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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Hans Klein, CDU/CSU Siegrun Klemmer, SPD >>

Der Verlauf dieser Debatte, insonderheit der ersten Stunden, widerlegt alle, die den Deutschen Bundestag in den letzten Wochen gescholten oder der Entscheidungsscheu geziehen haben. Die Kolleginnen und Kollegen, die bisher das Wort ergriffen, traten ungeachtet ihrer Parteinahme für eine der Entscheidungsmöglichkeiten und ungeachtet der häufig so unüberwindbar scheinenden Fraktions- oder Gruppenbarrieren als Vertreter des ganzen Volkes auf. Und in ihrer Mehrzahl haben sie sich auch der Verantwortung für die jeweilige Gegenseite gestellt.

Ich habe mir meine eigene Entscheidung nicht leichtgemacht, und ich stehe nicht an zuzugeben, daß ich viele politische Erwägungen und persönliche Empfindungen dabei aufarbeiten mußte. Das überzeugende Bekenntnis des Bundeskanzlers zu Berlin, die schwergewichtige Begründung des Bundesfinanzministers für eine Kompromißlösung, also räumliche Trennung von Parlament und Regierung, die im stillen gestellte Frage, wie wohl Franz Josef Strauß entscheiden würde, die Erinnerung an ein halbes Jahrhundert Leid und Tod, Mut und Optimismus der Berliner und schließlich die Selbstverständlichkeit, mit der wir fast alle in den Jahren der Teilung Berlin als die ehemalige und künftige Hauptstadt Deutschlands betrachteten, haben mich bewegt.

Da es den meisten von Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, sicherlich ähnlich ergangen ist, finde ich die Unterstellung, es gehe den Abgeordneten um ihre Bequemlichkeit, nicht nur unwürdig, sondern auch wirklichkeitsfremd. Mein Münchner Wahlkreis ist genauso weit von Bonn entfernt wie von Berlin. Kaum einer von uns -- und das schließt die Mehrzahl sogar der Kabinettsmitglieder ein -- hat seinen Lebensmittelpunkt nach Bonn verlegt. Wir leben in den Sitzungswochen getrennt von unseren Familien. Das wird durch Bleiben oder Gehen nicht verändert.

Ich stimme der Feststellung des Kollegen Thierse zu, es gehe um die zukünftige politische und gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands. Wenn diese Entwicklung aber keine Abkehr von der freiheitlichsten Verfassungswirklichkeit sein soll, in der je Deutsche gelebt haben, keine Aushöhlung unserer Bundesstaatlichkeit zugunsten eines -- im Blick auf die Föderalisierungsbestrebungen bei vielen unserer europäischen Nachbarn anachronistischen -- Föderalismus und keine Rückkehr zu der geopolitischen Janusköpfigkeit Deutschlands, aus der so viel Tragik für unseren Kontinent erwachsen ist, dann müssen wir in dieser Debatte, in der immer wieder von Symbolwirkungen die Rede ist, auch die national wie international positive Symbolkraft Bonns anerkennen.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Mit dieser Feststellung versuche ich nicht etwa, Gefahren im Falle einer Entscheidung für Berlin zu beschwören, sondern lediglich zu kennzeichnen, wofür Bonn auch in einem historischen Sinne steht.

Wenn Herr Gysi fordert, die deutsche Geschichte in ihrer Gesamtheit anzunehmen, dann drängt sich mir als geborenem Sudetendeutschen und als bayerischem Abgeordneten natürlich der Gedanke auf, daß die deutsche Geschichte bald tausend Jahre älter ist als der 1871 gegründete deutsche Teilstaat mit der Hauptstadt Berlin.

Das Jahr 2000 ist heute mehrfach erwähnt worden. Unterstellt, daß der europäische Integrationsprozeß um die Jahrtausendwende sich bereits weit nach Norden und Osten unseres Kontinents erstreckt, kann es dann nicht notwendig werden, wichtige europäische Institutionen nach Berlin zu verlagern, weil es näher liegt an Prag, Budapest, Warschau oder Helsinki? Wären -- bei nüchterner Einschätzung der Gefühle unserer Nachbarn -- Berlins Chancen für eine solche europäische Rolle größer oder kleiner, wenn es zugleich das politische Zentrum des vereinigten Deutschlands wäre?

Einige meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben die Meinung des Auslands strapaziert. Haben Sie auch einmal daran gedacht, was die Menschen in der Dritten Welt -- die sich ehrlich mit uns gefreut haben über die Vereinigung Deutschlands -- dabei empfinden würden, wenn wir einen fast komplett ausgebauten und funktionsfähigen Sitz von Regierung und Parlament stehen und liegen ließen, um für viele Milliarden das gleiche woanders zu errichten?

Ich werde für Bonn stimmen. Dennoch tue ich dies nicht in totaler Selbstgewißheit. Ich bekunde allen Kolleginnen und Kollegen Respekt, die aus guten Gründen anders entscheiden wollen. Ich danke auch allen, die mit großem Einsatz einen Konsens gesucht, aber nur einen offenkundig nicht konsensfähigen Kompromiß gefunden haben. Die Entscheidung, die wir heute treffen, wird eine demokratische Entscheidung sein. Sie sollte nicht durch Radikalformulierungen abgewertet werden. Und ich erkläre, daß ich als Demokrat jede Entscheidung dieses Hohen Hauses akzeptieren werde.

Siegrun Klemmer, SPD >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_145
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