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Der Konflikt

Bild: Irmingard Schewe-Gerigk
Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen,

Mut zum Ja, Mut zum Nein

Es gehört Mut dazu, gegen den Strom zu schwimmen, eigene Ängste zu überwinden, über den eigenen Schatten zu springen. Aber ist es „cool“, vorgesehene Wege zu verlassen, fördert es die Karriere, den Windschatten des Zeitgeistes zu vermeiden? Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen, ist gegen jeden Krieg – und hat trotzdem für den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr gestimmt.

Jeder Politiker und jede Politikerin hat ein paar feste Überzeugungen, die für ihn oder sie unumstößlich sind, die vielleicht der Grund sind, weshalb er oder sie überhaupt in die Politik gegangen sind. Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel und für mich war immer klar: Ich bin gegen Gewalt und Krieg. Pazifismus ist eine ganz wichtige Haltung in meinem Leben, die mich neben dem Eintreten für Menschenrechte in meine Partei „Die Grünen“ geführt hat. Und selbst als sich meine Partei 1998 nach harten Diskussionen entschlossen hatte, für den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo-Krieg zu stimmen, habe ich bei der Abstimmung im Bundestag mit Nein gestimmt. Es stand für mich fest, dass ich in dieser Frage meinem Gewissen und nicht der Linie meiner Partei folgen musste.

Als dann im November 2001, als Antwort auf den 11. September, über den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan im Bundestag abgestimmt wurde, war ich mir sicher, dass ich wieder mit Nein stimmen würde. Dann aber geriet ich in die schwierigste Situation in meinem Leben als Politikerin. Mit mir wollten acht Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen mit Nein stimmen. Das hätte bedeutet, dass die Regierung keine eigene Mehrheit zusammenbekommen würde. Unsere acht Stimmen hätten den Militäreinsatz aber gar nicht verhindern können, weil die Opposition aus CDU/CSU und FDP auch mit Ja stimmen wollte.

Trotzdem wuchs in den Tagen vor der Abstimmung der Druck auf die Regierung. In den Medien hieß es, wer in einer solchen Frage keine eigene Mehrheit habe, sei gescheitert.

Bundeskanzler Schröder hat daraufhin die Abstimmung über den Einsatz in Afghanistan mit der Vertrauensfrage verknüpft. Das hieß: Entweder er bekommt die Mehrheit oder die Regierung ist am Ende. Für mich bedeutete diese Verknüpfung ein schlimmes Dilemma: Ich war immer noch gegen den Militäreinsatz, gleichzeitig wollte ich nicht meine Regierung stürzen. Hatte ich das Recht, als einzelne Abgeordnete die Koalition zu beenden, obwohl Koalitionen von Fraktionen geschlossen werden? In den kommenden Nächten habe ich sehr schlecht geschlafen und viel gegrübelt. An einem frühen Morgen teilte ich der Gruppe mit, dass ich die Entscheidung für ein Koalitionsende der Fraktion überlassen wolle und mit „Ja“ stimmen werde. Drei weitere folgten mir.

Ich bin danach von Lehrern in ihre Klassen eingeladen worden, weil auf dem Lehrplan im Politikunterricht gerade stand: „Der/die Abgeordnete ist nur seinem/ihrem Gewissen verpflichtet.“ Das waren für mich wirklich harte Diskussionen. Die Schülerinnen und Schüler haben mich immer wieder gefragt: „Wenn Sie gegen Bomben und Gewalt sind, dann müssen Sie doch auch mit Nein stimmen.“ Das stimmt natürlich, aber ich habe dann auch geantwortet, dass mein Gewissen eben zwei Entscheidungen treffen musste: eine gegen den Krieg und eine für meine Regierung. Viele haben meinen geteilten Gewissenskonflikt verstanden, aber nicht alle haben deshalb mein Ja akzeptiert. Denn natürlich ist die Entscheidung für oder gegen einen Kriegseinsatz die existenziellere Frage.

Ich bin mir aber immer sicher gewesen, dass ich mit Nein gestimmt hätte, wenn es die Chance gegeben hätte, den Einsatz der Bundeswehr zu verhindern. Gleichzeitig hoffe ich heute, dass ich nie wieder in eine solche Lage komme.

Aufgezeichnet von Tobias Asmuth,
Foto: Photothek
Erschienen am 30. Mai 2005


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