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September 03/1998
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Professor Kurt Sontheimer

Wählen ist ein Privileg
von Professor Kurt Sontheimer

Am Sonntag, den 27. September sind die Bürger der Bundesrepublik Deutschland dazu aufgerufen, den Deutschen Bundestag neu zu wählen. Der Bundestag, den wir auch unser nationales Parlament nennen können, ist die politische Vertretung des deutschen Volkes. Ohne die Mitwirkung des Volkes in Gestalt seiner Bürger könnten wir uns keine Demokratie nennen, und es sind die Wahlen zu den repräsentativen Körperschaften, die zu den wichtigsten und vornehmsten Aufgaben und Pflichten des Bürgers in einer Demokratie gehören.
Die politischen Parteien, die sich zur Wahl stellen, wissen sehr genau, warum Wahlen wichtig sind. Sonst würden sie in den vor dem Wahltag liegenden Monaten und Wochen des Wahlkampfes nicht so außerordentliche Anstrengungen unternehmen, um die Wähler für sich zu gewinnen, indem sie ihn von der Qualität ihres politischen Programms und der Vertrauenswürdigkeit der Männer und Frauen zu überzeugen suchen, die von ihnen als Kandidaten aufgestellt worden sind.
Manchen Bürgern ist nicht so ganz klar und einsichtig wie den Parteien, welch außerordentliche Bedeutung der Wahlakt für die Demokratie besitzt. Durch die Wahlen zum Deutschen Bundestag wird über die parteipolitische Zusammensetzung, und damit über die Machtverteilung im höchsten politischen Organ unserer Verfassung entschieden. Die Zusammensetzung des Parlaments in Form von Sitzen oder Mandaten ist die Grundlage für die Bildung der Bundesregierung, die ihrerseits von der Mehrheit des Parlaments gewählt werden muß. Der Wähler hat es somit weitgehend in der Hand zu bestimmen, wer die Regierungsmacht in unserem Staat ausüben soll. Gewiß hat der einzelne dabei nur eine Stimme unter vielen Millionen, aber die vielen einzelnen Stimmen summieren sich zu einem Gesamtergebnis, das über die Richtung entscheidet, welche die Politik der Bundesrepublik nehmen soll.

Demokratische Legitimation

Demokratische Wahlen sind auch deshalb wichtig, weil durch sie die zu wählenden Abgeordneten als Volksvertreter legitimiert werden. Demokratie kann ja nicht Volksherrschaft im strengen Sinne des Wortes bedeuten, denn wenn alle miteinander und übereinander herrschen wollten, ist das Chaos wahrscheinlicher als eine funktionierende Ordnung des Zusammenlebens. Dar-um sind alle großen Demokratien darauf angewiesen, die Regelung der politischen Angelegenheiten an Repräsentanten zu übertragen, die stellvertretend für das Volk die Gesetzgebung und die Regierungsgeschäfte wahrnehmen. Doch beim Volk, also bei den Bürgern, liegt die Souveränität, das heißt die Macht, durch die Wahlen diejenigen Personen zu bestimmen, die das für das Wohl des Volkes so wichtige politische Geschäft auszuüben haben und sich dafür bei künftigen Wahlen vor dem Volk verantworten müssen.

Verhängnis Extremismus

Die Wahlen verleihen den Gewählten, wenn man sich gehoben ausdrücken will, die demokratische Weihe. Darum sollte der Wähler bei seiner Entscheidung in der Wahlkabine auch darauf achten, nur solche Parteilisten und Parteienvertreter zu wählen, von denen er sicher ist, daß sie ihre politische Arbeit im Geist der freiheitlichen Demokratie tun werden. Die Geschichte der Weimarer Republik (1919-1933) hat uns gelehrt, wie verhängnisvoll es sein kann, wenn extremistische Parteien gewählt werden, welche die demokratische Ordnung beseitigen wollen.

