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Mobilmachung

Bild: Lars Klingbeil
Lars Klingbeil, SPD.

Mut zum Ja, Mut zum Nein

Es gehört Mut dazu, gegen den Strom zu schwimmen, eigene Ängste zu überwinden, über den eigenen Schatten zu springen. Aber ist es „cool“, vorgesehene Wege zu verlassen, fördert es die Karriere, den Windschatten des Zeitgeistes zu vermeiden? Manchmal hat man keine Wahl. Lars Klingbeil, SPD, hat Nein gesagt zur Bequemlichkeit im Kampf gegen Rechtsextreme.

Aufgewachsen bin ich in einer ziemlichen Idylle. Munster in der Lüneburger Heide, eine schmucke Stadt mit vielleicht 19.000 Menschen. Da geht es beschaulich zu, Schwierigkeiten oder Streit gehen die Munsteraner lieber aus dem Weg. Daher war es für mich ein ziemlicher Schock, als ich erfahren habe, dass es nur ein paar Kilometer von Munster entfernt ein Schulungszentrum von Rechtsextremen gab. In Hetendorf am Rand der schönen Heide saßen Menschen und machten sich Gedanken, warum die Arier die besten Menschen auf der Welt sind. Unglaublich. Da gab es morgens Unterricht zur Rassenkunde und abends versammelten sich ordentliche blonde Vorzeigefamilien an großen Lagerfeuern. Für mich war schnell klar, dass ich dagegen was tun wollte. Das war 1996, damals war ich 18 Jahre alt, in der zwölften Klasse.

Ich bin also mit zwei Freunden auf eine Demonstration nach Hetendorf gefahren. Da haben wir mit anderen die Wege blockiert, damit die „Arier“ nicht zu ihrer Sonnenwendfeier auf das Gelände kommen. Das war uns aber nicht genug. Wir wollten irgendwie ein Zeichen setzen. Natürlich gegen diesen Nazitreff, aber auch gegen die Bequemlichkeit der Menschen. Ich weiß, dass die meisten Leute in Munster und Hetendorf gegen solchen nationalsozialistischen Propagandaschrott und fremdenfeindlichen Hass waren, aber sie wollten auch nicht aktiv was dagegen machen. Worüber man nicht spricht, das gibt es auch gar nicht – so in der Art. Gerade das Wegschauen hat uns aber motiviert, dranzubleiben. Wir haben mit den Leuten in unserer Schule gesprochen, Flugblätter verteilt, Plakate geklebt. Dann haben wir einen Informationsabend in einer Kneipe in Munster organisiert. Zu dem sind ungefähr fünfzig Leute gekommen. Die meisten waren so alt wie wir, das fanden wir gut. Wir hatten einen Mann von einer Bürgerinitiative aus Hetendorf eingeladen. Er hat darüber gesprochen, wie wir bei ihnen mitmachen könnten.

Bei unserem größten Erfolg aber hat uns der Zufall geholfen. Wir fanden heraus, dass die kleine, braune Propagandazeitung des Treffs in Munster gedruckt wurde. Wir sind also zu dem Besitzer der Druckerei und haben ihn gebeten, das rechtsextreme Blatt nicht mehr zu drucken. Ich war natürlich nervös, so als kleiner Schüler im Büro des erfolgreichen Geschäftsmanns. Es war auch leider umsonst, weil der Mann erklärte, er drucke für jeden Kunden, es ginge schließlich ums Geschäft.

Die Haltung fanden wir nicht in Ordnung und haben deshalb eine Mappe zusammengestellt – mit Informationen über das Nazizentrum und mit Artikeln aus ihrer Hetz-Zeitung. Die haben wir an verschiedene Kunden des Druckers geschickt. Mit Erfolg. Einige haben ihre Sachen dann woanders drucken lassen. Zwei Jahre später wurde das Tagungszentrum vom niedersächsischen Innenministerium verboten. Auch wenn ich da schon in Hannover meinen Zivildienst gemacht habe, war das für mich eine tolle Sache, ein kleiner Sieg über das bequeme Nichtstun.

Aufgezeichnet von Tobias Asmuth,
Foto: Photothek
Erschienen am 30. Mai 2005


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