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Katharina Hofer
Afrika im hektischen Missionsfieber
Die Nord-Süd-Wanderung des
Christentums
Der Boom an neuen Kirchengründungen in
Afrika südlich der Sahara kann keinem internationalen
Beobachter mehr entgehen. Schilder, die auf Segnungs-, Heilungs-
oder Erlösergottesdienste verweisen, prägen fast
überall das Bild der Großstädte. An den
Ausfallstraßen der afrikanischen Metropolen reihen sich
Plakate von einheimischen und ausländischen Evangelisten, die
zu Seminaren oder so genannten "crusades" einladen. Die
Veranstaltungen sind gut besucht, und die oft spärlich
eingerichteten Gotteshäuser und Kirchenzelte platzen nicht
selten aus den Nähten.
Manche Beobachter werten diese Entwicklung
als Wiedererweckung des unabhängigen afrikanischen
Christentums, andere konstatieren dagegen einen Zuwachs vor allem
an jenen, dem amerikanischen Evangelikalismus entsprungenen
Kirchen, die eine Mischung aus endzeitlicher Erlösertheologie,
charismatischer Wunderheilung und Bibelfundamentalismus predigen.
Folgt man dem britischen Missionsforscher David Barrett, sind es
die aus der US-evangelikalen Bewegung hervorgegangenen
Kirchengemeinden, die das stärkste Wachstum verzeichnen. Die
Gruppe der Great Commission Christians, jene, die das
göttliche Mandat zur Evangelisierung der Menschheit vor der
baldigen Wiederkunft Christi für sich beanspruchen,
schätzt der anglikanische Pastor und Historiker auf 647,8
Millionen Menschen weltweit. Er prognostiziert für diese
Gruppe auch das stärkste Wachstum: Über die nächsten
zwei Dekaden soll sie um weitere 240 Millionen wachsen. Den
größten Anteil an den Great Commission Christians haben
laut Barrett die Pfingstler beziehungsweise Pentecostalen, die er
auf 523,7 Millionen schätzt, wobei nicht alle Pfingstler als
Evangelikale erfasst sind. Auch charismatische
Erneuerungsbewegungen innerhalb der katholischen und
protestantischen Amtskirchen sind teilweise dem evangelikalen
Spektrum zuzuordnen.
Der Missionseifer der Great Commission
Christians drückt sich neben einer großen
Spendenbereitschaft in der Gründung zahlreicher in der
Entwicklungszusammenarbeit tätigen
Nicht-Regierungsorganisationen aus. Das Budget der großen
evangelikalen NGOs ist beträchtlich: so übertrafen in den
USA (2001) evangelikale Hilfsorganisationen wie World Vision mit
ihrem Jahresbudget (525 Millionen Dollar) oder Feed the Children
(461 Millionen Dollar) die großen Hilfsorganisationen der
Amtskirchen Catholic Relief Service (334 Millionen), United
Methodist Committee on Relief (71 Millionen) und Lutheran World
Relief (32 Millionen). Der Trend ist für die evangelikalen
Organisationen vor allem seit den 90ern positiv verlaufen,
während das Wachstum anderer etablierter christlicher
Organisationen oft stagniert oder rückläufig ist. Die
Hilfsgelder stammen überwiegend aus westlichen
Industrieländern, wobei allein die USA einen Anteil von mehr
als 50 Prozent haben. Zum Großteil sind es private Spenden,
doch auch die öffentliche Zuwendung ist seit den 80er-Jahren
gestiegen.
Während der Westen die evangelikale
Missionsbewegung in finanzieller Hinsicht dominiert, hat sich das
Christentum zahlenmäßig in den vergangenen Dekaden von
Nord nach Süd verschoben. Noch vor gut 100 Jahren lebten 77
Prozent der Christen in Europa und Nordamerika. Heute liegt der
Anteil der Europäer und Nordamerikaner an den zwei Milliarden
Christen noch bei 37 Prozent, und er wird in den nächsten 25
Jahren die 30-Prozent-Marke unterschreiten.
Bei den Evangelikalen ist die Divergenz am
deutlichsten. Bereits heute leben über 70 Prozent von ihnen
jenseits der industrialisierten Welt. Entsprechend hat sich der
Begriff der "majority church" etabliert, der die Kirche
außerhalb des politischen Westens als Mehrheitskirche
ausweist. Dieses Zahlenverhältnis schlägt sich auch in
der Mission nieder. Nach offiziellen Angaben sind afrikanische
Missionare nicht zahlreicher geworden, da sie nur dann in
Statistiken erscheinen, wenn sie bei einer westlichen
Missionsagentur unter Vertrag stehen. Die Zahl der aus den
Industrieländern in Entwicklungsländer entsandten
Missionare ist aber seit vielen Jahren
rückläufig.
Angesichts dieser Verschiebungen beobachtete
Paul Gifford, Dozent an der School of Oriental and African Studies
in London, Anfang der 90er ein Phänomen, eine "Amalgamation":
die formale Unabhängigkeit vieler afrikanischer Kirchen von
westlichen Missionsagenturen wird teilweise dadurch aufgehoben,
dass praktisch alle Kirchengründer auf finanzielle
Unterstützung aus dem Westen angewiesen sind. Häufig
werden kleinere Gemeinden von größeren Kirchen adoptiert,
die in etablierte evangelikale Netzwerke integriert sind. Die
unabhängigen Pfingstkirchen, die vor allem im südlichen
Afrika, aber auch in Ländern wie Kenia, Nigeria oder Ghana
eine lange Tradition haben, sind vom US-Evangelikalismus zwar wenig
tangiert, klagen aber über schwindende Mitgliederzahlen.
Unabhängigkeit bedeutet schließlich Verzicht auf
finanzielle Unterstützung. Dies gilt ebenso für den
Wohlfahrtssektor, in dem lokale Organisationen um die
Unterstützung größerer ausländischer NGOs und
Entwicklungsagenturen konkurrieren.
Was verbirgt sich - abgesehen von der
Missionstätigkeit - hinter dem Begriff des Evangelikalismus?
Historisch gesehen handelt sich um eine
konfessionsübergreifende Bewegung, die sich Anfang des 20.
Jahrhunderts unter Protestanten in Großbritannien und den USA
ausbreitete. Der Evangelikalismus ist ebenso wie das
Pfingstkirchentum institutionell und theologisch vielschichtig.
Dennoch kann man seit Ende der 70er-Jahre einen zunehmenden
Einfluss konservativer Gruppen registrieren, von denen viele dem
Christlichen Fundamentalismus zuzuordnen sind.
Der Bibelfundamentalismus ist in gewisser
Hinsicht auch im frühen Pfingstkirchentum mit seiner
wortgetreuen Adaption der biblischen Charismen angelegt.
Typischerweise wird der Christliche Fundamentalismus jedoch mit dem
Millenniarismus in Verbindung gebracht, der von einem biblisch
prophezeiten christlichen Zeitalter ausgeht, in dem von Gott
berufene Christen die Weltherrschaft übernehmen, um die
Wiederkunft Christi vorzubereiten. Doch auch in weniger
prägnanter Weise findet sich im afrikanischen
Neo-Pentecostalismus die sozial-rekonstruktivistische Lehre des
Fundamentalismus wieder: Entsprechend der patriarchal
geprägten Welt der hebräischen Bibel wird die
uneingeschränkte Unterwerfung unter weltliche und
religiöse Autorität gepredigt und die Suche nach
Individualität und Heilung im spirituellen Bereich
verankert.
Hier klinkt sich auch der im sub-saharischen
Afrika weit verbreitete Prosperity Gospel ein, der auf die
Sicherung materiellen Zugewinns durch Loyalität zur Gottheit
fokussiert, wobei die Loyalitätsbekundung nicht selten
ihrerseits materielle Gestalt annehmen und an mittelalterlichen
Ablasshandel erinnern. Die sozialen Sicherungsmechanismen des
modernen Wohlfahrtsstaates werden als kontraproduktiv bewertet,
unterminieren sie doch "von Gott gegebene" hierarchische
Abhängigkeitsverhältnisse. Der Fügsamkeit
gegenüber politischen Autoritäten steht ein Misstrauen
dem Staat in seinen gesellschaftsordnenden Funktionen
gegenüber. Bemerkenswert ist hier der Umstand, dass sich viele
afrikanische Staatsmänner und Spitzenpolitiker zum
evangelikalen Christentum bekennen. In jenen Ländern, in denen
politisch pluralistische Systeme nicht oder nur pro forma
eingeführt wurden, haben sich evangelikale Kirchenführer
selten unter den Reformern befunden. Die protektivistische Haltung
der evangelikalen Bewegung wurde etwa in Kenia sehr deutlich, als
der evangelikale Dachverband die Einparteienherrschaft des
ehemaligen Präsidenten Moi gegen die von der anglikanischen
und katholischen Kirche unterstützte Gruppe der Reformer
verteidigte. Ähnliche Allianzen waren oder sind auch in
Liberia, Zambia, Nigeria und Uganda zu beobachten.
Angesichts einer auf Rohstoffsicherung
ausgerichteten Wirtschaftspolitik der USA gegenüber Afrika
kann die finanzielle Vorherrschaft der Amerikaner in der
internationalen evangelikalen Bewegung durchaus als Ergebnis einer
geostrategischen Allianz religiöser und wirtschaftspolitischer
Akteure gedeutet werden. Dennoch würde es zu kurz greifen,
wenn man diese Partnerschaft als Teil einer kalkulierten Politik
beschreiben würde, die darauf abzielt, finanzielle
Abhängigkeiten auszunutzen, um das afrikanische Christentum im
Sinne amerikanischer Interessen zu manipulieren. Vielmehr sind die
Beziehungen innerhalb der evangelikalen Bewegung von
Wechselseitigkeit geprägt. So treffen die Glaubenssätze
des Christlichen Fundamentalismus in Teilen der afrikanischen
Bevölkerung durchaus auf Widerhall.
In Kenia hat sich zum Beispiel auf Initiative
profilierter Anwälte ein Verein gegründet, der das
Rechtssystem an biblische Rechtsgrundsätze anpassen
möchte. Nach ihrer Vorstellung würde eine biblisch
inspirierte Gesetzgebung illegalen Geschäftspraktiken und
Korruption nachhaltiger entgegenwirken als das von fehlbaren
Menschen geschaffene kenianische Zivilrecht. Neben ihrer
politischen Lobbyarbeit dient die Anwaltsvereinigung auch der
Pflege lokaler Netzwerke sowohl innerhalb der Rechtsbranche als
auch auf dem religiösen Markt. Klienten, die sich entsprechend
der Vereinscharta zum "Großen Auftrag" berufen fühlen,
können kostenlose Rechtsberatung erhalten - ein Service, der
in Kenia keine Selbstverständlichkeit ist. Auch bei der
Gesundheitsversorgung und Bildung kann sich die Mitgliedschaft in
einer evangelikalen Kirche auszahlen. Vor allem im Bildungssektor
sind solche Organisationen im Zuge der Privatisierung staatlicher
Einrichtungen gut vertreten. Mittlerweile sind auch zahlreiche
Universitäten in Partnerschaft mit evangelikalen
Universitäten in USA errichtet worden, die gemeinsame
Stipendien- und Austauschprogramme unterhalten.
Der Evangelikalismus mag in mehrfacher
Hinsicht paradox wirken: Zum einen entwirft er das exklusive und
hierarchische Konzept einer Kaste von Auserwählten, die die
irdischen Dinge bis zum nahenden jüngsten Gericht regeln
sollen. Zum anderen ist jeder in dieser Gruppe willkommen, der sich
mit dem Konzept anfreunden kann und bereit ist, sich zu
integrieren. Einerseits impliziert der fundamentalistische
Sozial-Rekonstruktivismus eine völlige Unterordnung unter
bestehende Machtstrukturen, andererseits versucht die Bewegung
durch außerparlamentarische Lobbyarbeit auf eben diese
Strukturen einzuwirken. Sie steht staatlichen Einrichtungen
äußerst misstrauisch gegenüber, bemüht sich
dennoch, diese als wichtige Ressource für sich zu
nutzen.
Schließlich wird die Sicherung von
Wohlstand und Wachstum von Anhängern der Bewegung im
spirituellen Bereich verankert. Gleichzeitig entfalten sie ein
stark expandierendes privates Unternehmertum. Widersprüchlich
scheint dies vor allem aus dem Blickwinkel eines europäischen
Säkularismus, der eine Trennung von Religion und Politik
entlang privater und öffentlicher Räume auch über
den rein institutionellen Bereich hinaus propagiert. Ein solches
Säkularismuskonzept ist in Afrika in der Tat ein Import nicht
des westlichen, sondern speziell des europäischen
Imperialismus - und es hat sich deshalb nur oberflächlich
etablieren können. In vielen Bereichen des Lebens mag das
US-Christentum dem afrikanischen näher sein, als es das
europäische je war.
Katharina Hofer ist Doktorandin im Fach
Wissenschaftliche Politik an der Universität
Freiburg.
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