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Das Parlament
Nr. 10 / 01.03.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Thomas Bierschenk

Der Rückzug des Staates aus Politik und Ökonomie

Entwicklungshilfe als Rente schafft neue Formen des Klientelismus in Afrika

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist Entwicklungshilfe zu einer massiven gesellschaftlichen Realität in Afrika geworden. Die Volkswirtschaften und die Staatstätigkeit der afrikanischen Least Developed Countries (LLDCs) hängen in starkem Maße von Transferzahlungen aus Entwicklungshilfe ab. Alllein die offizielle Hilfe (ODA) der Geberländer macht im Durchschnitt etwa die Hälfte der Bruttoinvestitionen dieser Empfängerländer aus. In vielen afrikanischen Ländern bilden diese Transferzahlungen einen "grauen" Teil der Staatseinnahmen, der an Bedeutung die Einnahmen aus Steuern teilweise übertrifft.

In der Tendenz führt das zu einem Muster, bei dem die internen Staatseinnahmen im besten Fall ausreichen, laufende Kosten besonders für die Gehälter der Staatsangestellten zu bestreiten, während alle investiven Ausgaben von außen finanziert werden. Im politökonomischen Sinne sind die Auswirkungen der Entwicklungshilfe in den Empfängerländern denen von "Renten" vergleichbar. Wir können die ärmsten Länder Afrikas somit auch als "Rentierstaaten" bezeichnen.

Anders als in den klassischen Rentierstaaten des Nahen Ostens, wo die "Rente" an landeseigene Ressourcen (Erdöl) gebunden ist, gibt es für die Entwicklungshilferente eine Vielzahl von möglichen Quellen, die von den Staaten nur schwach kontrolliert werden. Die Entwicklungshilferente muss immer neu mobilisiert werden. Die Mobilisierung ist eine wichtige Funktion afrikanischer Politiker, die in dieser Hinsicht die Rolle von "Entwicklungsmaklern" spielen.

In den vergangenen 25 Jahren ist es in vielen Ländern Afrikas zu Prozessen der Liberalisierung und Demokratisierung gekommen. Ursache war der ökonomische Bankrott vieler Regime. Die internen Faktoren wurden durch äußere entscheidend verstärkt: Vor allem verloren durch das Ende des Kalten Krieges die Staaten ihre geopolitische Positionsrente. Dies beseitigte eine letzte Barriere gegenüber dem Druck der internationalen Gebergemeinschaft nach internen Strukturanpassungen, die sich auch durch die Reduzierung der Zahl der Staatsangestellten und die weitgehende Privatisierung des staatlich kontrollierten Wirtschaftssektors vollziehen sollten. Parallel wurden in vielen Ländern die diktatorischen Einparteinregimes abgeschafft und demokratische Spielregeln eingeführt.

Dieser ökonomische und politische Rückzug des Staates aus der Gesellschaft hat Handlungsspielräume für eine Vielzahl von Organisationen, Vereinigungen und Aktivitäten der "Zivilgesellschaft" wiedereröffnet: Für Produktionsgenossenschaften, Bauernorganisationen, Emigrantenvereinigungen, religiöse Vereinigungen, ethnische und kulturelle Organisationen, Frauen- und Jugendclubs oder Sparringe. Viele dieser Vereinigungen haben auf lokaler Ebene eine entwicklungspolitische Zielsetzung. Sie versuchen, Projekte zur Verbesserung der Infrastruktur zu initiieren, streben eine Verbesserung sozialer Dienstleistungen an, vor allem bei der Erziehung und Gesundheit, oder sie organisieren produktive Tätigkeiten für marginale Gruppen.

