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Das Parlament
Nr. 01-02 / 12.01.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Tanja Volz

Weg ins medizinische Wunderland?

Tissue Engineering, Gentherapie und Stammzellforschung: Hoffnungsträger für die Patienten
Es zuckt unter dem Mikroskop. Wenn man ganz genau hinschaut, ist sogar deutlich zu erkennen, dass die schmale, lanzettförmige Zelle sehr regelmäßig und rhythmisch schlägt - wie das so üblich ist für eine Herzzelle. Die grün leuchtenden Herzzellen, die in einer Kulturschale so rhythmisch schlagen, sind ein kleines Wunder. Und über dieses kleine Wunder können sich die Mitarbeiter am Kölner Institut für Neurophysiologie immer wieder aufs Neue freuen. Denn diese Zellen haben sich nicht in einem Körper entwickelt, sondern ganz spontan im Labor, in einer Kulturschale aus einem Klümpchen embryonaler Stammzellen.

Die Kölner Wissenschaftler möchten mit Hilfe dieser Zellen herausfinden, wie es dazu kommt, dass sich eine Zelle ganz spontan rhythmisch zu bewegen beginnt, und woher eine spätere Herzzelle weiß, wie sie richtig zu schlagen hat. Denn auch nach jahrzehntelanger Forschung hat man es nicht verstanden, warum schon nach wenigen Tagen in einem Embryo die winzigen Herzzellen kontrahieren. Jürgen Hescheler, Leiter des Kölner Instituts, möchte mit seinen Arbeiten Licht ins Dunkel der Embryonalentwicklung bringen.

Welche Signalmoleküle sind in verschiedenen Entwicklungskaskaden beteiligt? Welche Gene werden in verschiedenen Entwicklungsstadien an- oder abgeschaltet? Erst wenn man weiß, warum aus einer befruchteten Eizelle ein Embryo mit verschiedenen Organen und schließlich ein Mensch mit Haut und Haaren wird, könnte dies die Medizin revolutionieren.

Mit Experimenten bei embryonalen Stammzellen waren Hescheler und seine Mitarbeiter bereits erfolgreich: In einer Studie an mehr als 150 Mäusen konnten die Kölner Wissenschaftler nachweisen, dass sich die Überlebenschance der Tiere nach einem Herzinfarkt durch die Transplantation von embryonalen Stammzellen deutlich erhöht. Nun wollen die Forscher herausfinden, ob die Ergebnisse aus den Tierversuchen auch auf den Menschen übertragbar sind: Vor wenigen Tagen haben die Versuchsreihen mit menschlichen embryonalen Stammzellen begonnen.

Heschelers Arbeitsgruppe gehört zu einem der fünf Teams, die in Deutschland menschliche embryonale Stammzellen erforschen dürfen. Nachdem die zuständige Ethikkommission die Arbeiten vor einigen Monaten genehmigt hat, sind die humanen Zellen aus dem US-amerikanischen Wisconsin in Köln eingetroffen und weitergezüchtet worden. Jetzt sind sie soweit, dass man versuchen kann, sie zum Schlagen zu bringen. Sollte dies gelingen, könnte man, so die Hoffnung der Wissenschaftler, Herzzellen herstellen, die im geschädigten Herzen eines Infarktpatienten die Funktion zu verbessern vermögen.

Therapien der Zukunft zu entwickeln, das ist die Hoffnung aller Stammzellforscher. Es geht vor allem darum, künftig Krankheiten heilen zu können, die bisher kaum therapierbar sind. Neue Nervenzellen für Alzheimerpatienten oder Parkinsonkranke, Zellersatz für Schlaganfall-Opfer, Hautzellen für Schwerstverletzte, Insulin bildende Zellen für Diabetiker: Das alles wollen Wissenschaftler im Labor züchten und damit schwer kranken Menschen helfen.

Die Waghalsigen unter den Forschern halten sogar noch viel mehr für möglich: ganze Ersatzorgane, individuell auf jeden Menschen abgestimmt, so dass sie bei einer Transplantation nicht abgestoßen werden können. Doch bis es tatsächlich soweit ist, werden noch Jahrzehnte vergehen, da sind sich die Experten einig. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass Ergebnisse aus Tierversuchen nicht so einfach auf den Menschen zu übertragen sind: Vieles läuft zwar gleich in der Entwicklung von Mensch und Tier, vieles jedoch auch unterschiedlich.

Vor zu großer Euphorie warnt auch immer wieder der wohl inzwischen bekannteste deutsche Stammzellforscher Oliver Brüstle: "Es dauert noch mindestens fünf bis zehn Jahre, bis abgeschätzt werden kann, ob die Ergebnisse auf den Menschen übertragen werden können." Auch der Bonner Neuropathologe möchte mit menschlichen embryonalen Stammzellen nachvollziehen, was ihm im Tierversuchen bereits gelungen ist und was weltweit Aufsehen erregt hat: defekte Nervenzellen im Gehirn zu reparieren oder zu ersetzen.

Die meisten Stammzellforscher bleiben bescheiden, wenn es um Zukunftsprognosen geht. Bei ihrer Arbeit werden sie vermutlich eine Menge Rückschläge hinnehmen müssen, wie schon die Arbeiten auf einem lukrativen und zukunftsträchtigen Feld der modernen Genetik, der Gentherapie, gezeigt haben. Heilung durch Gene: Mit diesem Versprechen glaubten Mediziner noch vor wenigen Jahren alle Erbkrankheiten in den Griff zu bekommen. Das Konzept klang einfach und überzeugend: Man nehme ein passendes Gen und schleuse es in die kranken Zellen ein.

