Hintergrund
Der Haushaltsausschuss
Nie war er so wichtig wie heute
Regieren ist wichtig. Politik gestalten, die Grundlagen des Zusammenlebens regeln, national wie international. Aber ohne Geld läuft nichts. Und das kontrolliert das Parlament. Jede Mark, jeden Pfennig. Und für 2002 erstmals: jeden Euro, jeden Cent. Die Terroranschläge in den USA haben Umplanungen in Milliardenhöhe nötig gemacht. Das bedeutet gewichtige Veränderungen in Hunderten von Einzelposten. Der Bundeshaushalt ist die in Zahlen gegossene Politik. Aber: Jeder Minister, und sei er noch so wichtig, kann nur Vorschläge machen. Wofür es letztlich wie viel Geld gibt, entscheidet am Ende allein das Parlament – Punkt für Punkt, Cent für Cent, vorbereitet vom Haushaltsausschuss. Alle Details regeln die "Haushälter". Blickpunkt Bundestag blickte ihnen über die Schulter. Erster Befund: Nie waren sie so wichtig wie heute.
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Zeichnung des neuen Sitzungssaales des Haushaltsausschusses im Paul-Löbe-Haus. |
Dienstag, 11. September 2001, 14 Uhr: Die erste grundsätzliche Aussprache über den Haushaltsentwurf für das nächste Jahr ist im Plenum des Bundestages in vollem Gange. Die alljährliche Übung: In der ersten Lesung werden eine Woche lang die Grundzüge in allen Fachbereichen skizziert und kritisiert, dann kommt zwei Monate lang die Zeit der Experten, die sich um die Details kümmern, bis das ganze Paket mit zahlreichen Änderungen im November in zweiter Lesung wieder zur Debatte steht und anschließend in dritter Lesung als Gesetz beschlossen wird.
In diesem Jahr kommt auf den Haushaltsausschuss viel Arbeit zu. Das weiß sein Vorsitzender, der CDU-Abgeordnete Adolf Roth, auch schon am 11. September um 14 Uhr. "Sehr unvollständig" sei der Entwurf. So habe das Kabinett dem Entwicklungshilferessort zusätzliche Mittel zugesagt, sie aber im Haushaltsentwurf noch nicht berücksichtigt. Aber auch das abgeschwächte Wirtschaftswachstum wird aller Voraussicht nach Milliarden weniger an Steuereinnahmen bedeuten. Für den erfahrenen Haushälter Roth ergibt sich daraus ein "umfangreiches Nachbesserungspaket". Über zwei Milliarden werden während der Einzelberatungen quasi im Vorbeigehen eingespart werden müssen. Keine Peanuts. Da geht es ans Eingemachte. Aber wie? Damit die Hunderttausenden von Zahlen im Bundeshaushalt verantwortlich bearbeitet, bewertet und beschlossen werden können, hat sich ein ausgeklügeltes Verfahren im Haushaltsausschuss herausgebildet, das im wesentlichen von so genannten "Berichterstattern" getragen wird. Jede Fraktion bestimmt für sich, welches ihrer Ausschussmitglieder sich mit welchen Fachbereichen besonders intensiv befassen soll. Die großen Fraktionen SPD und CDU/CSU können für jedes einzelne Ministerium einen Experten abstellen, die kleineren Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS müssen von ihren Vertretern jeweils mehrere Bereiche betreuen lassen. Diese Berichterstatter, das sagt schon ihr Name, erstatten Bericht – auch natürlich ihrer Fraktion, deren Grundlinie sich in Zustimmung und Ablehnung zu den einzelnen Ausgaben ausdrücken soll. Aber in erster Linie erstatten sie dem Ausschuss über ihren Fachbereich Bericht, behalten die Übersicht über die abfließenden Mittel und über aktuelle Notwendigkeiten zum Umsteuern.
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Ausschussakten. |
Nach der Einbringung des Etats in "erster Lesung", so erläutert Vorsitzender Roth, "liegt das Schicksal des Haushaltes in der Hand des Parlamentes, genauer gesagt des Haushaltsausschusses und seiner Berichterstatter". Diese halten Kontakt untereinander und lassen sich über sämtliche Hintergründe von der politischen Leitung des jeweiligen Ministeriums, von Abteilungsleitern, gegebenenfalls bis hinunter zu den Referatsleitern, aufklären, ziehen bei Bedarf auch andere Sachverständige hinzu. Alle zusammen gehen dann die Ausgabenplanung durch. "Entschieden wird titelscharf", sagt der Experte. Also Posten für Posten, Zahl für Zahl.