Diese lokale Dynamik trifft auf jüngere Veränderungen im Bereich der Entwicklungshilfe, die durch Bemühungen zur Entstaatlichung und Dezentralisierung der Hilfe gekennzeichnet sind. Die Tendenz geht zur "partizipativen Entwicklung", zur Arbeit "an der Basis", zu "Mikroprojekten": Entwicklungshilfe wird "entstaatlicht". Neben den großen multilateralen und nationalen Trägern spielen NGOs - wozu nicht nur private Vereine zählen, sondern auch Kirchen - eine zunehmende Rolle; hinzu kommen im Rahmen der dezentralen Entwicklungshilfe neue Träger wie Kommunen oder Bundesländer, die im Rahmen von Städtepartnerschaften eigene Entwicklungshilfe betreiben.

Im Rahmen der dezentralen Entwicklungshilfe ent-stehen neue Formen internationaler Beziehungen zwischen Organisationen und Institutionen der Zivilgesellschaft. Dies hat dazu geführt, dass auch auf lokaler Ebene "Entwicklungsmakeln" zum Phänomen wird.

Lokale Entwicklungsmakler sind Mittelsmänner, die dazu beitragen, externe Ressourcen der Entwicklungshilfe in eine Lokalität zu leiten, in der sie selber eine politische Rolle spielen. Versteht man ein Entwick-lungshilfeprojekt als idealtypische Form der Hilfe, dann stellen die Entwicklungsmakler die lokalen Träger eines solchen Projektes dar, die an der Schnittstelle von Entwicklungsagenturen und Zielgruppen agieren. Gegenüber den externen Geldgebern sind sie es, die als legitime Vertreter der Zielgruppen gelten. Wie auf der nationalen Ebene hängt die Position dieser Makler wesentlich vom Zugang zu den Gebern und ihrer Verhandlungskompetenz ab.

Die lokalen Entwicklungsmakler, die wir unter-sucht haben, sind in der Regel relativ jung, waren in ihrem bisherigen Leben recht mobil, mit Aufenthalten in verschiedenen Teilen ihres Landes, in Afrika, zum Teil auch in Europa. Sie haben eine moderne Schul- oder Hochschulausbildung genossen. Von großer Bedeutung scheinen vorhergehende Vereinserfahrungen zu sein bis zu politischen Parteien oder Gruppen. Hier erwerben die künftigen Makler Kompetenzen: Die Kenntnis unterschiedlicher gesellschaftlicher Spielregeln, die Erfahrung, dass man mit der Manipulation von Regeln Politik machen kann, die Fähigkeit, Gruppen zu mobilisieren.

In den lokalen politischen Arenen stellt heute die Fähigkeit zur Mobilisierung externer Ressourcen eine bedeutende Machtquelle dar und verändert bestehende Formationen von Patronage und Klientelismus. Die historische und ethnologische Forschung hat gezeigt, in welchem Maße Inhaber lokaler Machtpositionen schon vor und während der Kolonialzeit Mittelsmannfunktionen spielten. Diese Intermediäre sind die Nutznießer verschiedener Positionsrenten, aber in der Regel vom Zugang zur Entwicklungsrente ausgeschlossen. Dies ist nicht zuletzt eine Folge ihrer mangelhaften Kompetenz bei der Beherrschung des jeweilig aktuellen Entwicklungsjargons. Dies schließt nicht aus, dass traditionelle lokale Führungspersönlichkeiten und Entwicklungsmakler in vielfältigen Allianzen verbunden sind. Es ließe sich ein "historischer Kompromiss" zwischen beiden Typen von Mittelsmännern formulieren, in dem erstere die Beziehungen zwischen Staat und Lokalität, letztere die zwischen Lokalität und Entwicklungshilfegebern zu kontrollieren versuchen.

Grundsätzlich lassen sich drei Positionen der Ent-wicklungsmakler in der lokalen politischen Arena unterscheiden. Erstens: Der Makler steht außerhalb der Arena. Beispiele sind Emigranten und regionale beziehungsweise nationale politische Führer, aber auch Missionare und Forscher. Oder der Makler gehört zur Arena, ist aber marginal. Beispiele hierfür sind die jungen Schul- und Hochschulabbrecher (jeunes déscolarisés), die derzeit in Afrika in ihre Heimatdörfer zurückkehren und zu kleinen Unternehmern in Sachen "Entwicklung" werden. Schließlich kann die Maklerrolle von lokalen "big men" als Bestandteil einer Strategie der Machtabsicherung ausgeübt werden.

