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Politiker für einen Tag
Natürlich sind die frischgebackenen Abgeordneten etwas aufgeregt, denn im Bundestag oder in einem anderen Parlament hat bisher keiner von ihnen gesessen. Damit sie trotzdem schnell mit dem „Politikmachen“ beginnen können, erhält jeder Neu-Parlamentarier zunächst ein Rollenprofil. Darin ist detailliert beschrieben, welchen Abgeordneten jeder Einzelne verkörpern soll und welche politische Auffassung dieser vertritt.
Zunächst schauen die Schüler der Klasse 10a der Regionalen Schule „Am Ploggensee“ aus Grevesmühlen etwas ratlos auf ihre Rollenbeschreibungen. Sie sollen beim Planspiel des Deutschen Bundestages für einige Stunden in die Rolle von Bundestagsabgeordneten schlüpfen. „Parlamentarische Demokratie spielerisch erfahren“ heißt die Veranstaltung für Schulklassen aus ganz Deutschland.
Nachdem jeder weiß, welchen Part er spielen soll, lockert sich die Stimmung. Die Wahl des eigenen Politikernamens steht an. Bald zieren so manche Prominentennamen die Namensschilder. Nun streiten sie als Abgeordnete der Fraktionen APD, KVP, ÖSP und LRP miteinander. Es geht um einen Gesetzesentwurf der APD-Fraktion zur Einführung eines Jugend- und sogar Kinderwahlrechts auf Bundesebene.
„Nach dem Planspiel realisieren die meisten Schüler, wie umfangreich und stressig die Arbeit der Abgeordneten ist und wie schwierig es ist, die eigenen Vorstellungen durchzusetzen“, erzählt die Planspielleiterin Stefanie Schmidt. Die freie Mitarbeiterin im Auftrag des Besucherdienstes des Bundestages legt bei der Betreuung der Schulklassen großen Wert darauf, dass die Jugendlichen die Arbeitsweise des Bundestages und die arbeitsteilige Struktur der Parlamentsarbeit nachvollziehen können. Die Wahl von Funktionsträgern wie Fraktions- und Ausschussvorsitzenden gehört ebenso dazu wie die Erarbeitung von Stellungnahmen in den Fraktionen.
Klassenleiterin Kathrin Werner erhofft sich daraus für ihre Schüler einen Anstoß: „Ich würde mir wünschen, dass sie sich mit Lust und Freude ein bisschen mehr für Politik interessieren, als sie es in dem Alter für gewöhnlich tun, und dass der eine oder die andere wirklich mit einem Aha-Effekt hier herausgeht.“
Schon nach kurzer Zeit geht es zu wie in der richtigen Politik: Sowohl in den „Ausschüssen“ als auch in der „zweiten Lesung“ des Gesetzentwurfs im „Plenum“ versuchen die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen APD und ÖSP, die Oppositionspolitiker der KVP und der LRP von ihren Vorstellungen zu überzeugen und für den Gesetzentwurf zu gewinnen. Allerdings mangelt es ihnen ein wenig am Feingefühl. Nach einigen Verbalattacken während der Ausschusssitzung blockt der LRP-Fraktionsvorsitzende Dr. Dr. Timm – die meisten nennen ihn aber Paul – ab. Sein Kompromissangebot, Wahlrecht ab 17 Jahren, wurde zurückgewiesen.
Danach steht für Timm fest, dass seine Fraktion den Gesetzesentwurf ablehnen wird. Lediglich eine Abweichlerin ist in den eigenen Reihen: „Die war eigentlich schon die ganze Zeit für den Entwurf“, erklärt er und weiß, dass diese Stimme nicht ausschlaggebend für die notwendige Zweidrittelmehrheit ist. Was er nicht weiß: Mittlerweile sind auch mehrere Abgeordnete der KVP „umgekippt“ und haben ihre Zustimmung für das Gesetzesvorhaben signalisiert.
Das Plenum stimmt ab – und die Überraschung ist perfekt: Der Gesetzesentwurf der APD-Fraktion scheitert mit zwölf zu acht Stimmen. Die Zweidrittelmehrheit ist verfehlt, weil zwei Abweichler zurück auf Parteilinie geschwenkt sind. „Irgendwer muss die wieder umgestimmt haben“, ärgert sich einer der Gesetzesbefürworter – fast so, als wäre er in der richtigen Politik.
Text: Marcus Meyer
Fotos: Anke Jakob
Erschienen am 29. Juni 2005