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Der Haushalt und der Bundestag
Der lange Weg zum grünen Papier
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Wenn die großen Nachrichtenagenturen ihren aktuellen Meldungen den Hinweis "EIL" oder "VORRANG" voranstellen, dann folgt etwas besonders Dringliches und Wichtiges. Am Freitag um 13 Uhr 25 Minuten und 35 Sekunden war es wieder einmal so weit: "Bundestag verabschiedet Haushalt 2001" lautete die Überschrift der Eilmeldung, und dann erschienen zunächst nur wenige Worte: "Der Bundestag hat den Haushalt 2001 mit den Stimmen der rot-grünen Koalition verabschiedet. Die geplanten Ausgaben betragen 477 Milliarden Mark und damit 0,4 Prozent weniger als in diesem Jahr." Zwei Sätze für einen Vorgang, der es in sich hat. Denn das viele hundert Seiten dicke Zahlenwerk legt fest, wo es im nächsten Jahr langgehen soll in Deutschland: Was wo wie gefördert, gebaut und angeschafft wird. Da gibt es in einem 80-Millionen-Volk kaum zählbare Wünsche, Konzepte und Verpflichtungen. Das alles muss gebündelt, beraten und in ein verantwortliches Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben gebracht werden. Eine Herkules-Aufgabe für viele Monate. Wie das geht? Blickpunkt Bundestag blickte hinter die Kulissen und schildert am Beispiel des Einzelplanes 02 ("Bundestag") die Entwicklung von der Idee zum Beschluss.
Die Berichterstatter für den Haushalt des Bundestages:
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Rolf Niese (SPD) |
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Jochen Borchert (CDU/CSU) |
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Antje Hermenau (B'90/Die Grünen) |
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Jürgen Koppelin (F.D.P.) |
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Barbara Höll (PDS) |
Der öffentlich wahrnehmbare Rhythmus ist immer gleich: Vor der Sommerpause beschließt die Bundesregierung ihren Entwurf für die Einnahmen- und Ausgabenplanung des nächsten Jahres. Nach der Sommerpause bringt sie diese Vorlage in den Bundestag ein. Dann "verschwindet" der Entwurf zu intensiven Beratungen im Haushaltsausschuss und dessen Berichterstattergruppen. Dieser legt seine – insbesondere auf der Arbeit der Berichterstattergruppen beruhenden – Änderungsvorschläge dem Plenum des Bundestages in Form von Empfehlungen vor. Den Abschluss bilden Ende November und Anfang Dezember die zweite und dritte Lesung im Bundestag, in denen das Parlament endgültig über den Haushalt beschließt. Nach Befassung des Bundesrates, Gegenzeichnung durch Finanzminister und Kanzler wird das Haushaltsgesetz schließlich in der Regel Ende Dezember im Bundesgesetzblatt verkündet.
Dann ist es amtlich. Aber geschafft oder erledigt ist die Haushaltsarbeit damit nicht. Denn während die Druckmaschinen im Jahr 2000 das Haushaltsgesetz für das Jahr 2001 druckten, hatten die Vorbereitungen für den Haushalt des Jahres 2002 bereits begonnen. In jedem einzelnen Referat jedes Ministeriums machen sich die Mitarbeiter schon im Dezember Gedanken darüber, was im übernächsten Jahr gebraucht wird. Die jeweilige Haushaltsabteilung sammelt alle Wünsche, fragt nach Hintergründen und wägt im Gespräch mit allen Beteiligten ab. Spätestens wenn das formelle "Haushaltsaufstellungsrundschreiben" des Finanzministers in allen Ministerien aufgeschlagen ist, wird es Ernst. Aus Wünschen werden Haushaltstitel, die zunächst im eigenen Ministerium von Ebene zu Ebene wandern, bis sie schließlich im Finanzministerium landen und im Wettstreit mit den Vorstellungen aller anderen Häuser ebenfalls neu gewichtet werden.
Natürlich fängt niemand immer wieder bei null an. Es gibt Erfahrungswerte aus den Vorjahren, der aktuelle Mittelabfluss ist über das "HKR" genau zu verfolgen, jenes "automatisierte Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes", das nach Eingabe von Passwort und Schlüsselnummer jeden Titelverwalter zur punkt- und kommagenauen Überwachung "seines" Titels befähigt. Dann schweben die Ministerien natürlich auch haushaltspolitisch nicht im luftleeren Raum: Schon das Aufstellungsrundschreiben enthält Grundzüge der vorgesehenen Haushaltsentwicklung. Bis sämtliche Vorschläge gebündelt vorliegen, ist es Frühling geworden. Und im Frühsommer ist dann das Austarieren zwischen den verschiedenen Ebenen der Ministerien so weit gediehen, dass der Finanzminister seinen Vorschlag im Kabinett zur Abstimmung vorlegen kann.
Anders beim Bundestag. Wenn es um die eigenen Angelegenheiten des Parlamentes geht, sind die Parlamentarier von Anfang an dabei. Dass der Voranschlag für den Einzelplan 02, also den Einzelplan für den Bundestag, vom Ältestenrat beschlossen wird, bleibt nicht nur formale Angelegenheit. Eigens zu diesem Zweck hat der Ältestenrat ein "Haushaltsgremium" ins Leben gerufen. Das besteht neben den jeweils zuständigen Berichterstattern der fünf Bundestagsfraktionen für den Bundestagshaushalt aus dem Präsidenten des Deutschen Bundestages und den Geschäftsführern der Fraktionen.
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Abstimmungsmarathon in der Haushaltsdebatte. |
Berichterstatter sind viel mehr als ihr Name sagt. Sie berichten nicht nur den Fraktionen, was sich in ihrem Fachbereich finanziell so alles tut und setzen sich für die Belange ihres Bereiches ein. Sie bringen auch in den Kreis der Kollegen im Haushaltsausschuss ein, was ihre jeweiligen Fraktionen an Vorschlägen zu den anstehenden Fragen machen. Vor allem berichten sie aber dem Haushaltsausschuss zu "ihrem" Bereich, arbeiten sich tief in dessen Materie ein und stimmen sich parteiübergreifend untereinander ab. Anders als bei den anderen Einzelplänen, etwa zu den Verteidigungs-, den Sozial- oder den Verkehrsausgaben, erfahren sie von den Haushaltsplanungen der Bundestagsverwaltung nicht erst, wenn der Entwurf offiziell zur Beratung im Bundestag eingetroffen ("eingebracht") ist. Sie sehen ihn schon während des Entstehens, können schon an Weichenstellungen mitwirken, frühzeitig "stop" oder "go" sagen und Erfahrungen des Hauses und von Kollegen frühzeitig mit einbringen.
Nie war dies so wichtig wie nach dem Umzug von Bonn nach Berlin, wo sich das parlamentarische Leben gerade in neuer Umgebung entwickelt. Natürlich würden auch die Abgeordneten gerne aus dem Vollen schöpfen. Doch wer die Mentalität der "Haushälter" kennt, der weiß um ihre herausstechenden Eigenarten. "Da muss auch sparsam mit Steuergeldern umgegangen werden", sagt Jürgen Koppelin, für die F.D.P. Mitberichterstatter in Sachen "02". Wobei sich die Haushälter andererseits auch unabänderlichen Entwicklungen nicht verschließen. So verweist Koppelin darauf, dass Deutschland für viele Staatsmänner aus dem Ausland seit dem Umzug nach Berlin attraktiver geworden ist. "Es gibt viel mehr Politiker, die das Parlament und die Regierung in Berlin besuchen wollen." Die natürliche Folge: Der entsprechende Etatansatz muss unweigerlich erhöht werden. Wenn weit reichende Reformen auf mehr Politikfeldern umfassend vorzubereiten sind, deshalb über den Tag hinausreichende Politikempfehlungen zu erstellen sind, fällt, wie Koppelin als weiteres Beispiel für Veränderungen beschreibt, auch für die Gutachten mehr Geld an, die von den Enquete-Kommissionen des Bundestages in Auftrag gegeben werden.
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NATO-Parlamentarier: Die internationalen Beziehungen des Bundestages müssen finanziert werden. |
Das ist zur Zeit in einzelnen Provisorien problematisch. Abgeordnete und ihre Mitarbeiter treten sich in engen Schläuchen von Büros buchstäblich auf die Füße. Aber auch nach dem für nächsten Sommer vorgesehenen internen Umzug in die Bundestagsneubauten blieb zunächst ein Engpass, den die "EP 02"-Berichterstatter jetzt aufgelöst haben: Für den Abgeordneten und seine in der Regel zwei Angestellten (Sekretariat und wissenschaftliche Mitarbeit) stehen dann auch drei Computer zur Verfügung. In anderen Behörden und Firmen ist dies in vergleichbaren Positionen seit langem Standard. Bislang aber konnten gleichzeitig immer nur zwei von dreien an den Rechner. Damit auch der Bundestag auf der Höhe der "IT"-Zeit ankam, gab zunächst die Fachkommission für die Informationstechniken ihr Votum ab, befürwortete der Haushaltsausschuss das Vorhaben und musste sodann auch noch die Ausführungsbestimmung zum Abgeordnetengesetz geändert werden.
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Auf grünem Papier: die Vorschläge der Berichterstatter. |
Wir können natürlich auch als Haushälter nicht an diesen Dingen vorbei", stellt der "02"-Berichterstatter der SPD-Fraktion, Rolf Niese, fest. Und genauso natürlich achten die Berichterstatter auf den sparsamen Umgang mit dem Geld. "Es müssen dieselben Maßstäbe gelten wie für die Fachministerien – wir würden sonst unglaubwürdig", gibt Niese zu bedenken. Und deshalb bleibt der Bundestag mit seinem eigenen Etat auch auf dem Teppich. Als jetzt die Abrechnungstatbestände für die Bürokosten der Wirklichkeit des neuen Jahrtausends angepasst wurden, kamen zwar auch die Ausgaben für dienstliche Handy-Gespräche mit hinein. Doch der Gesamtplafond blieb unverändert. Dann muss sich der Abgeordnete, der mehr mobil telefoniert, halt an anderer Stelle einschränken.
