Haushaltstag
Franziska Eichstädt-Bohlig hat Erfahrung mit den Aufregungen, die Haushaltsberatungen im Bundestag mit sich bringen. Die Probleme werden nicht kleiner, also ist man jedes Jahr auf Lösungssuche.
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Am Abend dieses Montags, der die sitzungsfreie Zeit des Bundestages beendet, bekommt die Politikerin Franziska Eichstädt-Bohlig auf einer Straße in Berlin-Kreuzberg ein Flugblatt in die Hand gedrückt, auf dem gegen grüne Verkehrspolitik protestiert wird. Die Anwohnerinitiative nennt sich KDW – Kein Durchgangsverkehr im Wrangelkiez – und die grüne Bundestagsabgeordnete, einst Baustadträtin in Berlin-Kreuzberg, erinnert sich, wie unmittelbar in der Lokalpolitik Rückmeldung auf politische Entscheidungen erfolgt. Und wie schwierig es ist, gerecht zu entscheiden. Denn während die Wrangelkiezer ihrem Ärger über mehr Durchgangsverkehr Luft machen, freuen sich die Nachbarn am Görlitzer Ufer über Verkehrsberuhigung. Und wie in der Bundespolitik geht es auch hier am Ende um einen Kompromiss, mit dem möglichst viele leben können.
„Man nennt den Haushalt zuweilen Schicksalsbuch der Nation“, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einen Tag nach diesem Montag, der die erste Haushaltswoche im Bundestag eröffnet. Man könnte also sagen, Franziska Eichstädt-Bohlig hat mitgeschrieben an diesem höchst komplizierten Werk. Das klingt spektakulär und löst sich an einem normalen Sitzungstag in zahlreiche Arbeitstermine auf, die sich eher wenig für Pathos eignen. Da werden kleine Schritte in die richtige Richtung gemacht, da wird auf der Stelle getreten, nach einfacheren Wegen gesucht und manchmal auch nach Licht am Ende eines Tunnels.
Um 8.35 Uhr steht die 62-jährige Abgeordnete vor dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in der Berliner Invalidenstraße und blinzelt in die Sonne. Die Frau sieht gut aus in ihrem grauen Hosenanzug und hat ein Lächeln, mit dem sie wahrscheinlich manchmal kleine Berge versetzt.
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11.00 Uhr: Verkehrsausschuss. |
In fünf Minuten wird eine Beratung rot-grüner Obleute mit Bundesminister Manfred Stolpe über die LKW-Maut beginnen. Das Thema Maut, so viel ist an diesem Morgen klar, begleitet die Haushalts- und Verkehrspolitikerin noch den ganzen Tag. Das Arbeitsgespräch im Ministerium findet hinter verschlossenen Türen statt, ebenso die nachfolgende Beratung in kleinerer Runde und zum gleichen Thema. Ergebnisse werden erst später öffentlich gemacht.
Zwei Stunden später beginnt der Sitzungsmarathon im Bundestag. Haushaltswochen sind streitbare Angelegenheiten und eine Menge Schlagzeilen wert. Vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages im Paul-Löbe-Haus hält sich die Anzahl der Abgeordneten und der Journalisten die Waage. Bundesminister Manfred Stolpe wird erwartet und man hofft auf Statements zur Maut und die von Unternehmen angekündigten Preiserhöhungen. Franziska Eichstädt-Bohlig ist Mitglied im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, im Haushaltsausschuss und stellvertretendes Mitglied im Finanzausschuss. Passt thematisch alles zusammen. Nur zeitlich oft nicht. Die Abgeordnete ist für sechs so genannte Einzelpläne im Bundeshaushalt zuständig, fungiert ihrer Fraktion gegenüber als Berichterstatterin zu diesen Themen, von denen die Bearbeitung jedes einzelnen fast einem Vollzeitjob gleichkommt.
Der Verkehrsausschuss tagt von elf bis 13 Uhr, zwischendurch allerdings muss Franziska Eichstädt-Bohlig in den unter anderem für Bauen und Verkehr zuständigen Arbeitskreis II der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, um ihre Aufgabe als Berichterstatterin wahrzunehmen.
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12.15 Uhr: Arbeitskreis II. |
Die Tagesordnung des Verkehrsausschusses umfasst nur einen Punkt. Der aber hat es in sich, denn es geht um die Information über die Verschiebung des Termins für die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung der Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen, die Auswirkungen der Verschiebung und die damit verbundenen europarechtlichen Fragen.
