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Axel Harneit-Sievers
Der Fluch des schwarzen Goldes
Nigeria, Angola, Kongo: Wie löst man das
Ressourcen-Paradoxon?
Nigeria ist ein Land mit großen
wirtschaftlichen und humanen Potentialen, aber sie werden schlecht
gemanagt. Immer wieder ist diese Feststellung in dem
westafrikanischen Erdölstaat zu hören, dem
bevölkerungsreichsten und - nach Südafrika -
wirtschaftsstärksten Land Schwarzafrikas. Auf dem
Höhepunkt des Erdölbooms der 70er-Jahre galt Nigeria
bereits als Schwellenland, als das "Brasilien Afrikas". Nach 30
Jahren fast ununterbrochener Militärherrschaft besitzt es seit
1999 zwar wieder eine gewählte Regierung. Aber auch sie hat
bisher nicht vermocht, die Entwicklungsprobleme des Landes zu
lösen.
Heute leben rund zwei Drittel der Nigerianer
unter der Armutsgrenze; die Infrastruktur ist zerfallen. Korruption
ist allgegenwärtig, immer wieder brechen gewaltsame Konflikte
in verschiedenen Landesteilen auf. Sinnbilder des nigerianischen
Paradoxons sind die häufigen Stromausfälle und Krisen in
der Benzinversorgung beim größten Ölexporteur
Afrikas.
Nigeria steht mit diesen Problemen nicht
allein. Jahrzehntelanger Bürgerkrieg in Angola, Staatszerfall
in der Republik Kongo, Massenverarmung in eigentlich reichen
Ländern: Warum leiden ausgerechnet diejenigen Staaten des
Kontinents, die über große Vorkommen an natürlichen
Ressourcen verfügen, besonders drastisch an Unterentwicklung,
Korruption und Gewalt?
Die im engeren Sinne volkswirtschaftliche
Dimension des Problems ist seit langem als "Dutch Disease" bekannt:
Schnelles Wachstum der Rohstoffproduktion - im Holland der 60er war
es das Erdgas - führt zu wirtschaftlichem Ungleichgewicht. Als
Folge eines solchen Exportbooms wird die Landeswährung
überbewertet. Zugleich wachsen die Importe, und Produktion und
Exportfähigkeit anderer, etablierter Wirtschaftszweige
erodieren. Tatsächlich hat der Ölboom in Nigeria Anfang
der 70er eine bis dahin florierende Agrarexportwirtschaft
zerstört. Im zentralafrikanischen Ölland Gabun gibt es
heute fast keine kommerzielle Nahrungsmittelproduktion mehr. Die so
entstehende Abhängigkeit von Ölexporten macht ein Land
anfällig für externe Schocks: In Boomphasen schnellen die
Staatsausgaben hoch, in Zeiten niedrigerer Preise kommt es zu
Rezession und schnell wachsender Auslandsverschuldung.
Doch reichen die Gefahren offenkundig
über rein wirtschaftliche Schäden hinaus. Während
etwa die Niederlande oder westliche Ölproduzenten wie Norwegen
und Alaska ihren natürlichen Reichtum durch kluge Politik
langfristig nutzbar gemacht haben, hat die Ölförderung in
Schwarzafrika in aller Regel nicht die erhoffte beschleunigte
Entwicklung erbracht, sondern oft genug deren genaues Gegenteil.
Dieses Paradoxon lenkt den Blick auf die politischen und sozialen
Strukturen dieser Länder, die offenbar nicht in der Lage waren
und sind, Ölreichtum produktiv zu verarbeiten, sondern durch
ihn sogar weiter geschwächt werden.
Der Grund dafür, so der inzwischen
breite Konsens unter Entwicklungsökonomen und
Sozialwissenschaftlern, liegt im Charakter der Öleinnahmen.
Lizenzgebühren, Steuern und andere Einnahmen, die Regierungen
aus der Förderung von Rohstoffen beziehen, sind im
ökonomischen Sinne "Renten": Einnahmen, die ein Staat aus
Besitz oder Kontrolle von Gütern erzielt, ohne dass ihm Kosten
für deren Bereitstellung entstehen. Die
Erdölförderung in Afrika - kapitalinten-siv durch
internationale Konzerne betrieben und mit geringen
inländischen Beschäftigungs- und Vernetzungseffekten -
hat krasse Beispiele regelrechter "Rentenstaaten"
hervorgebracht.
Das Vorhandensein von Rohstoffrenten stellt
eine Einladung zur wirtschaftspolitischen Verantwortungslosigkeit
dar. Statt eine nachhaltige Wirtschafts- und Entwicklungspolitik zu
verfolgen, die Preisschwankungen und Begrenztheit der Ressourcen
berücksichtigt, investieren Regierungen in unrealistische
Großprojekte. Sie bauen langfristig nicht zu unterhaltende
Infrastrukturen auf und erweitern die Staatsapparate - und sei es
nur zur Ruhigstellung der Bevölkerung. Politik im Rentenstaat
rotiert um die Verteilung des neuen Reichtums.
Weil Regierungen einen bequemen zentralen
Zugriff auf Rohstoffrenten besitzen, stärken Öleinnahmen
autoritäre Regimes - ein Zusammenhang, den Ökonomen
inzwischen empirisch nachgewiesen haben. Zugleich fördern
Rohstoffrenten die Korruption innerhalb der Staatsapparate selbst,
stellen sie doch die einzige Quelle von Wohlstand im Rentenstaat
dar. Öleinnahmen in Afrika, so das Fazit, korrodieren
staatliche Institutionen und gefährden die
Demokratie.
Nigeria belegt seit Jahren Spitzenplätze
in der von Transparency International erstellten Liste der
korruptesten Länder der Welt, und dies trotz der
erklärten Antikorruptionspolitik der Zivilregierung. Wie die
Wahlen im Frühjahr 2003 erneut zeigten, bedeutet Politik in
Nigeria vor allem Wettbewerb um die Aufteilung des zu 80 Prozent
aus Öleinnahmen gespeisten "nationalen Kuchens". In diesem
Verteilungskampf investieren "politische Unternehmer" hohe
Einsätze; im Erfolgsfall refinanzieren sie sich und ihre
Unterstützer aus Staatsgeldern. Korruption, obwohl vielfach
beklagt, gilt als unvermeidbarer Bestandteil des Lebens - als
"nigerianischer Faktor". Es fällt schwer, den korrupten
kleinen Beamten zu kritisieren, wenn hohe Beamte und Politiker
Millionenbeträge stehlen und allenfalls in Ausnahmefällen
dafür bestraft werden. Das Herzstück des Rentenstaats,
die mehrheitlich im Regierungsbesitz befindliche Nigerian National
Petroleum Corporation, ist ein undurchdringlicher Dschungel aus
Korruption und Ineffizienz. Ihr soll 2004 durch Teilprivatisierung
und externes Management zumindest die Kontrolle über Nigerias
verrottete Raffinerien entrissen werden.
Das vielleicht drastischste Beispiel für
Intranspa-renz und private Aneignung von Ölrenten findet sich
in Angola. Wie aus einem jüngst publizierten, teilweise auf
unveröffentlichten Daten des Internationalen
Währungsfonds (IWF) beruhenden Bericht von Human Rights Watch
hervorgeht, kann die angolanische Regierung für die Jahre 1997
bis 2002 für durchschnittlich 700 Millionen US-Dollar
jährlich keine Rechenschaft ablegen. Die Mittel "verschwanden"
auf dem Weg zwischen Ölfirmen und Zentralbank, trotz der seit
Mitte der 90er laufenden Überwachungsprogramme des IWF. Der
Fehlbetrag macht über neun Prozent des angolanischen
Nationaleinkommens aus und entspricht etwa der Höhe aller
Sozial-, Gesundheits- und Bildungsausgaben, die Regierung und
Nichtregierungsorganisationen in Angola im selben Zeitraum
aufwandten.
Doch das Ölrenten-Syndrom ist nicht nur
für die Erosion staatlicher Strukturen verantwortlich, sondern
auch für Gewalt und Bürgerkriege. In Angola wurden
Ölrenten zur Finanzierung und Fortsetzung eines jahrelangen
Bürgerkriegs verwendet, vor allem mit Hilfe von Krediten, die
durch zukünftige Öleinnahmen abgesichert
wurden.
Solche Kredite haben auch in der von mehreren
Wellen eines Bürgerkriegs betroffenen Republik Kongo
(Brazzaville) zur enormen Auslandsverschuldung beigetragen. Die
Kriege in Angola und der Republik Kongo rühren zumindest
teilweise aus der Konkurrenz rivalisierender Gruppen um die
Kontrolle der Öleinnahmen. In anderen Fällen richten
Regierungen Gewalt direkt gegen die Bevölkerung in den
Ölförderregionen, um ihre Einnahmequellen zu sichern. Die
Ölproduktion im nigerianischen Niger Delta erfolgt seit Jahren
nur mehr unter massivem Einsatz von Sicherheitskräften. Sie
schützen die Förderanlagen vor Protesten der lokalen
Bevölkerung, die gegen ihre politische Ausgrenzung und die mit
der Ölproduktion einhergehenden Umweltschäden und
Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen aufbegehrt - auch mit
Sabotage oder Entführung von Mitarbeitern der Ölfirmen.
Die Firmen ihrerseits errichten neue Förderanlagen inzwischen
vorrangig vor der Küste, wo die Produktionskosten zwar
höher, die Sicherheitsprobleme aber geringer sind.
Die Erdölförderung in Afrika
wächst, vor allem entlang der west- und zentralafrikanischen
Küste. Der "Fluch der Ressourcen" hat bereits weitere
Länder wie Sâo Tomé und Äquatorial-Guinea
erfasst. Immerhin haben lokale und internationale Akteure die
Problematik erkannt. Inzwischen gibt es eine Reihe von Initiativen,
sie auch anzugehen. Zwei Gruppen von Ansätzen lassen sich
unterscheiden. Die erste will die Transparenz und
Rechenschaftslegung von Öleinnahmen verbessern. Die durch die
"Open Society Initiative" des Mäzens George Soros initiierte
"Publish What You Pay"-Kampagne und die von der britischen
Regierung initiierte "Extractive Industries Transparency
Initiative" zielen auf die Offenlegung der Finanzströme
zwischen Ölgesellschaften und Regierungen. Die Initiativen
beruhen im Wesentlichen auf Selbstverpflichtung der Beteiligten.
Druckpotenzial besteht insofern, als unkooperative Firmen und
Regierungen mit negativen Reaktionen der internationalen
Kapitalmärkte rechnen müssen. Eine Reihe von
Ölfirmen und afrikanischen Regierungen haben ihre Mitarbeit
zugesagt.
Die zweite Gruppe von Konzepten zielt auf
Veränderungen bei der Verwendung und Verteilung der
Öleinnahmen selbst. Dazu gehören Vorschläge zur
Einrichtung sogenannter "Zukunftsfonds", die einen Teil der
Ölleinnahmen zur Verwendung späterer Generationen
"einfrieren", wie es sie etwa in Alaska gibt. In Botswana, einem
Land mit großen Einnahmen aus dem Diamantenexport, wurde ein
solcher Fond eingerichtet, doch ist das Land aufgrund seiner
stabilen demokratischen Verhältnisse ein Ausnahmefall in
Afrika. Es bleibt fraglich, ob Fonds dieser Art angesichts
aktueller Massenarmut und mangelndem öffentlichen Vertrauen in
die Zuverlässigkeit von Regierungen in anderen Ländern
Afrikas politisch realisierbar sind. Andere Vorschläge wollen
Teile der Öleinnahmen direkt an die Bevölkerungen der
Förderländer umverteilen, um damit schwachen Staaten
einen Teil der Kontrolle über die Ressourcen zu entwinden. Sie
setzen darauf, dass die Betroffenen selbst am besten wissen, ihre
Anteile am nationalen Erbe produktiv zu nutzen.
Beide Ansätze zur Lösung des
Ressourcen-Paradoxons - Verbesserung der Transparenz
beziehungsweise Umverteilung - können nicht allein auf
Regierungsebene realisiert werden. Die Erfahrungen des IWF in
Angola zeigen, dass der Druck internationaler Finanzinstitutionen -
so mächtig sie auch oft erscheinen - zwar eine begrenzte
Offenlegung, aber keine wirkliche Verbesserung der
Regierungspolitik erzwingen kann. Es bedarf der Zusammenarbeit von
Regierungen, internationaler Firmen und afrikanischer
zivilgesellschaftlicher Gruppen, um Fortschritte zu erzielen. Ein
Experiment dieser Art läuft derzeit im Tschad, wo die Weltbank
die Finanzierung der 2003 eröffneten Pipeline nach Kamerun mit
Auflagen verbunden hat, die verschiedene Elemente der skizzierten
Lösungsvorschläge verbindet.
Dr. Axel Harneit-Sievers ist Historiker und
leitet das Länderbüro Nigeria der
Heinrich-Böll-Stiftung.
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