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Das Parlament
Nr. 01-02 / 12.01.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Matthias Urbach

Wolkenschieber in den Niederungen der Macht

Zwischen Politik und Wissenschaft liegen Welten, und doch beeinflussen sich beide Sphären immer stärker

Es gibt kein Land, wo der Graben zwischen Geist und Macht so groß ist, wie in der Bundesrepublik." Das sagt einer, der es wissen sollte: Reinhard Loske ist nicht nur Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, er ist auch habilitierter Politologe und Volkswirt. Noch hätten Politiker große Vorbehalte gegenüber den "blauäugigen Wolkenschiebern" in den Universitäten, während die Professoren vor den "Niederungen der Macht" erschauerten. In anderen Staaten wie etwa den USA ist es viel üblicher, dass Wissenschaftler mal ein paar Jahre in die Politik gehen - und dann an ihren Lehrstuhl zurückkehren. Hierzulande ist so etwas undenkbar, die Sphären bleiben weitgehend getrennt, Intellektuelle in der Politik haben es schwer.

Ein paar Wissenschaftler haben sich dennoch in die Politik gewagt. Zu ihnen gehört auch der Naturwissenschaftler Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der in der Wissenschaft schon alles erreicht hatte, bevor er vor fünf Jahren erstmals für die SPD in den Bundestag zog. "Die Politik lässt sich informieren, behält sich aber die Strategien selber vor", so seine Erfahrung. Eine wissenschaftliche Beurteilung politischer Strategien, wie es in den USA die berühmt-berüchtigten Think Tanks machen, "widerspricht der deutschen Mentalität", urteilt Weizsäcker.

Trotz der traditionellen Distanz blüht der Know-how-Transfer wie selten und dürfte in Zukunft noch weiter zunehmen. Die Hartz- und die Rürup-Kommission, die aktuell augenfälligsten Beispiele, dominieren derzeit die politische Debatte. Zusätzlich zu dem Gestrüppunzähliger - meist unbekannter - wissenschaftlicher Beiräte führte der Kanzler persönlich in den vergangenen Jahren auch noch einen Ethikrat und einen Nachhaltigkeitsrat ein.

Loske, in jungen Jahren selbst ein glühender Verfechter des "zivilgesellschaftlichen Dialogs", kann dem neuen "Kommissionswesen" nicht viel Gutes abgewinnen: "Es ist schlicht delegitimierend." Am Schluss werde zwar im Bundestag abgestimmt, aber schon die Rhetorik des Kanzlers von der "Eins zu Eins-Umsetzung von Hartz" illustriere, dass diese Ausschüsse ein "Schlag ins Gesicht der Parlamentarier" seien. Auch CDU-Fraktionsvize Maria Böhmer, als praktizierende Hochschulprofessorin selbst vom Fach, steht diesen Gremien ablehnend gegenüber: "Das ist ein Outsourcen von Entscheidungen".

Sind die wissenschaftliche Kommissionen nur ein Instrument der Macht? Während die Abgeordneten die neuen Einrichtungen als Konkurrenz empfinden, zeigen sich die Wissenschaftler aufgeschlossener. Wolfgang Wiegard etwa ist einer der "fünf Weisen" im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem wohl einflussreichsten Beratungsgremium der Regierung, dem auch Bert Rürup angehört. Als etablierter Berater hätte Wiegard durchaus Anlass, die Kommissionen als Konkurrenz zu empfinden. Doch er hält diese Gremien für sehr hilfreich. "Solche Anregung kann von Parlamentariern, die sehr ihrem Tagesgeschäft verhangen sind, doch gar nicht kommen", sagt der Professor für Volkswirtschaft. Wenn es um einen "Systemwechsel" gehe, dann benötige manSpezialisten.

Warum sollten die "Wirtschaftsweisen" auch klagen: Sie finden in der derzeitigen ökonomischen Krise mehr Gehör denn je. Ihre Vorschläge durchziehen die Agenda 2010 wie die Konzepte der Opposition. Ohne die Expertise der Hartz-Kommission hätte Kanzler Gerhard Schröder seine Agenda nach Einschätzung vieler Abgeordneter kaum durchsetzen können. Der geballte Sachverstand zerstreute die Bedenken vieler SPD-Linker, der Kanzler schleife den Sozialstaat allein aus Machtkalkül.

Aber liefert eine breit zusammengesetzte Kommission tatsächlich objektive Grundlagen für eine politische Entscheidung? "Das ist ein völlig falsches Bild", urteilt Gustav Horn, Konjunkturexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, einem der sechs führenden Institute dieser Zunft: "Das ist dieser Ruck-Mythos: Die Wissenschaft weiß, wo es lang geht - und man muss es nur tun". Auf diese Weise versuche die Politik oft, "die Wissenschaft zu instrumentalisieren". Auch Wiegard hält die viel zitierte "Eins zu Eins"-Umsetzung der Hartz- wie Rürup-Empfehlungen für Unsinn: "Das muss die Politik schon selbst entscheiden."