Einer der Manager jenes Verfahrens ist Walter Schöler. Der SPD-Abgeordnete ist Haupt-Berichterstatter für den Gesundheitsetat. Und er geht mit seinen Berichterstatter-Kollegen aus den anderen Fraktionen zunächst an einem großen runden Tisch an die Bewältigung der Milliarden-Aufgabe heran. Die Rolle der Regierungsvertreter ist dabei klar. Sie sind nicht die Agierenden. Sie haben mit dem Haushaltsentwurf einen Vorschlag gemacht, aber nun müssen sie warten, bis sie von dem eigentlichen Haushalts-Akteur eine Einladung bekommen. Die verfasst Schöler. Und die schickt er an die eigenen Kollegen, an die Gesundheitsministerin, an deren Staatssekretäre und Abteilungsleiter, an deren Haushaltsreferenten, mit dem er ohnehin in ständigem Kontakt steht, an den Gesundheitsreferenten im Finanzministerium und – nicht zuletzt – an den Bundesrechnungshof. Wichtig zudem: die Anwesenheit von Institutsleitern, die ebenfalls wichtige Aufgaben auf dem Feld der Gesundheit wahrnehmen.
Dann die erste Annäherung über die Frage: Was war? Welche Mittel sind für welche Zwecke im vergangenen Jahr bereitgestellt worden und was hat die Regierung tatsächlich damit gemacht? Daraus ergibt sich: Braucht sie diesmal mehr oder kann sie auch mit weniger auskommen? Wie hoch ist die Priorität der einzelnen Vorhaben im Vergleich zueinander anzusetzen?
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Berichterstatter für die Gesundheitspolitik (v.l.): Barbara Höll (PDS), Franziska Eichstädt-Bohlig (Bündnis 90/Die Grünen), Walter Schöler (SPD), Michael Luther (CDU/CSU) und Jürgen Koppelin (FDP). |
Grundsätzlich sollen neu hinzutretende Vorhaben durch Einsparungen an anderer Stelle finanziert werden. Mittel kürzt aber keiner gerne. Manche ministeriellen Versuche, sich irgendwie daran vorbeizudrücken, enden meist in den Berichterstatter-Runden. Schöler: "Da müssen wir auch schon mal Fraktur reden. Wenn das Ministerium nicht selbst Sparvorschläge macht, dann sparen wir." Dabei gilt es, eine ganze Reihe von festen Vorgaben und schwer vorhersehbaren Bedingungen zu berücksichtigen. Beispielsweise die Verfassung, die eine klare Obergrenze bei der Neuverschuldung im Verhältnis zu den Investitionsausgaben zieht. Beispielsweise aber auch der Dollarkurs. Da kann der Haushaltsausschuss noch so definitiv die Beiträge zur Weltgesundheitsorganisation in Mark und Euro festlegen – abgerechnet wird in Dollar, und da werden schnell beträchtliche Summen mehr oder weniger fällig.
Die Berichterstatter-Gespräche sind die Orte, an denen neue Entwicklungen rechtzeitig aufgegriffen werden. Der Gesundheitsbereich kann sich beispielsweise nicht davor verschließen, wenn sich in Osteuropa die Tuberkulose zu einer neuen Bedrohung entwickelt. Da muss die Politik rechtzeitig gegensteuern. Und dafür braucht sie Geld. Geld, das von weniger dringenden Vorhaben umgeschichtet wird. Selbstverständlich bewertet dass nicht jeder gleich. Um in der Diskussion über die einzelnen Punkte die Übersicht zu behalten, arbeiten die Berichterstatter mit zwei Farben: Weiß und Grün. Was einvernehmlich zwischen den Vertretern aller Fraktionen abgearbeitet wurde, wird auf grünem Papier festgehalten, erhält also schon in diesem Stadium grünes Licht. Was umstritten ist, kommt auf weißes Papier – und muss dann spätestens am Ende des Verfahrens in der zusammenfassenden "Bereinigungssitzung" des gesamten Ausschusses noch einmal angesprochen, diskutiert und dann mit Mehrheit entschieden werden.