Der Arbeitskreis II der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen tagt zum Glück gleich nebenan. Um 12.15 Uhr also sitzt Franziska Eichstädt-Bohlig im Sitzungssaal E 700 im Paul-Löbe-Haus, um Bericht zu erstatten. „Ich gehe gleich in medias res“, sagt sie und nennt Zahlen der einzelnen Etats, Fakten, formuliert Probleme, die zu erwarten sind, redet über bereits gefundene Kompromisse, noch auszuhandelnde Vereinbarungen, Gewinne und Verluste, politische Zugeständnisse und unantastbare „essentials“ grüner Politik. Sie sagt Sätze wie: „Wir wollen eine Vier vor dem Komma.“ Und: „Was hier noch völlig fehlt, ist die Verknüpfung von Verkehrs- und Siedlungspolitik.“ Wenn sie redet, signalisiert die linke Hand, wohin sich die Dinge bewegen – schräg nach oben, steil nach unten, gerade noch die Waage haltend, hier wird abgeschnitten, da kommt ein wenig dazu.
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16.12 Uhr: Fraktionssitzung. |
Es gibt ausreichend Nachfragen zu jedem einzelnen Posten, Vorschläge und Informationen, die der Abgeordneten Eichstädt-Bohlig die weiteren Verhandlungen über die einzelnen Etats erleichtern sollen. Das braucht Zeit. Ein Blick auf die Uhr macht der Politikerin klar, dass sie es nicht mehr zurück in den Verkehrsausschuss schaffen wird. „Ich will noch drei Takte zum Haushalt sagen, auch wenn nebenan im Ausschuss die LKW-Maut ohne mich verhandelt wird.“
Um 13.45 Uhr beginnt im Jakob-Kaiser-Haus eine Beratung zu den gleichen Themen, aber in anderer Runde. Diesmal sitzen Koalitionskollegen zusammen, neun Abgeordnete, die sich miteinander über das verständigen, was vorher in den Fraktionsgremien und Ausschüssen beraten wurde.
Um 15.10 Uhr betritt Franziska Eichstädt-Bohlig das erste Mal an diesem Tag ihr Büro. Ihr bleiben knapp fünfzig Minuten, um zu telefonieren, Absprachen mit den Mitarbeitern zu treffen, Briefe zu lesen, Termine auszuhandeln. Hinter dem Schreibtisch der Abgeordneten und Architektin hängt ein Plakat, auf dem das Denkmal für Walter Benjamin in Port Bou zu sehen ist, eine schmale Stahltreppe, flankiert von hohen stählernen Wänden, die sich im Mittelmeer verliert. Franziska Eichstädt-Bohlig liebt das Plakat und sehnt sich danach, diesen Ort einmal zu sehen. Irgendwann.
Auf der Fraktionsebene im Reichstagsgebäude haben unterdes Dutzende Kamerateams ihre Technik aufgebaut. Zehn stehen allein vor dem Fraktionssaal der Grünen – die Mikrofone sind ausgerichtet, Weißabgleiche für die Kameras werden gemacht, Tontechniker testen auf Verständlichkeit, Handys klingeln, Abgeordnete geben erste Interviews. Mitten im Getümmel steht Tom Cruise und lächelt. Einfach „impossible“ denkt man, unmöglich, und fragt sich, was der Doppelgänger hier zu suchen hat.
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19.10 Uhr: Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer. |
Um 16.12 Uhr kommt Franziska Eichstädt-Bohlig zur Fraktionssitzung. Wieder geht es um Haushalt, die anstehenden Beratungen im Plenum, die vielen Fragen, die noch geklärt werden müssen und danach einer interessierten Öffentlichkeit erklärt werden sollen.
19.10 Uhr ist der Sitzungstag für die Abgeordnete vorbei, beginnen die Abendtermine. „10 Jahre Berliner Energieagentur“ werden im Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer begangen. Entspannung also, wenn auch hier über Politik und Geld und Haushalt, grüne Grundsätze und rot-grüne Kompromisse geredet wird. Franziska Eichstädt-Bohlig verschwindet im Gedränge, ist hin und wieder in kleineren Gesprächsrunden zu sehen und kommt nach anderthalb Stunden zum Ausgang, um den letzten Termin des Abends in Angriff zu nehmen. Der ist nun wirklich zum Wohlfühlen und Entspannen: Sommerfest der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bildungswerk Kreuzberg.
Vor dem Eingang stehen die Mitglieder der Anwohnerinitiative KDW, um daran zu erinnern, dass Politik überall stattfindet. Franziska Eichstädt-Bohlig nimmt es neugierig und gelassen zugleich. Neu ist diese Erfahrung ja nicht. Nur jedes Mal anders.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier