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Dezember 11/1999
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ZEHN JAHRE RUNDER TISCH

Gespräche gegen das Chaos

Zum zehnten Jahrestag des ersten Zusammentretens des Zentralen Runden Tisches der DDR hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse in einer Feierstunde in der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin die Protokolle der damaligen Verhandlungen entgegengenommen. Einer der damaligen Moderatoren des Runden Tisches, der katholische Geistliche Dr. Karl­Heinz Ducke, sagte: "Der Runde Tisch überwand die Sprachlosigkeit durch Menschen, die zu sich gekommen waren, die sich auf sich selbst und ihre eigene Verantwortung besonnen hatten." Zuvor hatte Thierse im Plenum des Deutschen Bundestages die auch regional stattfindenden Runden Tische als "wohl wichtigste Institutionen des Übergangs in Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit" bezeichnet. Ihre Repräsentanten verdienten Dank und Anerkennung. Die kurze Geschichte der Runden Tische in der DDR gehöre zu den wichtigen und erinnerungswerten Traditionen der parlamentarischen Demokratie in Deutschland.

Verhandlungen des Rundes Tisches im Winter 1989/90: An einem rechteckigen Tisch diskutieren Vertreter des alten Systems und der Opposition über die Zukunft der DDR.
Verhandlungen des Rundes Tisches im Winter 1989/90: An einem rechteckigen Tisch diskutieren Vertreter des alten Systems und der Opposition über die Zukunft der DDR.

Die Verhandlungen des Runden Tisches und seine Rolle beim Übergang in die parlamentarische Demokratie waren auch Thema einer Diskussionsveranstaltung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen in Berlin. Rund 300 Gäste, darunter zahlreiche Teilnehmer des Runden Tisches, versuchten eine kritische Würdigung dieser Verhandlungsrunde zwischen Vertretern des alten Apparates und den auf Veränderung drängenden Oppositionellen.

Es war eine neue Dimension der politischen Arbeit, die Anfang Dezember 1989 in der DDR den mühsamen Weg von der Diktatur zur Demokratie bahnte. Die Opposition zwang im Herbst 1989 die neu gewählte Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow zum Dialog und gewann zunehmend Einfluss auf die Politik der verunsicherten Staatspartei SED.

Zehn Jahre später erinnert sich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse: "Atemlose Begeisterung" habe man gespürt, als dem vermeintlichen Reformer Modrow "scharfe Fragen" gestellt worden seien. Damals hätten die Menschen in der DDR die "eigene Sprache wiedergefunden", schildert der Sozialdemokrat die Sitzungen des Runden Tisches, die das Ende der DDR einleiteten. Gerade dreieinhalb Monate hat diese "wichtigste Institution des Übergangs zu Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit" existiert ­ bis die ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 diesem Vorparlament ein Ende setzten.

Drei Monate am Zentralen Runden Tisch ­ eine kurze Zeitspanne des Demokratisierungsprozesses der DDR, die auch heute noch auf vielfältiges Interesse stößt, wie sich dieser Tage im Reichstag gezeigt hat. Bei der Diskussion auf Einladung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen über das Thema "Runder Tisch und Parlamentarismus" zeigte sich, dass die Verhandlungen des Runden Tisches auch heute noch ganz unterschiedlich interpretiert werden.

Den zunächst 30 Mitgliedern des Runden Tisches ging es in den insgesamt 16 Plenarsitzungen, moderiert von drei Kirchenvertretern, vor allem um die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes, die Vorbereitung freier Wahlen und um das wohl ehrgeizigste Ziel, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Eine Aufgabe, an der man sich verhoben habe, urteilte Richard Schröder, der spätere SPD­Fraktionsvorsitzende in der frei gewählten Volkskammer, auch wenn es einen Verfassungsentwurf des Runden Tisches gegeben hat. Dieser sah einen stufenweisen Vollzug und einen Volksentscheid über eine neue Verfassung für Gesamtdeutschland vor.

Das war einer der möglichen Wege, den das Grundgesetz für eine Vereinigung eröffnete (Artikel 146). Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 Grundgesetz wurde von vielen Bürgerrechtlern als Unterwerfung verstanden und strikt abgelehnt. Einige sagen, damit sei der Runde Tisch um sein Wertvollstes, den Verfassungsentwurf, betrogen worden. Diese Sicht teilt Schröder nicht. Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches sei der "Griff nach unerprobten Wünschen" gewesen, lautete seine unmissverständliche Position. "Wir sollten die Verdienste der Akteure würdigen, aber aufhören, von angeblich verpassten einzigartigen völlig neuen Möglichkeiten dritter Wege zu träumen", sagte Schröder.