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Parlamentsneubauten: Ein dicker Brocken im Haushalt. |
Wie gesagt: Vorbildfunktion. Auch Antje Hermenau, die "02"-Mitberichterstatterin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, nimmt diesen Aspekt ebenfalls sehr genau. "Wenn sämtliche Ministerien unter dem Sparzwang der Haushaltskonsolidierung stehen, muss das auch für den Bundestag gelten", betont sie. Nach ihren Erfahrungen bewegen sich die Kollegen beim Bundestagsetat "auf furchtbar dünnem Eis". Was den Abgeordneten und den Parlamentsmitarbeitern noch zuzumuten ist und was bereits die Würde des Hauses berühre, werde je nach Einstellung sicherlich unterschiedlich beantwortet. Daher ist der "EP 02" aus ihrer Sicht "oft auch ein diplomatisches Parkett", wo vorsichtig sondiert werden müsse, was noch nur wünschenswert und was schon absolut notwendig ist.
"Alles andere als eine Luxusausstattung", macht Jochen Borchert, "02"-Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion, im Umfeld der Abgeordneten aus. Selbst die künftige Unterbringung mit drei kleinen Räumen sei zwar besser als zu Bonner Zeiten, doch Platz für Besprechungen politischer Initiativen sei auf den 16 Quadratmetern kaum drin. Für den erfahrenen Politiker gehört der Bundestagsetat aus Haushälter-Sicht zu den interessantesten Einzeletats. Schon weil der Bundestag ihn selbst aufstellt, und so die Berichterstatter quasi vom ersten Augenblick an daran beteiligt sind. Hinzu kommt für den Bundestag im weiteren Verfahren ein Sonderrecht, wie es allen obersten Bundesbehörden zusteht, die im Kabinett nicht selbst vertreten sind und somit auch bei der formalen Aufstellung des Haushaltsentwurfes durch die Bundesregierung nicht präsent sein können: Gibt es in diesem Prozess kein Einvernehmen, muss die Bundesregierung die jeweils anderen Vorstellungen der einbringenden Stelle ihrem eigenen Entwurf beifügen. So soll für jeden sichtbar von Anfang an nichts unter den Tisch fallen.
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Ausschuss: Die Sitzungen der Ausschüsse und anderer Gremien finden ebenfalls ihren Niederschlag im Etat. |
Derzeit ist der Einzeletat des Bundestages bei gut einer der insgesamt 477 Milliarden Mark des Gesamthaushalts angekommen. Und dennoch weiß auch Borchert: "Im Einzelplan 02 ist kein Sparvolumen." Denn diese Summe hängt auch mit den Neubauten, den Umzugskosten und den Anmietungen von provisorischen Unterkünften zusammen. "Dieser Aufwuchs wird in den nächsten Jahren wieder zurückgefahren", betont Borchert. Es ist nicht nur diese imposante Summe, die von den Berichterstattern Posten für Posten durchgesprochen und oft genug in Details noch geändert wird. In diesem Jahr 44 Mal allein noch nach der Einbringung des Entwurfes. Schließlich kann zwischen dem Aufstellen im Frühjahr und der Entscheidung im Herbst vieles geschehen. Darunter auch vermeintliche Kleinigkeiten, die für die Betroffenen aber wichtig sind. "Wir kümmern uns auch um ganz irdische Dinge", erzählt die PDS-"02"-Berichterstatterin Barbara Höll. Zum Beispiel um Pförtner, die im Luftzug sitzen und denen dringend baulich geholfen werden muss. Das führt nach den Worten von Frau Höll zu einer enormen Arbeitsbelastung für die Berichterstatter, vor allem in kleineren Fraktionen, wo einer zwischen sechs und acht Einzelpläne zu bearbeiten habe. "In dem Vierteljahr der Haushaltsberatungen kommt da ein enormes Schlafdefizit zusammen."
Die starke Arbeitsbelastung der einzelnen Mitglieder bewirkt jedoch auch die für den Ausschuss typische Athmosphäre.Wo Abgeordnete jedes Jahr so viele Stunden und Tage zusammen beraten und unterschiedliche Vorstellungen in eine nachvollziehbare Zahlenfolge zu übertragen versuchen, ist das menschliche Miteinander besonders wichtig. "Da duzt auch der CSU-Politiker die PDS-Kollegin", berichtet Koppelin. Und: "Man respektiert sich – jeder kommt ausführlich zu Wort."
Vielleicht ist das der Grund, warum am Ende der Berichterstattergespräche so viel Farbe steht: Was die Berichterstatter für den jeweiligen Einzelplan dem Haushaltsausschuss zur Schlussrunde einvernehmlich empfehlen, ist auf grünem Papier festgehalten. Für das meiste im "02" gibt es in der Regel grünes Licht auf grünem Grund.
Gregor Mayntz