Chance zur politischen Korrektur

Demokratische Wahlen haben auch das Gute an sich, daß ihre Ergebnisse nicht endgültig sind. Gewiß sind die Ergebnisse einer Bundestagswahl für die Dauer der sogenannten Wahlperiode (die nächste dauert von 1998 bis 2002) verbindlich, denn um ein Regierungsprogramm verwirklichen zu können, braucht man einige Zeit. Aber vier Jahre später ist in der Regel Schluß mit dem durch die Wähler erteilten politischen Auftrag an ihre Repräsentanten. Dann müssen diese sich wiederum in einer Wahl vor dem Volk verantworten. Dabei wird womöglich ganz anders entschieden als bei der vorausgegangenen Wahl, und die politischen Karten, d. h. die Machtverhältnisse zwischen den politischen Parteien, werden neu gemischt. Dies macht die Lebendigkeit der Demokratie aus und verleiht den Wahlen eine so große Bedeutung für die geschichtliche Entwicklung. Wahlen bieten eine Chance, politische Korrekturen vorzunehmen.

Wichtige Einrichtung der Demokratie

Aus alledem folgt, daß freie Wahlen eine wichtige Einrichtung der Demokratie sind und daß es keine Zumutung an den Bürger und an die Bürgerin ist, wenn die Politiker und die Organe der öffentlichen Meinungsbildung ihn bzw. sie auffordern, sein bzw. ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. Wählen zu dürfen ist ein Privileg, auch wenn es dem einen oder anderen Kopfzerbrechen bereiten mag, welcher Partei er seine Stimme geben soll. Wo es keine freien Wahlen gibt, in denen man ungehindert zwischen verschiedenen Personen und politischen Parteien auswählen kann, herrscht auch keine Freiheit. Ich halte nichts davon, aus dem Wahlrecht auch eine Wahlpflicht zu machen, denn es sollte auch die Freiheit geben dürfen, nicht zur Wahl zu gehen. Doch wer sich vor Augen führt, wofür Geschichte und Gegenwart leider viele Beispiele bieten, wie machtlos, hilflos und entscheidungslos ein Volk ist, das überhaupt nicht wählen darf, oder dem man, wie seinerzeit in der DDR, beim Wählen keine Wahl läßt, der kann leicht ermessen, was für ein Gewinn es ist, in persönlicher Verantwortung die Entscheidung zwischen Kandidaten und ihren Parteien treffen zu dürfen. Darin zeigt sich die politische Freiheit. Zwar gibt es immer wieder gleichgültige Zeitgenossen, die uns weismachen wollen, daß die politischen Parteien allesamt nicht viel taugten, aber diese Auffassung ist derart oberflächlich und unreif, daß man sie am besten ignoriert.

Demokratische Willensbildung

Der Wahlakt selbst, mit dem wir den Gewählten, wie oben zitiert, die demokratische Weihe verleihen, ist, wie es sich für eine so nüchterne Angelegenheit gehört, keine feierliche Sache. Wir bekommen die Wahlzettel ausgehändigt, gehen in die Kabine und machen unsere Kreuze an den Stellen, die wir gemäß unseren politischen Vorstellungen für die richtigen halten. Aber wenn wir das keineswegs selbstverständliche Privileg, frei wählen und entscheiden zu dürfen, in Anspruch genommen haben, dürfen wir zufrieden sein, unseren bescheidenen Anteil an der demokratischen Willensbildung geleistet zu haben. Es gibt in der Demokratie keine Institution, in der es so ausschließlich auf den Bürger ankommt wie bei den Wahlen zu den Volksvertretungen. Diese Chance sollte man sich nicht entgehen lassen.

Historische Dimensionen

Die Bundestagswahlen in diesem Herbst sind die dritten, an denen das seit 1990 wieder in einem Staat zusammenlebende gesamte deutsche Volk mitwirken kann. Es ist eine große Gunst der Geschichte, daß jetzt alle Deutschen die Chance haben, eine für alle gemeinsame Volksvertretung zu wählen und in ihrer politischen Zusammensetzung zu bestimmen.
Die kommende Wahl ist historisch bedeutsam auch darin, da
Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1998/bp9803/9803004
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