Helmut Heinzlmeir
Die Frauen verhüten meistens noch das
Allerschlimmste
Ein wichtiges Nachschlagewerk über
Afrika
Europa und Afrika sind aufgrund von Geographie und Geschichte
eng miteinander verbunden. Das hiesige Wissen über Afrika
hält sich jedoch gemeinhin in Grenzen, speist sich oftmals
allein aus reißerischen Berichten über viel Krieg und
Armut auf dem Kontinent. Diese Sicht der Dinge zu differenzieren,
ist Anliegen des anzuzeigenden Taschenbuches, eines Sammelbandes,
der aus einer Sendereihe des Südwestrundfunks hervorgegangen
ist. Über ein Dutzend Journalisten und Wissenschaftler
schreiben - gut lesbar - über Geschichte und Kultur,
Wirtschaft und Politik in Afrika.
Afrika kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken.
Insbesondere in Westafrika, in jenen Regionen, die heute der
Sahelzone zugerechnet werden, bestanden zwischen dem 9. und 16.
Jahrhundert mehrere mächtige Großreiche (Ghana, Mali,
Songhay). Sie gründeten nicht zuletzt auf der Kontrolle des
Fernhandels in Richtung Mittelmeer. Exportiert wurden vorzugsweise
Gold und Sklaven, importiert wurden Salz, Stoffe und Pferde.
Zumeist Militäraristokratien, basierten sie - in der
Landwirtschaft, zur Versorgung der Städte - auf dem
massenhaften Einsatz von Sklaven. Namen wie Timbuktu erinnern noch
heute an jene große Zeit (Andreas Eckert, Regula
Renschler).
Afrika - Schwarzafrika - war nur eine vergleichsweise kurze Zeit
Kolonie, vereinfacht ausgedrückt vom Ende des 19. Jahrhunderts
bis etwa um das Jahr 1960. Die Nachwirkungen sind
nichtsdestoweniger weitreichend. Eine wenig beachtete Folge zeigt
sich insbesondere in Westafrika. Die Kolonialherren fassten zuerst
an den Küsten, im Süden heutiger westafrikanischer
Staaten, Fuß.
Dort siedelten zumeist animistische Gesellschaften. Christliche
Missionare bauten nicht nur Kirchen, sondern auch viele
Krankenhäuser und Schulen. Diese Bildungseinrichtungen
ermöglichten sozialen Aufstieg. Nicht von ungefähr kam
ein Großteil der ersten Führungsgeneration Schwarzafrikas
aus solchen Missionsschulen.
Damit aber wurden im nachkolonialen Schwarzafrika vielerorts
vorkoloniale Machtrelationen auf den Kopf gestellt. Vordem galten
islamischen Herrschern im nördlichen Hinterland die
schwarzafrikanischen Küstengesellschaften oftmals nur als
Reservoir für billige Arbeitskräfte. Heute stellen eben
diese die Eliten. Dies führte und führt nachgerade
zwangsläufig zu Konflikten, zu einem Nord-Süd-Gegensatz
in mehreren westafrikanischen Staaten.
Dieser Gegensatz ist nicht nur in Nigeria ein Problem. Und er
wird von den jeweiligen Machthabern oft schamlos als Religionskrieg
instrumentalisiert. Einzelne christlich-fundamentalistische Sekten
spielen in solchen Auseinandersetzungen eine nicht minder
problematische Rolle. Aufgrund der allgemeinen sozialen Not haben
sie großen Zulauf (Michael Bitala).
Viele Bürgerkriege Schwarzafrikas mögen als Ausfluss
von Religionskriegen oder Stammesfehden scheinen. Den jeweiligen
Machthabern oder Warlords geht es jedoch fast ausschließlich
um Macht und Geld. Sie instrumentalisieren solche Gegensätze
und schüren die Emotionen (Georg Elwert). Dass auf dem
Kontinent trotz alledem vielerorts noch so etwas wie
Normalität herrscht, ist nicht zuletzt den Frauen Afrikas zu
danken. Sie halten mit ungemeinem Geschick und Fleiß die
Familien zusammen (Rita Schäfer). Das ist kein leichtes
Unterfangen angesichts der schlechten Wirtschaftslage vieler
Länder. Menschen - insbesondere die besser Ausgebildeten - und
Kapital fliehen aus dem Kontinent.
Afrika läuft Gefahr, jeglichen Anschluss an
weltwirtschaftliche Entwicklungen zu verlieren. Ihn mittels den
Export einiger Rohstoffe halten zu wollen, ist illusionär
(Robert Kappel).
Katja Böhler, Jürgen Hoeren (Hrsg.)
Afrika. Mythos und Zukunft.
Herder spektrum, Freiburg/B. 2003; 206 S., 9,90 Euro
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