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Der Vorsitz des Haushaltsausschusses steht traditionell der Opposition zu: Vorsitzender Adolf Roth (CDU/CSU) im Paul-Löbe-Haus. |
Der Haushaltsausschuss macht aus politischen Absichten praktische Politik. Deshalb ist er auch der Ort, wo Koalition und Opposition besonders prägnant zusammenarbeiten. Welcher Berichterstatter auch immer eine spezielle Frage zu einem spezifischen Punkt an ein Ministerium stellt – außer ihm bekommen auch die anderen vier Berichterstatter die Antwort. "So sind alle stets auf dem selben Informationsstand", betont Schöler. "Das erleichtert die Arbeit und die Verständigung." Schließlich ist die Aufgabe der Haushälter mit dem verabschiedeten Haushaltsgesetz nicht zu Ende. Zur gängigen Praxis gehört es, Mittel zwar generell zu bewilligen, ihre konkrete Ausgabe aber so lange zu sperren, bis die Regierung den Haushältern nachweist, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So bleibt hinter den Kulissen jederzeit klar, was in der Öffentlichkeit leicht übersehen wird: Der Haushalt ist das "Königsrecht" des Parlamentes. Oder mit Schölers Worten: "Die Regierung finanziert nichts." Auch nicht zusätzliche Milliarden zur Terrorbekämpfung.
Und deshalb ist am Dienstag, 11. September, um 15 Uhr auch im Parlament alles anders geworden. Doch zunächst stehen die Zahlen des Haushalts natürlich absolut im Hintergrund. Daran kann niemand mehr denken: Die schrecklichen Terroranschläge erschüttern auch den Bundestag. Der Tod Tausender unschuldiger Menschen in den entführten Flugzeugen und zerstörten Gebäuden macht es unmöglich, die Diskussion fortzusetzen. Die Haushaltsdebatte wird unterbrochen. Für zwei Wochen. Dann geht es voller Sorgen um die terroristische Bedrohung der zivilisierten Welt weiter.
Auf den Haushaltsausschuss kommt die Aufgabe zu, die zusätzlich eingeplanten drei Milliarden auf die einzelnen Haushaltstitel "runterzubrechen", wie der FDP-Abgeordnete Werner Hoyer sagt. Die Stunde der Berichterstatter, die sich in zusätzlichen Runden zusammensetzen. Hoyer hat schon am Tag vor der Wiederaufnahme der Debatte drei solcher Runden absolviert: In allen Einzelhaushalten müssen die Ansätze korrigiert werden. Hoyer weiß aus Erfahrung: "Das ist ein spannendes Verfahren." Nicht nur in Zeiten verstärkter Terrorismusbekämpfung. Denn auch die Haushälter der Regierungskoalition hätten nicht den Ehrgeiz, alles nur gutzuheißen, was die Regierung vorschlägt. Und für die Vertreter der Opposition gebe es hier "durchaus Möglichkeiten, eigene Vorstellungen durchzubringen – besonders, wenn man es nicht an die große Glocke hängt". Deshalb ist Hoyer gerne Haushälter, gerne Mitglied jenes Gremiums "mit dem größten parlamentarischen Einfluss auf die Politik".
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Sitzung des Haushaltsausschusses. |
Damit beantwortet sich gerade im Haushaltsausschuss die Frage, wer Koch und wer Kellner ist. Schmunzelnd beschreibt die Grünen-Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig, dass die Auftritte der Minister im Ausschuss "von Bescheidenheit geprägt" seien. Da die Diskussionen über einzelne Punkte schwer in ihrer Länge zu planen sind, bedeutet dass, dass auch Regierungsmitglieder schon einmal stundenlang vor den Ausschusstüren ausharren müssen, bis ihr Ressort "an der Reihe" ist. Meistens wissen sie aber durch die Vorgespräche im Grunde schon, was auf sie zukommt.
