Kunst im Paul-Löbe-Haus
Unabhängig und doch kooperativ
Der Kunstbeirat des Deutschen Bundestages hatte noch im Jahre 1996 in Bonn beschlossen, mit dem Bau der Parlamentsgebäude in Berlin ein umfangreiches und anspruchsvolles Kunst-am-Bau-Programm zu verbinden. Als im April 1999 das Reichstagsgebäude seiner Bestimmung übergeben wurde, konnten dort als erstes Ergebnis dieser kulturpolitischen Initiative nahezu dreißig künstlerische Positionen vorgestellt werden – von Georg Baselitz, Gerhard Richter und Sigmar Polke über Jenny Holzer oder Lutz Dammbeck bis zu Joseph Beuys und Carlfriedrich Claus.
Inzwischen sind auch die Kunst-am-Bau-Projekte in den übrigen Parlamentsbauten fertig gestellt oder kurz vor der Fertigstellung. So sind im Paul-Löbe-Haus, in dem seit Ende der parlamentarischen Sommerpause die Ausschüsse des Deutschen Bundestages tagen, die Werke deutscher und internationaler Künstler zu sehen, die auf die beeindruckende Architektur des Münchener Architekten Stephan Braunfels durch die Setzung eigener künstlerischer Akzente reagieren.
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Die englische Künstlerin Angela Bulloch verbindet Besucher und Abgeordnete in einer anspielungsreichen Installation: Wer sich vor dem Sitzungssaal des Europaausschusses auf eine der Bänke setzt, lässt durch elektrische Kontakte im Geschoss darunter auf der Ebene des Besucherrestaurants farbige Lampen aufleuchten. |
Die besondere Herausforderung für Künstler, die sich an Kunst-am-Bau-Projekten beteiligen, besteht darin, unabhängig und doch zugleich kooperativ zu arbeiten. So sollen die Künstler mit dem Architekten in einen Dialog treten und gemeinsam mit ihm Kunstprojekte entwickeln, die sowohl ihre eigene künstlerische Position widerspiegeln, aber zugleich eine enge Verbindung mit der Architektur eingehen, so dass zwar baubezogene, aber doch zugleich autonome künstlerische Werke entstehen. Ein solches Konzept konnte im Reichstagsgebäude nur eingeschränkt realisiert werden, da das Gebäude lediglich umgebaut wurde, die Künstler also auf bereits vorhandene historische Bausubstanz reagieren mussten. Das Paul-Löbe-Haus hingegen ist ein vollständiger Neubau. Daher war es möglich, die Künstler ganz im Sinne der Idealvorstellung eines Kunst-am-Bau-Programms schon frühzeitig an den Plänen des Architekten zu beteiligen.
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Twin Gabriel. |
Ein wesentliches Kennzeichen der Architektur des Paul-Löbe-Hauses ist seine lineare Einbindung in das so genannte "Band des Bundes". Als Teil dieser Ost und West verbindenden "Spange" vollzieht es durch eine doppelgeschossige Fußgängerbrücke über die Spree zu dem sich anschließenden Marie-Elisabeth-Lüders-Haus den "Spreesprung", symbolisiert durch diese architektonische Geste die Wiedervereinigung Berlins. In seiner Längserstreckung von über 200 Metern erfährt der Bau eine klare Gliederung: Über eine lichtdurchflutete zentrale Halle erschließen sich die kammartig zur Seite hin angeschlossenen Bürotrakte, zwischen denen Rundtürme die kreisförmigen Sitzungssäle der Bundestagsausschüsse aufnehmen. Diese klare Struktur des Baus erforderte die Einladung von Künstlern mit einer minimalistischen oder konzeptuellen Arbeitsweise. Sie wurden zu direkten Auftragsvergaben, zu Kolloquiumsverfahren sowie zu Wettbewerben eingeladen.
Das Gesamtkonzept wurde von Prof. Dr. Klaus Werner, derzeit Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, sowie von Prof. Dr. Armin Zweite, dem Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, entwickelt. Es wurde alsdann dem Kunstbeirat der 13. Wahlperiode unter Vorsitz von Rita Süssmuth sowie ab der 14. Wahlperiode unter Vorsitz von Wolfgang Thierse vorgestellt und verabschiedet. Die Ergebnisse der einzelnen Wettbewerbsverfahren wurden zunächst von einer Jury beurteilt, über deren Empfehlung wiederum im Kunstbeirat beraten und abgestimmt wurde.
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Twin Gabriel. |
Nähert man sich dem Paul-Löbe-Haus vom Bundeskanzleramt her, erkennt man hinter der durchgehenden Glasfassade im Bereich der Treppenläufe die Gliederung der Westseite durch vier rautenförmige, großformatige Aluminiumpaneele, so genannte "Diamond Shapes", des amerikanischen Künstlers Ellsworth Kelly. Sowohl die Farbakzente dieser Paneele in Blau, Schwarz, Rot und Grün als auch ihre asymmetrische Platzierung beschwören eine tänzerische, fast heitere Gelöstheit als Gegenspiel zur sonst strengen Gliederung der Fassade.