Die mit dem Gen von außen eingeschmuggelte Bauanleitung kann der Körper des Patienten nutzen, um ein Protein herzustellen, das eine Krankheit heilt oder sie zumindest lindert. Der US-Amerikaner French Andersen, einer der Gründer der Gentherapie, prophezeite in den Neunzigern, bis zur Jahrtausendwende würden Millionen von Menschen durch die Gentherapie geheilt werden können.

Schwere Nebenwirkungen

Doch weit gefehlt. Es zeigte sich recht schnell, dass es bei der Gentherapie offenbar häufiger schwere Nebenwirkungen gibt. Denn die Tücken liegen im Detail, in den Genfähren. Um Gene effektiv in die Zellen einzuschleusen, werden als Taxi meist Viren benutzt. Doch diese Viren können für den Menschen gefährlich werden, auch wenn sie dem Patienten nur in abgeschwächter Form injiziert werden. Und dann starb am 17. September 1999 der 18-jährige Jesse Gelsinger an den Folgen seiner Gentherapie.

Der Körper des jungen Amerikaners konnte mit den Billionen von Viren, die seine Organe überschwemmten, nicht umgehen. Er starb an Multiorganversagen. Nach seinem Tod wurden gentherapeutische Studien von der US-Arzneimittelbehörde kritischer begutachtet, seither ist ein Großteil der Studien gestoppt.

Erst vor wenigen Wochen mussten die Gentherapeuten erneut einen schweren Rückschlag hinnehmen. Der Arzt und Forscher Alain Fischer vom Kinderkrankenhaus Necker in Paris hatte in den vergangenen Jahren ein knappes Dutzend Kinder, die an einer lebensbedrohlichen angeborenen Immunschwäche litten, mit Hilfe eingeschleuster Gene behandelt. Die Therapie schien auch zunächst erfolgreich zu sein. Das Abwehrsystem der Kinder konnte sich gegen Krankheitserreger durchsetzen. Allerdings erkrankten nun zwei der elf Kinder an Leukämie - worauf das Leukämierisiko bei dieser gentherapeutischen Behandlung beruht, ist noch nicht geklärt.

Bis heute befindet sich die Gentherapie im Experimentierstadium; die Jubelarien der ersten Jahre sind verklungen. Doch trotz aller Fehlschläge setzen viele Wissenschaftler nach wie vor Hoffnungen in diese Methode. Inzwischen sei, so meinen sie, der glamouröse Aspekt außen vor. Die Gentherapie sei inzwischen ein seriöses, ernsthaftes Handwerk, schillernde Lobeshymnen seien fehl am Platz.

Auch das so genannte Tissue Engineering, die Erzeugung menschlicher Gewebe im Labor, ist nach der Euphorie der Pionierzeit in eine ruhigere Phase übergegangen. Die großen Visionen von der Hand aus dem Labor oder vom Herzen aus der Retorte der Gewebezüchter sind realistischen Vorstellungen gewichen. Es geht nicht mehr um die Züchtung ganzer Organe. Vielmehr wollen die Forscher erreichen, dass der Körper eines Patienten sich besser regeneriert und etwa bei der Verpflanzung von Gewebe dieses annimmt. Bei der Herstellung von einzelnen Geweben gibt es große Fortschritte: Die "Haut aus der Tube" wird inzwischen routinemäßig eingesetzt, und auch der Ersatz von Gelenken und Knorpel hat sich in der Kilinik bereits bewährt.

Zu den weltweit führenden Zentren beim Tissue Engineering zählt die Abteilung für plastische Chirurgie an der Universitätsklinik in Freiburg. Den größten Erfolg erzielten die Breisgauer Wissenschaftler bisher bei der Haut. Man kann inzwischen Zellen aus der Haut eines Patienten entnehmen und diese im Labor weiterzüchten. Mit geeignetem Trägermaterial und zusätzlich gesteuert durch Wachstumsfaktoren vermag man Keratinocyten, das sind Oberhautzellen, zu erzeugen. Verbrennungsopfer und vor allem Patienten mit offenen Wunden profitieren von dieser "Haut aus der Tube". Dies sei nicht etwa echte Haut, sagt Björn Stark, Ärztlicher Direktor an der chirurgischen Uniklinik Freiburg: Es handele sich vielmehr um körpereigene Hautzellen in einem Fibrin-Kleber, die dann im Patienten selbst neue Haut aufbauen.

Nach demselben Prinzip werden auch Knochen- und Knorpelzellen gezüchtet, die bei der Rekonstruktion von Gelenken verpflanzt werden können. Auch Nervenfasern haben die südbadischen Forscher im Visier. Bei Operationen von Hirntumoren wird nicht selten der Gesichtsnerv verletzt. Dieser Nerv verzweigt sich stark und steuert die zahlreichen Muskeln im Gesicht, welche die Mimik ausmachen. Defekte dieses Nervs entstellen und verzerren das Mienenspiel der Betroffenen teilweise so erheblich, dass das soziale Leben wesentlich beeinträchtigt wird. Man müsse, so die Hoffnung der Freiburger Wissenschaftler, den Körper anregen, selbst Nervenzellen zu bilden - ähnlich wie dies bei den Zellen der Haut gelungen sei.

Nach den ersten Erfolgen der Grundlagenforschung sind die Hoffnungen auf Linderung bisher unheilbarer Krankheiten oft groß. Doch es hat sich immer wieder gezeigt, dass der Weg vom ersten Versuch im Labor bis zum Einsatz in der Klinik weit ist.

Tanja Volz ist Wissenschaftsredakteurin bei der "Stuttgarter Zeitung".

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