Das ist diesmal in vielen Etats völlig anders. Eichstädt-Bohlig: "Da gibt es noch viele Baustellen, auf denen in den nächsten Wochen noch gerungen wird." Denn bei jedem einzelnen zusätzlichen Euro zur Terrorbekämpfung sind auch die Grundüberzeugungen der Parteien berührt. "Das schlägt sich nicht nur formal, sondern sehr tief inhaltlich auf die Berichterstatter-Gespräche nieder," sagt Eichstädt-Bohlig voraus. Sehr intensiv hält sie deshalb den Kontakt zu den Kollegen, die mit ihr zusammen die innen-, außen- und rechtspolitischen Dimensionen der deutschen Politik durchleuchten. Hier erkennt Eichstädt-Bohlig wenigstens einmal einen Vorteil der kleineren Fraktionen: "Wir haben in diesen Tagen die kürzeren Wege." Damit meint sie die vorbereitenden Gespräche in den Arbeitsgruppen, die bei Bündnis 90 / Die Grünen, FDP und PDS benachbarte Politikfelder0, wie Außen-, Sicherheits-, Entwicklungshilfe- und Verteidigungspolitik, von vorneherein zusammenfassen, während bei den größeren Fraktionen eine weitere Koordinierungsstufe zwischengeschaltet ist.
Das bedeutet aber auch, dass bei den kleineren Fraktionen wenige
Abgeordnete viel mehr im Blick behalten müssen. Der
PDS-Parlamentarier Uwe-Jens Rössel weiß es genau: "Ich
bin für 229 Milliarden Mark zuständig." Das sind gleich
neun Ministerien auf einmal. Das griffige Bild von den
Haushältern als "heimlichen Herrschern der Politik" will er
nicht aufgreifen. Er bevorzugt die Formulierung der
"größeren Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler".
Rössel sieht die Hauptaufgabe darin, den Finger auf jeden
einzelnen Posten zu legen, um zu sehen, dass jeder Euro, jeder Cent
sinnvoll ausgegeben wird. Großen Wert lege der Ausschuss
deshalb darauf, dass alle Minister mit der Ablieferung des
Entwurfes an das Parlament nur noch Anzuhörende seien,
keinesfalls jedoch Herren des Verfahrens. Nach den ersten Runden
der Berichterstatter sieht er in den laufenden Beratungen eine
weitere Aufgabe auf den Haushaltsausschuss zukommen: "Wir
müssen aufpassen, dass manche nicht versuchen, unter neuem
Deckmantel alte Forderungen zu verkaufen, die mit den Folgen der
Anschläge nichts zu tun haben."
Gregor Mayntz
Die Mitglieder des Haushaltsausschusses:
Dietrich Austermann, CDU/CSU |
Jochen Borchert, CDU/CSU |
Dankward Buwitt, CDU/CSU |
Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen |
Albrecht Feibel, CDU/CSU |
Herbert Frankenhauser, CDU/CSU |
Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU |
Klaus Hagemann, SPD |
Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein, CDU/CSU |
Manfred Hampel, SPD |
Hans-Jochen Henke, CDU/CSU |
Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen |
Iris Hoffmann (Wismar), SPD |
Josef Hollerith, CDU/CSU |
Werner Hoyer, FDP |
Susanne Jaffke, CDU/CSU |
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU |
Steffen Kampeter, CDU/CSU |
Siegrun Klemmer, SPD |
Jürgen Koppelin, FDP |
Volker Kröning, SPD |
Waltraud Lehn, SPD |
Christa Luft, PDS |
Michael Luther, CDU/CSU |
Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen |
Rolf Niese, SPD |
Günter Rexrodt, FDP |
Uwe-Jens Rössel, PDS |
Adolf Roth (Gießen), CDU/CSU |
Gerhard Rübenkönig, SPD |
Michael von Schmude, CDU/CSU |
Carsten Schneider, SPD |
Emil Schnell, SPD |
Walter Schöler, SPD |
Dietmar Schütz (Oldenburg), SPD |
Ewald Schurer, SPD |
Antje-Maria Steen, SPD |
Uta Titze-Stecher, SPD |
Hans-Eberhard Urbaniak, SPD |
Hans-Georg Wagner, SPD |
Konstanze Wegner, SPD |
Gunter Weißgerber, SPD |