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Andreas Mehler
Sicherheitsbedenken rücken in den
Mittelpunkt
Berlins neue Afrika-Politik bietet Stoff
für publizistische und wissenschaftliche Debatten
Freiheit, Wohlstand und nachhaltige Entwicklung sind nur in
einem Umfeld von Sicherheit zu erreichen." So sprach Bundeskanzler
Gerhard Schröder am 19. Januar vor der African Union in Addis
Abeba. Es gibt einen neuen Zungenschlag in der deutschen
Afrikapolitik. Mehr und mehr im Vordergrund stehen heute die
Sicherheitsrisiken im und aus dem Nachbarkontinent. Das zeigte sich
besonders bei der Station der Kanzlerreise in Kenia, das 1998 und
2002 Ziel schwerer terroristischer Anschläge geworden ist.
Gerhard Schröder würdigte denn auch den kenianischen
Kampf gegen den Terrorismus. Ist das nur einer kurzfristigen
Konjunktur geschuldet? Hat sich tatsächlich etwas in Afrika
und in der deutschen Afrikapolitik geändert?
Afrikapolitik galt in Bonn - und anfangs auch in Berlin - als
ein recht verstaubtes und wenig kontroverses Thema. In knappen
Worten schien es möglich, den Gegenstand abzuhandeln: Dominanz
der Entwicklungszusammenarbeit vor der Diplomatie, niedriges Profil
im europäischen Konzert, stetiger Rückgang der
wirtschaftlichen und - spätestens nach 1989 - auch politischen
Interessen Deutschlands am Nachbarkontinent sowie Desinteresse
einer breiteren Öffentlichkeit trotz unvermindert hoher
Spendenbereitschaft. Nun haben sich doch neue Entwicklungen
ergeben, die zu leicht anderen Einschätzungen Anlass geben.
Das zeigt auch die erwachte Debatte in Wissenschaft und
Publizistik. Eine Reihe von Papieren wurde jüngst erregt
debattiert. Nicht nur das konkrete Handeln, sondern auch die
Problemanalyse wird kontrovers beurteilt. Grob lassen sich zwei
Positionen unterscheiden: Betont die eine Seite das Vorhandensein
bedeutsamer Entwicklungspotenziale, so verweist die andere auf die
Regelmäßigkeit, mit der selbst die zu
Hoffnungsfällen erhobenen Länder verheerende
Rückschläge erleiden. Für die Standortbestimmung
deutscher Afrikapolitik ist eine realistische Einschätzung des
Gegenstands dieser Politik aber entscheidend, daneben sicherlich
auch die Einschätzung der eigenen Möglichkeiten sowie die
Abgrenzung und Einfügung innerhalb multilateraler
Rahmensetzungen.
Zu Beginn der 90er-Jahre kam es zu ersten Bewegungen: Das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) legte im Herbst 1991 fünf Kriterien vor,
nach denen Partnerländer zu beurteilen und mit mehr oder
weniger Hilfe zu bedenken seien: 1. Achtung der Menschenrechte, 2.
Beteiligung der Bevölkerung, 3. Rechtsstaatlichkeit und
Gewährleistung von Rechtssicher- heit, 4. Schaffung einer
marktfreundlichen und sozialorientierten Wirtschaftsordnung, 5.
Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns. Diese Liste von
Kriterien, denen nachvollziehbare Indikatoren zugeordnet wurden,
galt weltweit und war insofern kein Ersatz für ein
Afrikakonzept. Eine konsequente Anwendung der Kriterien auf alle
afrikanischen Partnerländer wurde auch eher vermisst.
Leitlinien von Accra
Das Auswärtige Amt hatte über lange Jahre aus
pragmatischen Überlegungen eine zu eindeutige Festlegung
abgelehnt. Hochgehalten wurden die "Leitlinien von Accra", die auf
einer Botschafterkonferenz in der Hauptstadt Ghanas (17. - 21. Mai
1993) verabschiedet worden waren. Darin bekannte sich das Amt zu
stärker nach Leistungen differenzierten bilateralen
Beziehungen, Demokratisierung, Menschenrechten und
Rechtsstaatlichkeit, Konfliktbewältigung,
Kriegsfolgen-beseitigung, fortgesetzten Wirtschaftsbeziehungen,
Entwicklungszusammenarbeit und anderen Grundsätzen. Dies alles
blieb vage und konnte ein Afrikakon-zept gleichfalls kaum ersetzen.
Dann folgte die "Schwerpunktländersetzung" durch das BMZ, also
eine Konzentration auf weniger Partnerstaaten. Künftig sollten
"Partnerländer" nur in einem Sektor Unterstützung
erfahren, die "Schwerpunktpartnerländer" in immer noch drei
Sektoren, andere Ländern fielen ganz aus der Förderliste.
Die Auswahl erfolgte auf intrans-parente Weise, zur Kenntnis
genommen wurde aber offenbar, dass Verfallsprozesse zahlreiche
"Partner" schwach, ineffizient und zu Kooperation unfähig
gemacht hatten.
Eine wirkliche Zäsur bedeutete erst der 11. September 2001.
