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Dezember 11/1999
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Der Weg des Haushalts durch den Bundestag

Hand aufs Herz: Was ist wohl der wichtigste Satz für das Jahr 2000? Jeder mag das für sich persönlich anders beurteilen und vor allem erst einmal die Jahreswende abwarten. Für die Bundespolitik wurde er schon gesprochen: Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters sagte ihn am 26. November um 11.15 Uhr: "Der Gesetzentwurf und damit das Haushaltsgesetz 2000 ist angenommen." Dieses Gesetz trägt die amtliche Bezeichnung "Drucksache 14/1400", betrifft 478,8 Milliarden Mark und ist der Bundeshaushalt für das Jahr 2000. Wie es zum wichtigsten Satz des neuen Jahres kam ­ ein Blick hinter die Kulissen zeigt einen wesentlichen Teil der deutschen parlamentarischen Demokratie.

Im Finanzministerium wird der Entwurf für den Haushaltsplan erstellt
Im Finanzministerium wird der Entwurf für den Haushaltsplan erstellt

"Heftiger Schlagabtausch in Haushaltsdebatte" lauteten auch in diesem Jahr wieder die Überschriften, als der Bundestag in seinem Plenum mit der Beratung des Haushaltsentwurfes in die Zielgerade einbog. Nach einem ersten Durchgang Mitte September hatte sich der Haushaltsausschuss mit den Einnahme­ und Ausgabeplanungen für die einzelnen Ministerien zu beschäftigen, wobei die Fachausschüsse gutachtlich Stellung nehmen konnten. Dann folgten im November die Schlussberatungen. Wieder ging es in den Debatten um die großen Linien der Politik, die großen Zahlen dagegen waren vorab an anderer Stelle geklärt worden: im Haushaltsausschuss. Für viele klingt das Gremium nach staubtrockener Buchhaltermentalität. Die 42 Mitglieder wissen es besser. Ganz gleich, welche Projekte die Ministerien auf den Weg bringen ­ "am Ende muss die Kasse stimmen", sagt Ausschussvorsitzender Adolf Roth (CDU/CSU). Konkreter als im Haushalt könne Politik nicht mehr werden, wenn ­ so Roth ­ nach vielen Sitzungen "das Wünschbare vom Machbaren getrennt ist". Das klingt bescheiden, zurückhaltend, drückt aber die tatsächlichen Machtverhältnisse in der Republik aus: Nicht die Regierung gibt das Geld, sondern das Parlament bewilligt es. Daran wurden die Minister auch in diesem Jahr wieder deutlich erinnert.

23. Juni 1999: Beschluss im Bundeskabinett.
23. Juni 1999: Beschluss im Bundeskabinett.

In den Chefkalendern der Ministerien sind die Sitzungen des Haushaltsausschusses dick hervorgehoben. Wenn der Minister vor den Abgeordneten Rede und Antwort stehen muss, werden alle anderen Verpflichtungen beiseite geräumt. Wer eben noch durch die Welt jettete und wichtige politische Gespräche mit anderen Staatsleuten führte, steht nun in der Luisenstraße in Berlin als ganz gewöhnlicher Bittsteller vor zumeist zunächst geschlossener Ausschusstür. Das Warten kann dauern, wenn sich die Befragungen des vorher antretenden Kollegen hinziehen. Manchem Minister dürfte dabei mulmig werden wie den Patienten im Wartezimmer des Zahnarztes, denn Jahr für Jahr zieht der Ausschuss auch Zähne. Das kann schmerzen, selbst wenn die Parlamentarier mit örtlicher Betäubung arbeiten: Die Regierungsmehrheit im Ausschuss wird stets dafür sorgen, dass der Zahnverlust nicht auch noch mit einem Gesichtsverlust einhergeht.

15. bis 17. September 1999: Erste Lesung im Bundestag, Finanzminister Hans Eichel bringt den Entwurf ein, nach der Debatte Überweisung an den Haushaltsausschuss.
15. bis 17. September 1999: Erste Lesung im Bundestag, Finanzminister Hans Eichel bringt den Entwurf ein, nach der Debatte Überweisung an den Haushaltsausschuss.

Da wird dann der 50­Millionen­Posten für ein sofort zu gründendes Institut zur Konfliktforschung von der Opposition zwar als "Rohrkrepierer" aktuell zur Strecke gebracht, doch Ministerin Edelgard Bulmahn braucht dennoch nicht geschlagen aus dem Saal zu gehen. 20 Millionen kommen zur Anschubfinanzierung am Ende in den 2000er Wissenschaftsetat, so dass die Gründung doch noch gesichert ist. Mitunter reicht es auch, die "Folterwerkzeuge" (Mittelstreichung oder Sperrvermerke) der Haushälter kurz zu zeigen, um in den Ministerien für Nachdenken, Nachbessern und Klärung zu sorgen. So etwa bei den Ausgaben, die das Verteidigungsministerium für den Kosovo­Einsatz tätigen will.

Ende September bis 10. November: Der Haushaltsausschuss und die anderen Ausschüsse beraten über die Details.
Ende September bis 10. November: Der Haushaltsausschuss und die anderen Ausschüsse beraten über die Details.

Der Haushalt 2000 lief von der Einbringung im August bis zur Beschlussfassung im November formal zwar seinen ganz gewöhnlichen Gang durchs Parlament wie alle anderen Haushalte in den Jahren zuvor. Doch diesmal war inhaltlich und strategisch vieles anders. Es war der erste von vorne bis hinten von der neuen Koalition gestaltete Etat. Wie üblich war schon zu Beginn des Jahres ein interner Entwurf im Finanzministerium entstanden, nachdem die einzelnen Fachressorts ihren "Bedarf" angemeldet hatten. Dem stellte Finanzminister Hans Eichel im Frühjahr ein Einsparziel von 30 Milliarden Mark gegenüber, das durch 7,4­prozentige Kürzungen quer durch alle Ministerien und völlig ohne Steuererhöhungen erreicht werden sollte. Als der Entwurf der Bundesregierung im August im Parlament ankam, hatte es also schon ein monatelanges Tauziehen innerhalb der Bundesregierung gegeben, war manche Mark gedanklich mehrfach umgedreht worden und somit für die Parlamentarier schon nicht mehr viel Manövriermasse zur Gestaltung übrig geblieben.

23.-26. November 1999: Zweite und dritte Lesung des Haushalts im Bundestag, Schlussabstimmung.
23.-26. November 1999: Zweite und dritte Lesung des Haushalts im Bundestag, Schlussabstimmung.

Hinzu kamen strategische Gesichtspunkte. "Es gab von der Opposition ein großes Interesse und auch in unseren Reihen eine große Versuchung, einzelne Teile herauszubrechen", meint Oswald Metzger (Bündnis 90/Die Grünen) zusammenfassend. Deshalb hätten sich SPD und Grüne auf eine "Blut­Schweiß­und­Tränen­Strategie" verständigt. Sämtliche von der Regierung geplanten Kürzungen sollten zunächst unbeschadet das Parlamentsverfahren überstehen ­ "sonst hätten wir das ganze Konsolidierungs­Projekt beerdigen können". Und so hatten Metzger und sein Obmann­Kollege bei der SPD, Hans Georg Wagner, stets ein "Domino­Bild" vor Augen: "Wenn einer kippt, fällt alles zusammen."

Dezember 1999: Beratung im Bundesrat, eventuell Anrufung des Vermittlungsausschusses und erneuter Beschluss des Bundestages.
Dezember 1999: Beratung im Bundesrat, eventuell Anrufung des Vermittlungsausschusses und erneuter Beschluss des Bundestages.

Es fiel nicht. Und als die Koalition im Ausschuss lange genug gestanden hatte, die Bestandteile des Sparpaketes mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat in zustimmungsfreie und zustimmungspflichtige zerteilt worden waren, konnte auch an einzelnen Haushalten genestelt werden. Ergebnis: eine Fülle von Veränderungen und Verschiebungen, die allen Fraktionen das Gefühl gab, wenigstens im Detail sinnvoll mitgestaltet zu haben. Mal ging es um 240 Millionen für die Werften, mal um 50.000 Mark für die Arbeitsloseninitiativen ­ am Ende füllten Entwürfe, Anträge und Beratungen gut vier Dutzend dicke Aktenordner. Vorsitzender Adolf Roth und sein Stellvertreter Manfred Hampel (SPD) zogen die Debatten zügig durch, ließen viele Fachfragen schon im Vorfeld zwischen den Berichterstattern der Fraktionen ­ den in den Ministerien gefürchteten Experten für die einzelnen Ressorts ­ klären.

Das Haushaltsgesetz wird vom Bundespräsidenten unterschrieben und anschließend im Bundesgesetzblatt verkündet. Es tritt damit in Kraft.
Das Haushaltsgesetz wird vom Bundespräsidenten unterschrieben und anschließend im Bundesgesetzblatt verkündet. Es tritt damit in Kraft.

So entwickelte sich der Haushaltsausschuss auch diesmal zum Brennglas der Demokratie und ließ die Mischformen des deutschen Parlaments sichtbar werden: Das Redeparlament mit seinen rhetorischen Politikbegründungen in tagelangen Marathondebatten wird ergänzt durch das Arbeitsparlament der Ausschüsse, wo Absichten in Zahlen gegossen werden. Als einziger Ausschuss tagten die Haushälter zweimal wöchentlich und hatten die Sondergenehmigung des Präsidenten, sogar während der Plenarsitzungen weiter am Etat zu feilen. Allein die abschließende "Bereinigungssitzung" mit der Abarbeitung aller noch ungeklärten Punkte dauerte von 9.15 bis 22.05 Uhr. Das Protokoll ­ nebst Anlagen ­ umfasst schon für diese Sitzung rund 1.200 Seiten.

Bundesgesetzblatt
Bundesgesetzblatt

Wer so viel zusammensitzt und obendrein noch eine gemeinsame Verantwortung für die Kasse hat, kommt sich ganz automatisch näher. "Das Klima ist völlig anders als in den meisten anderen Gremien ­ die meisten duzen sich hier", schildert Jürgen Koppelin (FDP). Und Manfred Hampel (SPD) weiß aus Erfahrung: "Das Duzen geht sehr schnell ­ auch über die Fraktionsgrenzen hinweg." Adolf Roth weiß: "Es entsteht ein ganz besonderer Korpsgeist, auf den man gut zurückgreifen kann, wenn sich der Pulverdampf verzogen hat."

Insofern wird der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung der Regierung ganz besonders im Haushaltsausschuss immer wieder deutlich. Gleichzeitig zeigt sich aber auch die innere Grenzlinie, die natürlich zwischen Mehrheit und Minderheit, zwischen Regierungs­ und Oppositionsfraktionen verläuft. Für Christa Luft (PDS) gehörte der Rollentausch zwischen CDU/CSU/F.D.P. und SPD/Grünen zu den Auffälligkeiten dieser Haushaltsberatungen: "Was die einen früher an den anderen kritisiert haben, machen sie jetzt selbst." Die Opposition gehe nun "sehr großzügig" mit Erhöhungsanträgen um, meint Hampel: "Da brauchen wir einen breiten Buckel."

Welche langfristigen Lehren ziehen die Parlamentarier an der Schwelle zum neuen Jahrtausend aus den 2000er­Haushaltsberatungen? Ganz praktische Wünsche haben die kleinen Fraktionen, bei denen ein Mitglied manchmal für sechs oder sieben Ministerien gleichzeitig "zuständig ist": Man müsse dringend die "Flut der Papiere eindämmen", das sei "bald nicht mehr zu schaffen", meint Jürgen Koppelin (F.D.P). Der Ausschussvorsitzende Adolf Roth (CDU/CSU) wünscht sich größeres Gewicht für die langfristigen Perspektiven. Das Verfassungsgerichtsurteil zum Länderfinanzausgleich müsse als Chance zur Neuordnung der Staatsfinanzen genutzt werden. Roth wünscht sich mehr klare Verantwortung für Bund und Länder: "Wir müssen raus aus der Mischfinanzierung." Die Erfahrungen des Haushaltsausschusses dürften bei der anstehenden Reform nicht ausgeklammert werden. Aus Sicht des Vizevorsitzenden Manfred Hampel (SPD) ist schon vieles geschehen, um innerhalb der einzelnen Ministerien wirtschaftliches Regieren zu ermöglichen. Bei der Fortentwicklung von Globalbudgets müsse der Haushaltsausschuss jedoch "eifersüchtig darüber wachen, dass die Rechte des Parlamentes nicht beschnitten werden".

Diese Rechte will Oswald Metzger (Bündnis 90/Grüne) massiv ausbauen. Seine Vorstellung orientiert sich am Budget­Ausschuss des US­Parlamentes: Jedes Mitglied des Haushaltsausschusses müsse an seinem Computer die laufende Ausgabenentwicklung in "seinem" Ministerium mitverfolgen und dadurch direkt reagieren können. Nur ein solcher direkter Blick auf die Einnahmen und Ausgaben des Staates ermögliche den "rechtzeitigen Tritt auf die Bremse". Nur eine Abkehr von der Kameralistik und eine eher kaufmännische Buchführung der einzelnen Ministerien führe zu einem funktionierenden politischen Controlling und zu einem effizienten Staat. Zukunftsmusik? Metzger will "in fünf bis zehn Jahren" so weit sein.

Gregor Mayntz

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9911/9911006
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