel deutlich machen. Es hat lange – vielleicht zu lange – gedauert, bis die breite Öffentlichkeit davon Kenntnis nahm, dass es in Deutschland rechtsradikale Gewalttäter gibt, die in einem Umfeld von Duldung, wenn nicht gar heimlicher Zustimmung, ihr Unwesen treiben können. Es bedurfte spektakulärer Ereignisse, ehe die Medien dieses Problem zu einem zentralen Thema machten. Ich hoffe, dass die Medien, die ein wesentlicher Bestandteil unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung sind, auch weiterhin eine Aufgabe darin sehen, zusammen mit der Politik und den Bürgerinnen und Bürgern dem Rechtsradikalismus Paroli zu bieten. Es gibt auch Ausländerfeindlichkeit und Vorbehalte gegen Minderheiten, die versteckt daherkommen und die den Boden liefern für die Primitivparolen von Rechtsextremisten. Journalisten, die ihrer öffentlichen Kontrollfunktion mit Ernsthaftigkeit nachgehen, werden sicher manchen Stoff dazu finden können.

Wir dürfen nicht zuschauen oder wegsehen, wenn sich der Rechtsradikalismus - wo auch immer – zu Wort meldet. Wir müssen etwas dagegen tun. Diese Aufforderung richte ich an alle: die Bürgerinnen und Bürger, die Politiker, die Medien. Ich wünsche mir, dass der Kampf gegen Rechtsradikalismus im kommenden Jahr zu Erfolgen führt.

Den Leserinnen und Lesern von Blickpunkt Bundestag wünsche ich für das vor uns liegende Jahr 2001 alles Gute.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2000/bp0012/0012004
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