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Debatte

Das neue Kabinett
Problemlöser Superminister?



Dialog: Peter Ramsauer (links) und Ludwig Stiegler (rechts)

Der Bundestag hat sich konstituiert, die Regierung gebildet, die Opposition formiert. Hat sich die Regierung personell so gut aufgestellt, dass sie die Probleme optimal anpacken kann? Helfen Superminister aus der Krise? Darüber führte Blickpunkt Bundestag ein Streitgespräch mit Ludwig Stiegler, dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, und dem Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe Peter Ramsauer.

Blickpunkt Bundestag: Herr Stiegler, Rot-Grün tritt mit dem kleinsten Kabinett aller Zeiten ? 13 Minister ? an, steht aber vor den größten Aufgaben. Passt das gut zusammen?

Ludwig Stiegler: Konzentration der Kräfte, erfahrene, durchsetzungsfähige Personen, vier Wochen nach der Wahl Koalitionsvereinbarung und Regierungsbildung ? was kann man eigentlich mehr wünschen? Wir haben das zügig gemacht und packen jetzt die Aufgaben an. Also: ein guter Start.

Blickpunkt: Vermute ich richtig, Herr Ramsauer, dass Sie das anders sehen?

Peter Ramsauer: So ist es. Wir in der Union können nur feststellen: So schlecht hat sich noch nie eine Bundesregierung personell wie inhaltlich aufgestellt. Mit diesem Alt-Kabinett erzeugt Rot-Grün keine Aufbruchstimmung. Und mit der in ihrem Koalitionsvertrag niedergelegten Politik auch nicht. Das sieht offenbar auch die Mehrheit der Wähler inzwischen so: 62 Prozent der Deutschen fühlen sich von Rot-Grün im Wahlkampf getäuscht.

Stiegler: Die werden rasch merken, dass wir genau das umsetzen, was wir zuvor versprochen haben. Noch ein Einwurf zum Alter der Kabinettsmitglieder: Ich habe den Eindruck, dass Kollege Ramsauer alt mit gebrechlich assoziiert. Dabei weiß ich aus meiner Juristenzunft: Die besten Advokaten sind oft die über 70-jährigen. Und auch mancher Minister über 60 Jahre ist wacher, kreativer und mutiger als sein jüngerer Kollege. Im Übrigen haben wir mit vielen neuen Staatssekretären den Verjüngungsprozess in der zweiten Reihe eingeleitet. Ich finde, mit dieser Konstellation fahren wir außerordentlich gut.

Ramsauer: Einspruch! Sie malen schön, was in Wahrheit nur grau in grau ist. Die neue Mannschaft ist eine Weiter-so-Regierung, deren Personal bis hin zu den Staatssekretären nicht gerade für Erneuerung spricht. Nehmen Sie doch nur die Auslaufmodelle Manfred Stolpe und Renate Schmidt, die jetzt wieder reaktiviert worden sind, obwohl sie selbst in den politischen Ruhestand sein wollten. Nein, mit diesem Kabinett ist wirklich kein Staat zu machen.

Blickpunkt: Immerhin gibt es die neuen ?Superminister? Wolfgang Clement und Ulla Schmidt. Aber: Bedeuten neue Ministeriums-Zuschnitte auch eine neue Politik?

Stiegler: Es ist absolut richtig, gerade auf so wichtigen Feldern wie Arbeit und Wirtschaft oder Gesundheit und Soziales die Chance wahrzunehmen, verkrustete Strukturen aufzubrechen. Wenn ich etwas an den vorangegangenen Regierungen zu kritisieren habe, ist es das Gegeneinander der Bürokratien. Jetzt sind Abteilungsleiter und Hierarchien, die sich früher in unterschiedlichen Häusern eher skeptisch bis gegnerisch gegenüber standen, erstmals gezwungen, sich zu einigen und zusammenzuarbeiten. Es findet also eine eingebaute Abstimmung statt. Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Denn jetzt gibt es einen Kopf, eine Meinung und eine Verwaltung. Ich finde es sehr heilsam, dass hier der alte Adam ausgetrieben wird.

Blickpunkt: Eigentlich müsste die Zusammenlegung von Wirtschafts- und Arbeitsministerium auch bei Ihnen, Herr Ramsauer, unumstritten sein, denn Ihr Kanzlerkandidat Stoiber wollte ja Lothar Späth auf diesem Feld zum Superminister machen ...

Ramsauer: Insofern liegt bei uns ja auch das Copyright für diese Idee; die Roten haben es nur abgekupfert. Auch aus meiner Sicht ist richtig, dass die Trennung von Wirtschaft und Arbeit ein Systemfehler war. Jetzt ist zusammen, was zusammen gehört. Ob allerdings Wolfgang Clement eine gelungene Besetzung für dieses Großressort ist, wage ich zu bezweifeln. Denn in Nordrhein-Westfalen hinterlässt er eine äußerst magere Bilanz, offenbar flieht er vor Abschwung und Filz-Vorwürfen in seinem Land ? so einer macht keine Hoffnung auf Aufschwung im Bund.

Stiegler: So ein Schmarren. Clement ist einer der profiliertesten und engagiertesten Politiker in diesem Land

Blickpunkt: Ist es nicht ein Nimbus, dass ein Großressort auch Großes bewirkt?

