Konrad Watrin
Hoffnung auf neue Einheit
Die Afrikanische Union
Um den inneren Konflikten des Kontinents Einhalt zu gebieten und
die wirtschaftliche Zu-sammenarbeit voranzutreiben, haben sich die
Staaten 2001/2002 ein wenig nach dem Vorbild der Europäischen
Union in Afrikanische Union (AU - www.africa-union.org) umbenannt.
Dies geschah 38 Jahre nach ihrem Zusammenschluss zur ineffizienten
Vorgänger-Organisation, der Organisation Afrikanischer Einheit
(OAU). Die Charta der in Addis Abeba ansässigen AU sieht ein
pan-afrikanisches Parlament, einen gemeinsamen Gerichtshof und eine
Zentralbank vor. Ihr gehören die 52 unabhängigen
afrikanischen Staaten sowie die Demokratische Arabische Republik
Sahara an, weshalb Marokko nicht dazu zählt.
Von Einheit ist der durch Katastrophen, Kriege und Armut
geplagte schwarze Kontinent auch zu Beginn des 3. Jahrtausends weit
entfernt. Zum Zeitpunkt der AU-Gründung tobten mindestens ein
halbes Dutzend Bürgerkriege oder blutige Konflikte,
während allein im reichen, aber völlig maroden Kongo ein
knappes halbes Dutzend Staaten intervenierten. Zynisch-resigniert
merkte ein Äthiopier an: "Afrika ist längst eine Union
der AIDS-Kranken und der AIDS-Toten."
Einer der maßgeblichen Betreiber, mit dem manch westlicher
Beobachter das Projekt gleich in die utopische Ecke drängte,
war Libyens Revolutionsführer Muammar al Gaddafi. Er hatte es
nach seiner nahezu restlosen Desillusionierung über die
arabische Welt und das Scheitern der eigenen pan-arabischen
Einheitsträume mit viel Aufwand und langjähriger
finanzieller Unterstützung mit auf den Weg gebracht. Im Juni
2000 einigten sich die Außenminister der OAU im libyschen
Tripolis auf die Gründung der AU. Auf dem OAU-Gipfel im
togoischen Lomé im Juli verabschiedeten 33 afrikanische
Staats- und Regierungschefs das Gründungsdokument. Vertreter
der 53 OAU-Mitglieder stimmten im März 2001 auf einem
Sondergipfel im libyschen Sirte dem neuen losen Staatenbund zu,
dessen formelle Gründung im Juli 2002 im südafrikanischen
Durban stattfand. Die Umwandlung soll bis 2004 vonstatten gehen und
liegt in Händen des Interimsvorsitzenden, Malis
Präsidenten Alpha Oumar Konaré. Gaddafi, der in
jüngster Zeit durch offizielle Eingeständnisse und
Aufgabe des Terrors eine erstaunliche Wendung gen Westen machte,
sprach in Sirte gar von den "Vereinigten Staaten von Afrika". Der
angeblich "irre" Revolutionsführer hatte für Afrika ein
Modell nach amerikanischem Vorbild vorgeschlagen.
Der Haushalt 2003 der neuen AU liegt bei ver-gleichsweise
bescheidenen 66 Millionen Dollar. Doch weisen einige Staaten hohe
Beitragsrückstände auf. Hauptorgane der AU sind die
jährliche Versammlung der Staats- und Regierungschefs und der
halbjährliche Exekutivrat der Außenminister. Vorgesehen
sind ferner ein Friedens- und Sicherheitsrat aus 15 Staaten, je
dreien aus jeder der fünf Regionen Afrikas, sowie eine
Afrikanische Eingreiftruppe. Der Sicherheitsrat soll einmal im
Rahmen der Konfliktprävention tätig werden und bei
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder
Völkermord ein begrenztes Interventionsrecht mit seiner
Friedenstruppe haben.
Die Vorgängerin OAU hatte sich ohne Zweifel Verdienste bei
der Unabhängigkeit erworben, zumal durch Unterstützung
der Befreiungsbewegungen, war aber kein Militärbündnis
und arbeitete strikt nach dem völkerrechtlichen Grundsatz der
Nichteinmischung, was die Respektierung der von den Kolonialherren
gezogenen Staatsgrenzen bedeutete. Die Apartheid-Politik
Südafrikas - das 1993 nach deren Überwindung beitrat -
wurde mit diplomatischen Mitteln bekämpft. Vor allem westliche
Kritiker warfen der OAU daher Einseitigkeit und Unfähigkeit
insbesondere bei der Realisierung von Menschenrechten vor.
Als Folge des 11. September schlug der Senegal am 17. Oktober
2001 einen "afrikanischen Pakt gegen den Terrorismus" vor. Eine
Woche später stimmten zahlreiche Staatschefs in der
nigerianischen Hauptstadt Abuja der "Neuen Afrika Initiative" zu,
einer Wirtschaftsoffensive zur Belebung des stagnierenden
inner-afrikanischen Handels sowie zur besseren Integration in den
Welthandel. Der von der EU und den USA begrüßte Plan ging
vor allem auf eine Initiative des südafrikanischen
Präsidenten Tabo Mbeki zurück.
Nach Vermittlungen etwa bei einer Armeerevolte in der
Zentralafrikanischen Republik Ende 2001 engagierte sich die AU an
der Jahreswende 2001/2002 im Machtkampf um das Präsidentenamt
auf der seit 1960 von Frankreich unabhängigen Insel
Madagaskar. Im Januar 2003 beschloss die AU ihren ersten
Militärein-satz. 2.800 Mann wurden zum Schutz des Abkommens
zur Beendigung des Bürgerkrieges nach Burundi entsandt. Auf
einem Sondergipfel in Addis Abeba im Februar 2003 stellte sich
Afrika gegen den drohenden Irakkrieg und beschloss die Einrichtung
des Friedens- und Sicherheitsrates. Doch dieser wurde auf der 2.
Versammlung der Staats- und Regierungschefs im Juli 2003 in Maputo
(Mosambik) wieder auf Eis gelegt. Der Exekutivrat beschloss im
März desselben Jahres in N'Djamena (Tschad) zudem ein
Anti-Korruptions-Übereinkommen zur Stärkung der
Zivilgesellschaft sowie Maßnahmen gegen illegale
Parteienfinanzierung.
Die Zukunft des Afrikanischen Gerichtshofes und des
Pan-Afrikanischen Parlaments sind ebenso offen wie die Frage der
Errichtung einer AU-Kommission nach Brüsseler Vorbild.
Immerhin zeigte das auf dem Kontinent schwergewichtige
Südafrika, dass so etwas wie ein neues "nation-building"
gelingen kann. In einigen Ländern wie Nigeria, Madagaskar und
Kenia erfolgten unblutige Machtwechsel. Doch
UN-Generalsekretär Kofi Annan dämpfte allzu hoch
fliegende Hoffnungen: Afrikas Staatsmänner müssten
"immense Hindernisse überwinden, um einen Kontinent
aufzubauen, der durch Frieden, Zusammenarbeit, wirtschaftlichen
Fortschritt und die Herrschaft durch das Gesetz charakterisiert
ist". Die AU muss erst zeigen, ob sie mehr ist als ein Papiertiger.
Konrad Watrin
Konrad Watrin ist Journalist, freier Autor und Lehrer in
Aumühle bei Hamburg.
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