Dieser tänzerische Rhythmus wird im Innern von den Neonlichtbändern des französischen Künstlers François Morellet aufgenommen: Beginnend mit einem straff gespannten rot leuchtenden Neonband leiten von der Decke durchhängende Neonbänder in den Farben Gelb, Grün und Blau immer weiter durch die Halle und setzen – vergleichbar den Aluminiumpaneelen auf der Westfassade – der klaren Gliederung der Halle ihren eigenen fröhlich-bewegten Rhythmus entgegen. Diese Gestaltung wird sich in das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit weißen und schwarzen Neonelementen fortsetzen.
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François Morellet. |
Der Längsstreckung der Halle folgt am Boden eine Installation des amerikanischen Künstlers Joseph Kosuth: Wie kostbare Intarsien sind Metallbuchstaben in die Steinplatten eingelassen und formen zwei Sätze, die zu Reflexionen über den Charakter des Lebens zwischen Geist und Materie sowie über seinen Sinn anregen. Auf der einen Seite ist ein Zitat von Thomas Mann aus dem "Zauberberg" zu lesen ("Was also war das Leben? ..."), zur anderen Seite hin eines von Ricarda Huch aus den "Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren" ("Denn was ist das Leben des Menschen? ..."). Durch die fast atemlose Aneinanderreihung der Worte wird der Leser beim Überschreiten oder Überschauen der Lettern vom Sog der Halle erfasst: Dabei wird für ihn ein Wesenszug des Lebens als eines beständigen Fließens fast körperlich erfahrbar. In der Halle hat ferner Karin Sander ein Podest mit einem Touchscreen aufgestellt. In diesem virtuellen Buch können Bilder der Gastgeschenke, die dem Deutschen Bundestag überreicht wurden, abgerufen werden.
Die Ostfassade akzentuieren zwei weithin grün leuchtende je zehn Meter hohe Neonlichtskulpturen des Leipziger Künstlers Neo Rauch. Geschickt hat der Maler die geheimnisvolle Aura seiner Gemälde auf diese Skulpturen übertragen: Zwei Männer, jeweils in leicht abgewandelter Haltung auf einer Leiter stehend, scheinen freundlich zu winken oder nach einer nicht sichtbaren Baumfrucht zu greifen. Ihre symbolhaften Gebärden lassen sich als Anspielung deuten auf eine natürliche Hortikultur ebenso wie auf die Kultur des demokratischen Gemeinwesens, auf die Gesten eines Redners oder eines Menschen, der nach hohen Zielen greift.
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Joseph Kosuth. |
Das Innere der Turmrotunden haben zwei Künstler, Ulrich Horndash und Barbara Probst, in wohl abgestimmter Gemeinschaftsarbeit gestaltet. Die in den Sitzungssälen umlaufenden farbigen Wandpaneele von Ulrich Horndash, in jedem Sitzungssaalturm von einer Farbe, erlauben zum einen eine Farborientierung im Gebäude, fassen aber zum zweiten geschossübergreifend die Turmrotunden als stereometrische Körper, ganz im Sinne des Architekten, zusammen. Barbara Probst hat in Abstimmung zur Farbe der Wandpaneele mit geometrischen Formen den Boden gestaltet, und zwar dergestalt, dass die gleiche geometrische Form jeweils eine Ebene durchläuft.
Die Höfe des Paul-Löbe-Hauses sind den Turmrotunden vorgelagert und für Spaziergänger von außen einsehbar. Einige dieser Höfe sind mit geometrisch geschnittenen Hecken nach Entwürfen des Architekten gestaltet. Für andere Höfe hingegen haben Künstler im Rahmen von Kunstwettbewerben Skulpturen entworfen, von denen einige in die Heckengestaltung integriert sind. So hat auf der Nordseite Jörg Herold einen Spiegel oberhalb eines Hofes installiert, der einen Sonnenstrahl in den Hof lenkt und im Laufe des Tages über eine Vielzahl von Steinplatten laufen lässt, die in den Boden eingelassen sind – allerdings über sämtliche Platten erst im Laufe eines ganzen Jahres. Jede dieser Platten ist mit einem historischen Datum deutscher Geschichte versehen, mit zentralen und bekannten Daten, aber auch mit weniger bekannten, die zusammen eine faszinierende Schau deutscher Geschichtszusammenhänge ergeben. Die Daten werden später auf einer CD-Rom oder im Internet dokumentiert werden.