Rütteln an Tabus

Wenn die Wissenschaft schon nicht objektiv ist, ist sie dann wenigstens neutral? Ernst-Ulrich von Weizsäcker glaubt das nicht. In seinen Augen waren es vor allem Ökonomen, nicht Politiker, die seit den 80er-Jahren "einen Abbau des Sozialstaates" propagierten. Die Ökonomen hätten einen neoliberalen Zeitgeist vorangetrieben: "Mit der Wiedervereinigung bekamen sie Oberwasser". Während Wissenschaftler mit politischen Ambitionen in den 70er-Jahren von links gekommen seien, meint der Sozialdemokrat Weizsäcker, kämen sie heute von rechts. Die großen Wissenschaftsvereinigungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder die Max-Planck-Gesellschaft lägen inzwischen "total auf CDU-Linie".

Die Wissenschaft ist auch aus einem anderen Grund nicht neutral. Wer es als Forscher zu etwas bringen will, braucht Aufmerksamkeit und Forschungsgelder. Disziplinen wie die Biotechnik stoßen zudem an gesellschaftliche Grenzen, rütteln an Tabus. Der Molekularbiologe Detlev Ganten, Direktor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin, wünscht sich mehr Freiheiten etwa für die Stammzellenforschung. Ganten ist Mitglied des Ethikrates beim Kanzler und wirbt dort vehement für seine Sache. Und noch immer vermisst er eine "ausreichende" Unterstützung der Politik für die Freiheit der Forschung.

Gerade der Ethikrat ist für die Parlamentarier Loske und Böhmer ein rotes Tuch. Schließlich installierte der Kanzler diesen Ausschuss als Gegengewicht zur forschungskritischen Bioethik-Enquetekommission des Bundestags. Und nun kämen die beiden Gremien mit schöner Regelmäßigkeit zu entgegengesetzten Urteilen, beklagt Maria Böhmer. Hier liegt der instrumentelle Charakter der Kanzler-Kommissionen klar zutage: Sie dienen der Politik.

Eigentlich bilden die Enquetekommissionen Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik par excellence. Die Enquetekommission "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" Ende der 80er-Jahre ist das legendäre Vorbild für eine erfolgreiche Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Politik. Die beteiligten Abgeordneten schafften es, zusammen mit so prominenten Köpfen wie Nobelpreisträger Paul Crutzen und Harmut Graßl als Klimadirektor am Max-Planck-Institut, den Treibhauseffekt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu tragen.

In der Öffentlichkeit nicht akzeptiert

Doch die Enquetekommissionen des Bundestages sind nur dann stark, wenn es ihnen gelingt, zu einer einheitlichen Meinung zu gelangen. Viele dieser Einrichtungen beriefen "zu viele Experten, die Parteien angehören", kritisiert Graßl: "Die werden von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert". Auch Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der die Globalisierungs-Enquetekommission leitete, klagt über die Mentalität vieler Parlamentarier: "Die Politiker aus beiden Lagern entwickeln wenig Neugier für die Fakten - sie laden im wesentlichen die Forscher ein, die ihre eigenen Ansichten reproduzieren." Die Kommission verkommt so schnell zu einer PR-Maschine.

Aber auch die Wissenschaft ist auf einen fairen Wettbewerb der Ideen angewiesen, so sie etwas erreichen will. Das betont Hartmut Graßl, heute selber Vorsitzender eines wissenschaftlichen Beratungsgremiums der Regierung zu Globalen Umweltveränderungen. Ohne einen ausdiskutierten Konsens habe die Forschung kein Gewicht. Als Beispiel nennt Graßl das UN-Gremium IPCC, das in den 90er-Jahren begann, regelmäßig das Wissen, aber auch die Lücken der Klimaforschung zu analysieren: "Ohne IPCC würden wir noch immer darüber streiten, ob es den Klimawandel gibt oder nicht." Viele UN-Umweltkonventionen etwa zum Artenschutz oder zur Wüstenbildung seien bislang deshalb so zahnlos geblieben, weil niemand den wissenschaftlichen Stand bündele - und der Politik verlässliche Grundlagen zur Entscheidung präsentiere.

Hier schließt sich der Kreis zur aktuellen Debatte. Denn die "fünf Weisen" und ihre Konzepte wären derzeit sicher nicht so einflussreich, gäbe es nicht einen breiten Konsens der Ökonomen über die Dringlichkeit der Konsolidierung von Staatsfinanzen und Sozialsystemen. Die ehrwürdigeWissenschaft vermag eben nur dann die Politik nachhaltig zu befruchten, wennihre Expertisen mehr sind als ein womöglich ideologisch gefärbter "educated guess".

Matthias Urbach ist bundespolitischer Korrespondent der taz.

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