Deutliche Worte, die Widerspruch herausforderten. Damals wie heute. Die DDR­Bevölkerung sollte in den emanzipatorischen Prozess einbezogen und zur Wiedervereinigung "in gleicher Augenhöhe" befähigt werden, entgegnete Konrad Weiß, Gründungsmitglied der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" und zusammen mit Werner Schulz von 1990 bis 1994 Mitglied der Bundestagsgruppe Bündnis 90/Die Grünen. "Der Runde Tisch war keine Fußbank im Nierentischformat", verwahrte sich Schulz gegen Schröders Thesen. Noch einmal wurden die unterschiedlichen Ziele deutlich, die in der Oppositionsbewegung damals verfolgt wurden, auf dem Podium ebenso wie unter den Zuhörern. Die einen verwiesen darauf, dass die Mehrheit der nun gewählten Volkskammer den Verfassungsentwurf eher als Fußnote denn als ostdeutsches Faustpfand für den Einigungsvertrag behandelte. Die anderen verwahrten sich dagegen, "zu einem Häufchen von Hobby­Verfassungsrechtlern degradiert zu werden", wie es seinerzeit eine Vertreterin der Grünen­Partei (GP) formulierte.

Nach der Übergabe der Protokolle des Runden Tischs: Bundestagspräsident Thierse, Vizepräsident Seiters und der Herausgeber Uwe Thaysen (von links).
Nach der Übergabe der Protokolle des Runden Tischs: Bundestagspräsident Thierse, Vizepräsident Seiters und der Herausgeber Uwe Thaysen (von links).

Noch heute berührt die öffentliche Debatte über den historischen Stellenwert des Runden Tisches Empfindungen der einstigen Akteure. Das böse Wort von der "politischen Laienspielschar" habe das Selbstwertgefühl ostdeutscher Oppositioneller getroffen, gehöre in ein "Wörterbuch defizitären Demokratieverständnisses", wie der Lüneburger Politologe Uwe Thaysen unter allgemeiner Zustimmung anmerkte. Der Wissenschaftler hat die Runden­Tisch­Gespräche dokumentiert und wehrt sich gegen eine Mystifizierung der ehemaligen Diskussionsforen.

"Was war der Verfassungswillen der DDR­Deutschen", fragte der Hochschullehrer, der vor zehn Jahren als westdeutscher Beobachter an den Sitzungen des Runden Tisches teilgenommen hat. Eine rhetorische Frage. Zu den zahlreichen Legenden habe gehört, dass "die Deutschen östlich der Elbe am Ende des Zentralen Runden Tisches noch ihre Versöhnung mit dem DDR­Staat im Wege einer neuen Verfassung ­ und zwar in der Variante einer Alternative zur Bundesrepublik gewollt hätten", lautete das Fazit Thaysens.

Deutliche Wort, aber nicht ohne Sympathie ob der großen Leistungen der Runden Tische. "Immer aufdringlicher wurde der Bedarf an Handlungsfähigkeit", beschreibt der Politikwissenschaftler die Endphase dieser freiheitlichen Diskussionsforen.

Resümee: Der Runde Tisch war zur richtigen Zeit das richtige Instrument, um die SED­Diktatur abzuschütteln. Da hatte sich kein "Kuschelparlament" versammelt, wie Lothar de Maizière hervorhob, sondern ein Oppositionsforum, das die Machtfrage stellte. Ein Forum, das innerem und äußerem Druck standhalten musste. Nach den Vorstellungen von Staats­ und Parteichef Egon Krenz sollte der Runde Tisch ausgerechnet in den Räumen der Volkskammer tagen, unter Vorsitz von Parlamentspräsident Horst Sindermann. Und Krenz beharrte darauf, dass er sich als Staatsoberhaupt nicht für den Wahlbetrug rechtfertigen müsse, wie Richard Schröder unter dem Gelächter der Zuhörer schilderte.

Mit dem näherrückenden Volkskammerwahlkampf wurde die Arbeit am Runden Tisch schwerer. Erst habe es nur einen politischen Gegner gegeben, die SED, später habe man sich im Wettbewerb mit den demokratischen Parteien profilieren müssen, berichtete der einstige Vorsitzende der Ost­CDU, Lothar de Maizière. Im Rückblick sei es das wichtigste Verdienst der Runden Tische, dass die DDR nicht im Chaos versunken sei. Eine Einschätzung, die parteiübergreifend geteilt wird.

Nach knapp fünfstündiger, intensiver Debatte ist Joachim Hörster, CDU­Bundestagsabgeordneter aus Rheinland­Pfalz und Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen, zufrieden: Das Thema sei mit Bedacht gewählt worden, um mit der ersten Veranstaltung in Berlin eine gedankliche Brücke zur friedlichen Revolution in der DDR zu schlagen.

Jörg Kürschner

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/1999/bp9911/9911010
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