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08/2001
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Essay

Parlamentsvorbehalt – viele Fragen offen

von Robert Leicht

Es gab vor vielen Jahren einmal einen Bundesinnenminister, er hieß genauso wie unser heutiger Kanzler, der prägte den Satz: Der Notstand ist die Stunde der Exekutive. Dahinter stand eine bestimmte Vorstellung über das Verhältnis von Exekutive und Parlament im inneren Notstand – in der Demokratie überhaupt. Wie ist nun aber dieses Verhältnis geordnet im "äußeren Notstand", also dann, wenn die Bundeswehr eingesetzt werden soll?

Robert Leicht.
Robert Leicht.

Da gilt seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 der "Parlamentsvorbehalt" als Regel: grundsätzlich ohne vorherige konstitutive Zustimmung des Bundestages kein Einsatz der Bundeswehr. Dass dieser Parlamentsvorbehalt der Exekutive (und Politikern, die mit der Exekutive denken) unbequem ist, war in den vergangenen Wochen zu spüren. Die rot-grüne Regierung brachte vor dem ersten Mazedonien-Mandat keine eigene Mehrheit auf die Bein – und nach den jüngsten Terroranschlägen irritierte der Verteidigungsminister nicht wenige, weil er sagte, man könne sich eine Mitwirkung an einem allfälligen Militärschlag auch nachträglich parlamentarisch genehmigen lassen. Was ist nun das Problem – und was seine Lösung?

Spätestens seit der Notstandsverfassung von 1968 ist das deutsche Verfassungsrecht von der Vorstellung geprägt: Wenn Bundeswehreinsatz, dann Landesverteidigung, dann Notstand; wenn Notstand, dann Feststellung durch das Parlament; also: kein Einsatz der Bundeswehr ohne Parlamentsvotum über das Selbstverständliche, die unumgängliche Verteidigung des eigenen Landes. (In früheren Fassungen des Grundgesetzes zeigten sich immerhin Elemente der Trennung zwischen jedem denkbaren Einsatz der Bundeswehr – und ihrem Einsatz zur Landesverteidigung.) Aber schließlich galt nur noch die Logik des Kalten Krieges: Verteidigt wird nur, wenn die Abschreckung scheitert – und dann immer das eigene Land.

Tempi passati! Inzwischen ist ein Fall unmittelbarer existenzieller Landesverteidigung zwar verfassungsrechtlich perfekt geregelt – aber unvorstellbar. Höchst vorstellbar ist aber immer wieder der Einsatz der Bundeswehr aus anderen Gründen und anderswo – nur gibt es weder im Grundgesetz noch in einfachen Gesetzen eine klare rechtliche Regelung der neuen Lage. Noch immer werden unsere Soldaten auf die Verteidigung von deutschen Volkes vereidigt; tun müssen sie etwas anderes.

Wer kann es ihnen befehlen – und zwar in letzter Instanz? Ist das die Stunde der Exekutive? Offenbar nicht, denn unser "Parlamentsheer", so das Bundesverfassungsgericht, hat, so ist logisch zu folgern, einen "Parlamentsherrn". (Die Verfassungsrichter hatten sich offenbar schon schwer damit getan, die Ausweitung der Bündnisaufgaben nach 1989 passieren zu lassen, ohne Ratifizierung der neuen Vorhaben durch das Parlament.) Das mag zu manchen Schwierigkeiten führen: Mal spielt die Regierungsmehrheit nicht so recht mit, mal die Opposition; mal herrscht Gefahr im Verzug – dann lässt Karlsruhe (Scharping hat insofern Recht) eine "eingehende" nachträgliche Billigung zu; mal, und das könnte im aktuellen Fall ein Problem werden, mal möchte das Militär die Chance der Überraschung des Gegners nutzen – die natürlich verspielt würde, wenn der im Parlamentsprotokoll nachlesen kann, was ihm droht.

Es ist also höchste Zeit, diese Fragen in einem Entsendegesetz zu regeln. Doch dabei dürfen die pragmatischen Probleme nicht dazu ausgenutzt werden, das Prinzip wieder auf den Kopf zu stellen – und aus dem Parlamentsheer eine Exekutivtruppe zu machen, den Parlamentsherrn in der Stunde der Exekutive abzusetzen. Der Einsatz unserer Soldaten (und ihres Lebens) ist nur in der existenziellen Verteidigung unseres eigenen Landes eine schiere Selbstverständlichkeit, ansonsten aber ein Politikum ersten Ranges, mit tödlichen Risiken für die eingesetzten Staatsbürger. So etwas kann nur das Parlament (mit-)verantworten, nicht allein die Exekutive.

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Robert Leicht wurde 1944 in Naumburg an der Saale geboren. Der ausgebildete Jurist arbeitete rund 15 Jahre als Leitartikler, leitender Redakteur und Ressortleiter Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung. 1986 ging Leicht als Ressortleiter Politik und Stellvertretender Chefredakteur zur Wochenzeitung "Die Zeit" und war dort von 1992 bis 1997 als Chefredakteur tätig. Seitdem ist er politischer Korrespondent der Zeit und Kolumnist des Tagesspiegels. 1997 wurde er in den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt, seit 1999 ist er Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin und lehrt als Honorarprofessor an der Universität Erfurt. Im selben Jahr erschien auch sein jüngstes Buch: Ihr seid das Salz der Erde. 2000 Jahre Christen im Widerspruch. Gütersloh.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2001/bp0108/0108003
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