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Neo Rauch. |
Im anschließenden Hof hat Franka Hörnschemeyer aus gelben und roten Schalelementen, wie sie zum Gießen von Betonwänden verwendet werden, ein verspieltes und filigranes Raumlabyrinth geschaffen. Es gibt Wege, die hinein- und hinausführen, Räume, die durchquert werden können, aber auch Sackgassen oder geschlossene Kammern. Die Gitter bilden verschiedene Teile von Grundrissen der ehemaligen und jetzigen Bebauung des Spreebogenbereiches nach, nämlich sowohl die Grundrisse von inzwischen verschwundenen östlich gelegenen Mauerteilen, Bauten oder Hundezwingern der DDR-Grenztruppen als auch Teile vom Grundriss des Paul-Löbe-Hauses. Durch eine axiale Verschiebung sind Grundrisselemente der einstigen und gegenwärtigen Bebauung miteinander verschränkt – gleichsam schicksalhaft verklammert. So überlagern sich Vergangenheit und Gegenwart, die politische Entwicklung des Ortes wird reflektiert, wird im unmittelbaren Sinne greifbar und begreifbar. Darüber hinaus wird mit der magischen Figur eines Labyrinths, das in der Mythologie und Kunst auf eine lange Tradition zurückblicken kann, die Frage nach dem rechten Weg aufgeworfen – ein im politischen Raum gleichermaßen spielerischer und doch ernsthafter gedanklicher Anstoß.
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Jörg Herold. |
Für einen Hof auf der Südseite hat der in Batum in Georgien geborene Joannis Avramidis die Skulptur "Kopf mit tiefenräumlichen Flächen I" geschaffen und sie so platziert, dass sie auf einem Sockel die Hecke überragt. Diese Büste, eher die reduzierte Grundform einer infolgedessen archaisch wirkenden Büste, ist zu einer nahezu rein geometrischen Form abstrahiert. In ähnlicher Weise spielt das Künstlerduo Twin Gabriel (d.i. Else Gabriel und Ulf Wrede) mit der Frage nach der Formgestaltung von Büsten: Aus Teflon haben die beiden Künstler zwei Rundprofile entworfen, von denen eines das Profil des Dichters Goethe und das andere das eines deutschen Schäferhundes als "Deutscher 1" und "Deutscher 2" zeigen. Erst im Schattenwurf werden das markante Profil des Dichters und das des Hundes erkennbar. Beide Skulpturen sind wie elegante Barockskulpturen spielerisch in die Heckengestaltung einbezogen und ironisieren Monumente bürgerlicher Heldenverehrung ebenso wie das ständige Bemühen um deutsche Selbstvergewisserung.
Auf andere Weise wirft die Frage nach dem, was eine Skulptur ausmacht, der Leipziger Künstler Till Exit auf. Er hat vier Plexiglas-Kuben geschaffen, die von innen erleuchtet werden. Strukturelemente im Innern der Kuben, unterschiedliche Oberflächentexturen sowie der halbtransparente Charakter der Würfel lassen komplexe Bildwirkungen entstehen, die das herkömmliche Verständnis einer Skulptur erweitern und zudem zu Tag- und Nachtzeit ganz unterschiedliche Ansichten der Skulpturen vermitteln.
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Franka Hörnschemeyer. |
Auch die Restaurants im Paul-Löbe-Haus wurden von Künstlern gestaltet. So wurde das Abgeordnetenrestaurant vom dem kubanischen Künstler Jorgé Pardo als Gesamtkunstwerk mit deckenfüllenden farbigen Kristall-Leuchten und eigens gestalteten Möbeln entworfen. Für das Besucherrestaurant hat Tobias Rehberger einen Bogen zwischen den Kulturen geschlagen, indem er klassische Designmöbel nach seiner Zeichnung von Handwerkern anderer Kulturen nachbauen ließ. Die englische Künstlerin Angela Bulloch wiederum verbindet Besucher und Abgeordnete in einer anspielungsreichen Installation: Wer sich vor dem Sitzungssaal des Europaausschusses (der im Innern mit großformatigen Arbeiten Helmut Federles ausgestattet ist) auf eine der Bänke setzt, lässt durch elektrische Kontakte im Geschoss darunter auf der Ebene des Besucherrestaurants farbige Lampen aufleuchten. Dabei ist für diejenigen, die auf den Bänken in den "Seats of Power" sitzen, nicht erkennbar, was in den "Spheres of Influence" unter ihnen geschieht und umgekehrt.
Darüber hinaus sind weitere dreißig Künstler durch Ankäufe mit Werken im Paul-Löbe-Haus vertreten. So ist durch das Engagement des Kunstbeirates das Paul-Löbe-Haus nicht nur ein Ort für die konzentrierte parlamentarische Arbeit der Ausschüsse des Bundestages geworden, sondern zugleich ein Ort der Begegnung von Kunst und Politik mit der Chance zu gegenseitiger geistiger Anregung und Beflügelung.
Die Künstler im Paul-Löbe-Haus
Joannis Avramidis
Angela Bulloch
Till Exit
Helmut Federle
Twin Gabriel
Jörg Herold
Ulrich Horndash
Franka Hörnschemeyer
Ellsworth Kelly
Joseph Kosuth
François Morellet
Jorgé Pardo
Barbara Probst
Neo Rauch
Tobias Rehberger
Karin Sander und ...
Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages