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Debatte
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Wortlaut der Reden, die zu Protokoll gegeben wurden

Siegrun Klemmer, SPD Roland Kohn, FDP >>

Die Bonner Demokratie ist seit dem 3. Oktober 1990 nicht mehr dieselbe. Die alte Bundesrepublik hat aufgehört zu existieren, obwohl man gerade aus etwas östlicherer Sicht häufig den Eindruck gewinnt, daß das noch nicht immer ausreichend wahrgenommen wird. Wir sind unumstößlich ein anderes Land geworden, und wenn die Einigung nicht doch nur ein Anschluß sein soll, müssen wir für alle Bewohner dieses Landes einen sichtbaren Neuanfang wollen. Dieser Neuanfang soll mit Blick auf die Neuen Länder, aber auch mit Blick auf die Menschen in Osteuropa unseren Willen deutlich machen, der auf dem Papier vollzogenen Einigung eine Politik folgen zu lassen, die eine neue Schwerpunktsetzung auch durch örtliche veränderte Schwerpunktsetzung unterstreicht. Die deutsche Einigung zu wollen, gleichzeitig aber auf der Unveränderbarkeit der Zustände in der alten Bundesrepublik zu beharren, wo sich für 16 Millionen so gut wie alles ändert, das geht nicht zusammen.

Die von Bonn aus hervorragend bewältigte Westintegration ist abgeschlossen. Unsere Beziehungen zu unseren westlichen Partnern ruhen sozusagen auf einer tragfähigen, breiten Brücke, die das trennende Wasser überwunden hat. Davon kann in Richtung auf unsere östlichen Nachbarn noch lange nicht die Rede sein.

Die Brücke nach Osten ist erst ein Steg, den es zu stabilisieren und auszubauen gilt. Nicht als Bedrohung, sondern als deutliches Signal unseres guten Willens, die veränderten Realitäten in Europa zur Kenntnis zu nehmen, werden die Menschen in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei und auch der Sowjetunion die Verschiebung unseres politischen Zentrums in ihre Richtung zu werten wissen.

Eine Verlagerung der westeuropäischen Wohlstands-Vertikale, die von London bis Nord-Italien reicht, nach Osten, mit entsprechender Ausfütterung der Linie Berlin, Prag, Wien, Budapest würde unsere Bereitschaft unter Beweis stellen, unserer angemessenen Rolle im Prozeß der gesamteuropäischen Einigung, auch eingedenk unserer Vergangenheit, gerecht zu werden.

Glaubwürdigkeit: Nicht zuletzt mit Blick auf Menschen, die 40 Jahre und länger ohne demokratische Erfahrungen gelebt haben, sollten wir das Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ihre ersten Erfahrungen mit dem neuen politischen System der neuen Republik sind für viele nicht unbedingt ermutigend: das offizielle Kanzlerversprechen, daß es niemandem schlechter gehen werde, hat sich leider nicht bewahrheitet. Die Erfahrung, daß die von ihnen mehrheitlich gewünschte Einigung gerade in dem Punkt nicht vollzogen wird, dessen Bestätigung 40 Jahre lang stets proklamiert wurde, stellt zu Beginn der demokratischen Biographie der einen Hälfte unseres neuen Landes eine schwere Hypothek an die politisch Handelnden dar, und ich fürchte, daß es nicht gelingen wird, diese Hypothek ohne zusätzlichen Glaubwürdigkeitsverlust abzutragen.

Nicht nur z. B. Aufbaupläne und Abwicklung, die Arbeit der Treuhand und Betriebsstillegungen dürfen den Einigungsverlauf kennzeichnen: verlorengegangen ist den neuen Bundesbürgern schon zu viel -- ein Rest von Identität mit Berlin als wirklicher Hauptstadt könnte durch unsere Entscheidung gerettet werden.

Aber auch in den alten Bundesländern klagen wir über Parteien- und Politikverdrossenheit. Lassen Sie uns nicht den Fehler machen, daß wir als politische Klasse den fatalen Eindruck erwecken, als ob es etwas Normales sei, daß politisch Handelnden nicht geglaubt wird!

Gestatten Sie mir als Berliner Abgeordneten ein persönliches Wort: Wir haben den Bekundungen für unsere Stadt Glauben geschenkt und sind ganz ausdrücklich dankbar für die ideelle und materielle Unterstützung, ohne die wir im West-Teil nicht hätten überleben können. Was aber die Menschen in Berlin, die ausgewiesen kritisch und realistisch sind, nicht verstehen, ist der Zeitpunkt des Sinneswandels, der justament eingetreten ist, als ihrer Stadt übertragen werden konnte, was bis gestern von niemandem in Zweifel gezogen wurde. Hier in Zukunft noch politisch überzeugen zu wollen wird uns schwerfallen: quer durch alle Parteien.

Gerade in den letzten Tagen hat die Öffentlichkeit uns kräftig gescholten wegen der teilweise unwürdigen Auseinandersetzungen. Mit der heutigen Debatte machen wir, denke ich, deutlich, daß wir uns die Entscheidung nicht leichtgemacht haben. Lassen wir diesem teilweise quälenden Diskussionsprozeß ein wegweisendes verantwortliches Ergebnis folgen, das gerade unter den veränderten europäischen Bedingungen weit über das Jahr 2000 hinaus auch für nachfolgende Generationen Bestand hat und das zeigt, daß die Abgeordneten des 12. Deutschen Bundestages mit der kompletten Ausgestaltung der Einigung Ernst machen!

Bitte stimmen Sie für Berlin ohne Wenn und Aber!

Roland Kohn, FDP >>
Quelle: http://www.bundestag.de/bau_kunst/berlin/debatte/bdr_146
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