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Oktober 08/1999
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Streitgespräch

"Ich kauf ' vor halb sieben ein"

Der Ladenschluss ist heftig umstritten. Braucht man die gesetzliche Regelung der Öffnungszeiten überhaupt noch in Zeiten, wo Kunden im Internet rund um die Uhr einkaufen können? Ist der Ladenschluss ein Schutz für die Arbeitnehmer, sind geschlossene Läden am Sonntag ein Kulturgut oder nur Gängelung des Verbrauchers? Unter Leitung der Berliner Journalistin Andrea Ziech streiten über diese Fragen der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Ernst Schwanhold, und der frühere Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (F.D.P.), in dessen Verantwortung schon einmal der Ladenschluss gelockert wurde.

Blickpunkt Bundestag: Warum muss der Ladenschluss geändert werden?

Ernst Schwanhold, SPD
Ernst Schwanhold

Schwanhold: Die Verbraucher wünschen das und ein Teil des Handels auch. Das belegt das Verbraucherverhalten, die Steigerungen bei den Tankstellen oder an den Bahnhöfen. Darauf müssen wir reagieren.

Rexrodt: Es ist ganz klar, dass die meisten Verbraucher auch abends und sonntags einkaufen wollen. Außerdem müssen wir den Einzelhändlern, die mit ungewöhnlichen Öffnungszeiten und innovativen Ideen ungewöhnliche Käufergruppen erreichen wollen, eine Chance geben. Dann würde aber doch jeder Ladenschluss, egal wann, solche Einzelhändler behindern ...

Rexrodt: ... deshalb muss das Ladenschlussgesetz ohne Wenn und Aber aufgehoben werden. Die Länder können dann für den Sonntag Sonderregelungen beschließen. Das soll uns recht sein. Aber grundsätzlich soll jeder aufmachen können, wann er will.

Schwanhold: Das sehe ich differenzierter und bin anderer Ansicht. Bevor wir uns dazu ganz konkret äußern, wollen wir zwar noch das entsprechende ifo-Gutachten abwarten. Ich gehe aber davon aus, dass die Läden abends länger öffnen können. Es zeichnet sich der Kompromiss ab, die Läden unter der Woche bis 22 Uhr zu öffnen, am Samstag kürzer. Am Sonntag sollen die Läden jedoch weiterhin geschlossen bleiben, um diesen Tag für die Familie zu schützen. Auch Ausnahmeregelungen, die die Sonntagsöffnung erlauben, müssen begrenzt bleiben. Nicht jeder darf sich sein eigenes lokales Ereignis als Begründung schaffen.

Günter Rexrodt, CDU/CSU
Günter Rexrodt

Rexrodt: Aber Herr Schwanhold, es gibt nicht nur Familien. In den Großstädten sind 50 Prozent der Haushalte Single-Haushalte. Und die sitzen alleine zu Hause und wollen einkaufen gehen. Auch die Kirchen haben keinen Grund, gegen die Sonntagsöffnung zu protestieren. In anderen Ländern wie Italien und den USA gehen die Leute trotz offener Läden in die Kirche. Es wird ja niemand gezwungen, am Sonntag einzukaufen.

Ist das Gesetz nicht ohnehin ausgehöhlt, weil man seit langem in vielen Spezialläden erheblich länger einkaufen kann?

Schwanhold: Genau diese Entwicklung hat ja zu der Diskussion geführt. Es hat angefangen in touristischen Regionen, den Läden im Bahnhof und Tankstellen. Und jetzt lockt der zeitlich unbegrenzte Verkauf im Internet.

Rexrodt: Ein Grund mehr, den Ladenschluss abzuschaffen. Wenn der Einzelhandel nicht flexibel reagieren kann, wird der Anteil der Waren, die über Internet oder Katalog verkauft werden, noch steigen.

Müssen die Beschäftigten bei einer weiteren Lockerung der Öffnungszeiten durch flankierende Maßnahmen geschützt werden?

Rexrodt: Nein. In Deutschland arbeiten schon jetzt acht Millionen Menschen zu ungewöhnlichen Zeiten, bei insgesamt 34 Millionen Beschäftigten. Darauf werden sich jetzt auch die Mitarbeiter im Handel einstellen müssen. Wir können ein Schutzgesetz, das seine geistigen Wurzeln im 19. Jahrhundert hat, nicht auf ewig konservieren. Wir müssen der neuen Zeit gerecht werden. Da können wir nicht die altväterlichen Positionen der Gewerkschaften in die Zukunft transportieren.

Schwanhold: Aber ohne flankierende Maßnahmen für die Beschäftigten geht es nicht. Und die werden selbstverständlich die Tarifpartner beschließen. Gefragt sind da aber auch die Kommunen. Sie müssen ergänzende Dienstleistungen anbieten, zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr. Außerdem müssen wir die Öffnungszeiten der Kindergärten noch einmal diskutieren. Der Prozess, der damit insgesamt in Gang gesetzt wird, lässt sich heute noch gar nicht übersehen.