Während zuvor noch das "Aktionsprogramm 2015" mit seinem
Wunschlistencharakter im Vordergrund stand, heißt es nun aus
dem BMZ "Entwicklungspolitik ist als globale Strukturpolitik das
Kernelement nicht-militärischer präventiver
Sicherheitspolitik" (Wieczorek-Zeul). Im Folgenden wurde aus dem
Umfeld des Hauses gar einer gewissen "Militarisierung" der
Afrikapolitik Vorschub geleistet, obwohl doch langfristig nur
"strukturelle", sprich zivile Konfliktprävention Erfolg
verheißt. Immerhin können stets kostspielige
militärische Einsätze für eine kurzfristige
Stabilisierung sorgen und sollten daher auch in das Spektrum der
Handlungsmöglichkeiten einbezogen bleiben; als dominante
Politik taugen sie nichts. Wie dem auch sei: Insgesamt steht aus
guten Gründen der Aspekt physischer Sicherheit - zunächst
der Afrikaner, mittelbar auch der Europäer - heute sehr viel
stärker im Vordergrund der "Südpolitik". Dies gilt auch
und vielleicht besonders für Afrika.
Das Auswärtige Amt entwickelte seinerseits
Subregionalkonzepte, die zwischen Ost-, Süd-, West- und
Zentralafrika uneinheitliche Problemlagen verdeutlichten - ein
klarer Fortschritt im afrikapolitischen Denken. Einige
Schwachpunkte in den Papieren konnten auf die Unsicherheit
zurückgeführt werden, mit wem oder was man es eigentlich
zu tun hat. Die pauschale Grundannahme, man selbst und der
afrikanische Partner teilten ein gemeinsames Interesse an
"Entwicklung", wurde und wird immer noch nicht deutlich genug
hinterfragt - jedenfalls nicht in den offiziellen Papieren.
Trotzdem bricht sich der "Afro-Realismus" allmählich Bahn.
Skeptische Untertöne
Aus Afrika kommen zusätzlich neue Anforderungen. Mit der
"New Partnership for Africa's Development" (NEPAD) stellten
reformorientierte Regierungen des Kontinents im Oktober 2001
erstmals eine konsolidierte afrikanische Gesamtsicht der
Entwicklungsperspektiven vor. Darauf mussten die G8-Staaten
kollektiv und individuell reagieren. Im Falle Deutschlands
variierte diese Reaktion von positiv mit einigen skeptischen
Untertönen (AA) bis fast schon enthusiastisch (BMZ). Die
Bundestagsfraktionen kommentierten NEPAD überwiegend
freundlich. Das Prinzip der "African ownership" wurde dankbar
aufgenommen, sobald afrikanische Regierungen aber nicht wie
gewünscht agierten, hagelte es Kritik durch deutsche
Abgeordnete. Besonders deutlich wurde das, als unter anderen die
südafrikanische Regierung die Krise im Nachbarland Zimbabwe
nur mit lauer Kritik an Präsident Mugabe bedachte.
Die Gründung der African Union (AU) als Nachfolgerin der
oft kritisierten Organisation of African Unity (OAU) ist am Ende
womöglich wichtiger als NEPAD, das letztlich "nur" ein
Reformprogramm ist. Die AU schafft zumindest die Voraussetzungen
für eine verbesserte Handlungsfähigkeit auf kontinentaler
Ebene. Darauf reagierte die Bundesregierung ebenfalls mit neuen
Angeboten. Die neuere deutsche Afrikapolitik steht aber auch vor
der Herausforderung der Multilateralisierung: Während die
Annahme, dass gemeinsames Handeln mehr Nachdruck erzeugen
könnte, kaum zu bestreiten ist, müsste die bisherige
Handhabung eben auch eine aktivere Einmischung des Mitgliedslandes
Deutschland in den jeweiligen Gremien motivieren. Zum Beispiel kann
mit dem Schlagwort Europäisierung nicht einfach die Abgabe von
Kompetenzen und Verantwortung an Brüssel gemeint sein, ohne
dass die EU-Politik kompetent von nationaler Seite begleitet und
nach Maßgabe eigener Interessen und Werte auch beeinflusst
wird. Dies gilt natürlich nicht nur für die
Afrikapolitik. Woran es sichtbar auf europäischer Ebene, aber
auch auf nationaler Ebene mangelt, ist Kohärenz: Die Vielfalt
der deutschen Akteure in Afrika erschwert offensichtlich die
Festlegung eines gemeinsamen Kurses.
Erfreulicherweise oft reisen deutsche Spitzenpolitiker nach
Afrika - Bundespräsident, Entwicklungshilfeministerin,
Außenminister und Kanzler gaben sich zu-letzt abwechselnd die
Ehre, eine weitere Präsidentenreise ist in Vorbereitung. Es
spricht viel dafür, dass die relative Bedeutung Afrikas
für die Außenpolitik in den nächsten Jahren - von
niedrigem Niveau ausgehend - zumindest leicht steigen wird. Dies
trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Ignorieren von Problemen
nicht zu ihrem Verschwinden beiträgt. Die allmähliche
Neubestimmung deutscher Afrikapolitik ist hoffentlich unumkehrbar,
sie gründet auf der Anerkennung der tatsächlichen
Funktionsweise afrikanischer Staaten und einer realistischen
Analyse der Problemlagen, Schadenspotenziale und Zukunftschancen
des Nachbarkontinents. Sie wäre aber effektiver, wenn sie
zwischen den Ressorts eng abgestimmt wäre.
Dr. Andreas Mehler ist Direktor des Afrika-Instituts am
Deutschen Übersee-Institut Hamburg.
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