So lassen sich vorläufig mindestens vier verschiedene Typen lokaler Entwicklungsmakler und entsprechender organisatorischer Formen unterscheiden.

Religiöse Gruppen: Die Zugehörigkeit zu einer Kirche oder "Sekte" ermöglicht die Mobilisierung von Kontakten außerhalb. Islamische Bruderschaften, katholische und protestantische Kirche sowie Sekten, synkretistische Bewegungen und Freikirchen können in dem Sinn als Netzwerke aufgefasst werden.

Emigrantenvereinigungen: Hierbei handelt es sich um Vereinigungen von Staatsangestellten, Akademikern, Kaufleuten und anderen gehobenen Schichten mit gemeinsamer Abstammung aus einer Region. Diese home town associations oder associations des ressortissants finden sich seit der Kolonialzeit in größeren afrikanischen Städten und im Ausland. Es erlaubt den Emigranten, Verbindungen zur Heimat aufrechtzuerhalten und eine politische Rolle zu spielen.

Ethnische und kulturelle Bewegungen: Diese Bewegungen, die oft von Staatsangestellten oder Intellektuellen animiert werden, haben in der Regel ein doppeltes Ziel: Eine größere Teilhabe der von ihnen repräsentierten Bevölkerungsgruppen an den Leistungen des Zentralstaates und der Entwicklungsrente, andererseits verbesserter Zugang zu Positionen im Staatsapparat für ihre Repräsentanten. In beiden Fällen spielt das Argument einer "ethnisch ungerechten" Verteilung der Entwicklungsrente in der Regel eine große Rolle. Im gegenwärtigen Kontext der Demokratisierung spielen diese Bewegungen eine besondere Rolle.

Bauernführer: Mit diesem in Mode gekommenen Begriff werden lokale Vertreter ländlicher Zielgruppen bezeichnet, zu denen die Entwicklungshilfeorganisationen privilegierte Beziehungen unterhalten. Die Bauernführer haben oft Positionen in lokalen Organisatio-nen wie Kooperativen inne. Nicht selten handelt es sich um Emigranten und Schulabbrecher, die zurückgekehrt sind und sich wieder in das landwirtschaftliche Produktionssystem integriert haben. Die Dezentralisierung der Entwicklungshilfe verschafft bäuerlichen Intellektuellen wachsende Bedeutung.

Die Ergebnisse unserer bisherigen Forschungen le-gen folgende Typologie nahe: Es gibt Länder, in denen die Entwicklungsrente auf lokaler Ebene von Bedeutung ist, etwa in Mali und Burkina Faso, besonders aber im Senegal, der viermal mehr Entwicklungshilfe pro Kopf der Bevölkerung enthält als der Durchschnitt aller frankophonen Länder, die stärker von Entwicklungshilfe abhängen als die anglophonen. Eine zweite Gruppe ist durch eine niedrige Bedeutung der lokalen Entwicklungsrente gekennzeichnet, weil diese Länder weniger von internationalen Transferzahlungen abhängen. Unsere Hypothese ist, dass es sich dabei vor allem um Länder des anglophonen Afrika handelt. In einer weiteren Gruppe ist die Bedeutung der lokalen wie der nationalen Entwicklungsrente gering, da diese Länder über relativ große interne Ressourcen verfügen. Hierzu zählen die Elfenbeinküste und der Gabon. In einer weiteren Gruppe ist die Bedeutung der lokalen Entwicklungsrente deshalb niedrig, weil der Zugang zu den lokalen Arenen versperrt ist, weil er etwa vom Zentralstaat kontrolliert wird, wie dies bei Benins bis Mitte der 80er war, oder weil diese Kontrolle durch "traditionelle Notabeln" ausgeübt wird, wie bis vor kurzem Zeit im Niger.

Thomas Bierschenk ist Professor für Ethnologie und Afrikastudien an der Universität Mainz.

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