Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen Konvent am 04. Oktober 2002
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Mitglied der Arbeitsgruppe Subsidiarität möchte ich
vorweg Iñigo Méndez de Vigo für die kluge,
flexible und kollegiale Leitung der Arbeitsgruppe danken und
dafür, dass er es verstanden hat, auch ein Einvernehmen mit
der Arbeitsgruppe "Nationale Parlamente" unter dem Vorsitz von
Gisela Stuart herzustellen. Ich werbe sehr für den innovativen
Vorschlag, den Iñigo Méndez de Vigo eben vorgetragen
hat. Das ist der Versuch, auf der einen Seite die Rolle der
nationalen Parlamente bei der Subsidiaritätskontrolle neu zu
definieren, auf der anderen Seite aber drei Gefahren zu vermeiden.
Die erste Gefahr ist, dass durch ein neues Gremium - etwa einen
Subsidiaritätsausschuss - die Handlungsfähigkeit der
erweiterten Union Schaden nehmen könnte. Die zweite Gefahr,
die wir vermieden haben, ist, dass die Ebenen der Europäischen
Union einerseits und der Mitgliedstaaten andererseits vermischt
werden. Soweit nationale Parlamente an der Kontrolle beteiligt
sind, geben sie Stellungnahmen ab, aber sie entscheiden nicht. Die
Entscheidungen fallen auf der Ebene der Union, das heißt, wie
bisher durch Europäisches Parlament, Rat und unter ganz
wesentlichem Einfluss der Kommission. Richtig ist, was Herr Michel
gesagt hat: Das Hauptaktionsfeld der nationalen Parlamente ist die
Einflussnahme auf die eigenen Regierungen, die dann im Rat handeln.
Wichtig ist schließlich, dass durch unseren Vorschlag keine
Verzögerungen eintreten, und deshalb die Fristen.
Jetzt möchte ich auf drei Einwände eingehen, die eben
erhoben wurden. Andrew Duff hat gemeint, das mit dem Klagerecht
für zwei Kammern sei ein Druckfehler. Das ist es nicht,
sondern hier im Konvent tragen wir doch auch der Tatsache Rechnung,
dass es in vielen Ländern zwei Kammern für Gesetzgebung
gibt. Da kann man doch nicht sagen, nur eine Kammer oder beide
zusammen können Bedenken geltend machen, denn hier sind ja
auch für jede der beiden Kammern je ein Delegierter im
Konvent. Genau dieser Gedanke würde etwa für Deutschland
bedeuten, dass es ein Klagerecht für Bundestag und Bundesrat
geben könnte. Ich finde, dass dies alles andere als ein
Druckfehler ist, sondern unserem Denken hier im Konvent Rechnung
trägt. Dieses Klagerecht ist das Neue. Die nationalen
Parlamente machen zwar nur Bedenken geltend, sie entscheiden nicht
mit, aber ihre Bedenken erhalten Gewicht dadurch, dass diejenigen,
die dann auf der europäischen Ebene entscheiden müssen,
beschließen, dass evtl. geklagt wird.
Dann gibt es ein zweites Bedenken von Andrew Duff hinsichtlich
merkwürdiger Verhaltensregelungen im early-warning-Verfahren.
Dazu kann ich nur sagen: Eine gelbe Karte zu erheben, um ein
Klagerrecht gewissermaßen zu reservieren, ist deshalb nicht
notwendig, weil, wenn man nicht in der ersten Phase Bedenken
geltend macht, immer in Ruhe die letzte abgewartet werden kann,
denn im Vermittlungsverfahren, also in der Endphase, können
die nationalen Parlamente noch einmal Bedenken geltend machen -
vielleicht erstmals -, und dadurch eben auch ein Klagerecht
erhalten. Dieser Druck, gleich am Anfang mit Gewalt Bedenken
geltend zu machen, besteht gerade nicht, weil es die Schlussphase
des Vermittlungsverfahrens gibt und man da immer noch sagen kann:
Moment, die Subsidiarität wird verletzt!
Ein zweites Bedenken, das ich öfter gehört habe, besteht
darin, dass nationale Parlamente gegen Gesetzgebungsprojekte
Bedenken geltend machen können, weil sie sie in Wirklichkeit
aus politischen Gründen nicht wollen, was mit
Subsidiarität oder dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nichts zu tun hat. Antwort: Das
wird sich sehr rasch erledigen, denn wenn mit solchen
Begründungen geklagt wird, dann wird der EuGH sehr rasch
sagen: Wir prüfen nur die Subsidiarität und den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit, nicht aber die politische
Zweckmäßigkeit. Wenn die gerügt wird, müsst
ihr das politisch austragen. Das ist keine Sache für das
Gericht. Europa soll nicht zum Amtsgericht denaturiert werden.
Genau das ist die Idee, die unseren Vorschlägen zugrunde
liegt. Ich unterstütze sie voll und ganz.