Stiegler: Es geht nicht um Groß- oder Superressorts, sondern um Kompetenzbündelung und um den strukturellen Zwang, sich möglichst frühzeitig zu verständigen. Es hat ja jeder Argumente, die gehört werden müssen. Aber aus Argumenten sind bisher oft Blockaden geworden. Die werden jetzt aufgelöst, weil an der Spitze nur noch ein Verantwortlicher ist, der natürlich unter Erfolgsdruck steht. Das führt zu einer neuen Dynamik, die sicherlich auch auf die Fraktionen ausstrahlen wird, in denen es ja auch immer wieder überflüssige Abgrenzungstendenzen gibt.

Im Gespräch: Ludwig Stieger (rechts)

Im Gespräch: Ludwig Stieger (rechts)

Blickpunkt: Bedeutet die Zusammenlegung bislang selbstständiger Ministerien zunächst nicht eher mehr Reibungsverluste als weniger? Immerhin müssen neue Organisationssysteme geschaffen und vorhandene Widerstände abgebaut werden.

Stiegler: Im ersten Halbjahr wird es sicher Reibungsverluste geben, aber langfristig werden sich die neuen Strukturen rasch einschleifen. Der politische Alltag zwingt dazu. Nehmen Sie nur das Hartz-Konzept, bei dem sich schon jetzt eine ausgesprochen positive Kooperationsbereitschaft innerhalb des neuen Wirtschafts- und Arbeitsministeriums wie auch mit den Regierungsfraktionen entwickelt hat.

Ramsauer: In der Organisationsfrage ? das heißt: Wie organisiere ich Politik, wie mache ich sie zielführend und effektiv? ? kann es vernünftigerweise nur eine parteiübergreifende Sicht geben. Deshalb bin auch ich nicht gegen ein Superministerium, auch wenn ich den Namen nicht so gerne mag. Wir müssen von Politikern und Beamtenapparaten gleichermaßen verlangen, dass sie ein hohes Maß an Wandlungsbereitschaft haben. Sonst können wir nicht gegenüber den Herausforderungen unserer Zeit bestehen.

Blickpunkt: Ist es nicht ein Widerspruch, einerseits Kräfte in neuen Superministerien zu konzentrieren, auf der anderen Seite aber die Lösung wichtiger Probleme auf Kommissionen à la Hartz zu delegieren?

Stiegler: Das war ja gerade die fast zwangsläufige Folge des alten Systems, in dem gegenseitig sich blockierende Ressorts mit dem Mittel einer aushäusigen Expertenkommission überwunden wurden. Ich erwarte, dass mit den neuen Großressorts sich dieser Prozess wieder zurückentwickelt und dass innerhalb der ?Superministerien? ebenso kreative Kräfte freigesetzt werden, wie wir sie in den Kommissionen durchaus erlebt haben. Das würde sich dann sicher auch im Umgang mit dem Parlament niederschlagen. Denn es ist klar, dass die Abgeordneten als eigentlicher Gesetzgeber rechtzeitig, umfassend und intensiv an der Entstehung wichtiger Reformgesetzgebung beteiligt werden müssen.

Ramsauer: Ich finde das Kommissionsunwesen, mit dem Schröder begonnen hat, ein großes Übel der parlamentarischen Demokratie. Das ist eine vorsätzliche Degradierung des Parlaments, weil Entscheidungen grundsätzlichster Art nicht mehr in Ministerien oder im Parlament erarbeitet, sondern nach außen verlagert werden. Damit entsteht der Eindruck, als seien Parlament und Regierung unfähig, grundsätzliche Neuorientierungen vorzunehmen. Außerdem wird das Parlament durch externe Normsetzungen in eine Friss-oder-stirb-Ratifizierungssituation gebracht.

Stiegler: Ich sehe das anders. Gerade weil sich Regierung und Opposition häufig auch gegenseitig blockiert und gefesselt haben ? Beispiel Zuwanderung ? kann durch Kommissionen dem gesellschaftlichen Dialog wirklich eine Bahn gebrochen werden. Es gibt unglaublich viel Sachverstand und bürgerschaftliches Engagement, das zu mobilisieren und zu nutzen ist. Die Einbeziehung der Gesellschaft erscheint mir daher eher ein Gewinn als eine Entmündigung der Politik ? wenn das Parlament eingebunden bleibt.

Peter Ramsauer (links)

Peter Ramsauer (links)

Blickpunkt: Nun sollen ja auch in den Bereichen Gesundheit und Rente, für die eigentlich ?Superministerin? Ulla Schmidt zuständig ist, Kommissionen Lösungskonzepte vorlegen. Richtig?

Ramsauer: Ich finde nein. Auf diese Weise müssen sich Minister wie dumme Schulbuben vorkommen. Denn sie sind dann nicht mehr die verantwortlichen Minister, sondern werden zum Chef einer verwaltenden und vollziehenden Behörde degradiert, die man genauso mit einem B6-Präsidenten (B6 = Besoldungsstufe bei Beamten, d. Red.) besetzen könnte wie eine nachgeordnete Bundesbehörde. Dabei sollen Minister doch die Personen sein, die auf der Ebene unterhalb des Kanzlers die großen Leitlinien der Politik entwickeln, voranbringen und umsetzen.

Quelle: http://www.bundestag.de/bp/2002/bp0209/0211008a
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