Sollte die Bereitschaft, zu ungewöhnlichen Zeiten zu arbeiten, mit Gehaltszuschlägen honoriert werden?

Schwanhold: Bei den schlechten Renditen im Handel werden sich die Unternehmer sicher dagegen wehren. Damit würden ja auch die Preise steigen. Und die Verbraucher sind zum großen Teil gar nicht in der Lage, höhere Preise zu zahlen.

Rexrodt: Generell Zuschläge zu fordern, ist nicht mehr zeitgemäß. Es gibt andere Formen des Ausgleichs, etwa durch Freizeit oder Arbeitszeitkonten. Zuschläge verteuern die Arbeit, und das ist nicht gut für die Beschäftigten.

Schwanhold: Aber wir müssen uns doch auch darüber im Klaren sein, dass die Hauptlast der längeren Öffnungszeiten bei den Beschäftigten liegen wird. Ich will mich nicht in die Tarifverhandlungen einmischen, aber es wird sicher schwierig werden, nur kostendeckende Zuschläge zu erreichen.

Welche Auswirkungen wird die Änderung des Ladenschlussgesetzes haben?

Rexrodt: Wenn das Personal anders disponiert werden muss, hat das auch eine Beschäftigungswirkung. Die rückläufige Beschäftigungssituation im Einzelhandel wäre ohne die Lockerung in den letzten Jahren

sicher noch dramatischer, als sie es jetzt ist. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Umsätze steigen. Wenn das nicht so wäre, könnten die Geschäfte auch pro Tag nur drei Stunden geöffnet werden.

Schwanhold: Das ist doch Unsinn. Weder Sie noch ich wissen, wie die Situation ohne die Lockerung der Öffnungszeiten wäre. Die ersten Untersuchungen haben jedenfalls ergeben, dass weder mehr Verkäuferinnen eingestellt worden noch die Umsätze gestiegen sind. Die große Masse der Bevölkerung bestimmt das Einkaufsverhalten. Der Umsatz steigt leicht durch Steuerentlastungen und mehr Geld in den Taschen der Familien. Das hat größere Wirkungen als verlängerte Ladenöffnungszeiten.

Sind längere Öffnungszeiten bei weniger Verkaufspersonal wirklich verbraucherfreundlich?

Schwanhold: Ich würde mir wünschen, dass der Handel nicht nur auf längere

Öffnungszeiten und große Zentren setzt. Ich glaube, es wäre klüger, auf mehr Beratung zu setzen. Das Wohlbefinden ist beim Einkaufen wichtig – und das hat was mit den Menschen zu tun, die bedienen und beraten.

Rexrodt: Das entscheidet der Verbraucher selbst – und das jeweilige Unternehmen. Wir wollen ja gar nicht entscheiden, wer wann öffnet. Wir wollen den Händlern nur die Freiheit geben, das zu tun, wann sie es wollen.

Wird das zu Lasten kleiner Einzelhändler gehen?

Rexrodt: Im Gegenteil. Eine Reihe kleiner Einzelhändler könnte mit den großen Zentren auf der grünen Wiese mit unkonventionellen Öffnungszeiten besser konkurrieren. Gerade Existenzgründer sehen meiner Erfahrung nach in anderen Öffnungszeiten eine Chance.

Schwanhold: Für viele wird der Preis dafür die Selbstausbeutung sein. Gerade deshalb wehrt sich der kleine Handel gegen verlängerte Öffnungszeiten. Ich glaube schon, dass das auch zur Folge hat, dass Geschäfte schließen müssen. Sicher werden dafür auch andere neu öffnen.

Haben die jüngsten Sonntagsöffnungen in Berlin und Leipzig der Sache eher genutzt oder geschadet?

Schwanhold: Die jüngsten Öffnungen haben lediglich dokumentiert, dass der Gesetzgeber handeln muss. Wir brauchen ein bundeseinheitliches Gesetz. Sie haben allerdings die Diskussion beschleunigt.

Rexrodt: Das Ladenschlussgesetz ist tot. Es wird auf jeden Fall kippen. Es ist Quatsch, weiter daran herumzudoktern. Wir fechten nur noch Nachhutgefechte. Die Öffnungen waren Signale dafür.

Wann kaufen Sie selbst ein?

Rexrodt: In aller Regel tagsüber, wenn meine Frau Hilfe beim Tragen braucht. Ganz viele Sachen kaufe ich gar nicht ein oder höchstens im Urlaub, weil ich einfach keine Zeit habe.

Schwanhold: Ich habe es bisher noch immer geschafft, vor halb sieben einzukaufen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9908/9908066a
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