Sönke Giard-Weiss
Frauentotenlieder aus Afrika
Der Umgang mit der gewaltigen Katastrophe
AIDS
In Afrika entwickelt sich die Immunschwächekrankheit AIDS
zu einer gewaltigen Katastrophe. Gerade im südlichen Teil des
Kontinents, wo in einigen Region schon heute schätzungsweise
40 Prozent der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert ist.
Besonders betroffen sind Frauen.
"Ich weiß nicht, wo mein Mann gerade ist." Mamokhethi
Rathebe (30) steht vor ihrer Strohhütte. Irgendwo in Lesotho.
Einem winzigen Königreich. Mitten im südlichen
Afrika.
Mamokhethi ist HIV-positiv. In Deutschland würde man sagen:
Sie hat AIDS. Hat sie aber nicht. Noch nicht. Bislang trägt
sie nur den HI-Virus in sich. Wie lange sie noch zu leben hat, ist
so ungewiss wie das Wetter. Ein Jahr. Zehn Jahre. Zwei Monate.
Alles ist möglich. Ihr Sohn Malika ist neun und zupft an ihrem
Rock, in ihrem Arm hält sie die einjährige Tsepiso. Ob
ihre Kinder ebenfalls infiziert sind, weiß Mamokhethi nicht.
Will sie auch nicht wissen.
"Vermutlich ist mein Mann bei einer seiner Freundinnen", sagt
sie wenig später ganz offen und fügt hinzu: "Ich werde
ihn bei seiner Rückkehr aber nicht fragen, wo er war." Warum,
lautet die Frage. "Das macht man als Frau nicht", antwortet
Mamokhethi und lächelt.
Bis zum Jahr 2010 wird sich die Zahl der AIDS-Waisen in Afrika
von heute elf auf 20 Millionen nahezu verdoppelt haben, heißt
es in der jüngsten UNICEF-Studie. Täglich sterben in
Afrika 3.000 Menschen an der Krankheit. In Ländern mit hohem
HIV/AIDS-Vorkommen wird jedes fünfte Kind zur Halb- oder
Vollwaise werden: Südafrika, Simbabwe, Swaziland, Sambia, und
Lesotho, wo Mamokhethi lebt, um nur einige Beispiele zu nennen.
"Als mein letzter Freund starb, habe ich mich auf HIV/AIDS
testen lassen. Das Ergebnis war positiv", sagt Caroline Jaramba
(37) aus Simbabwe. Die meisten ihrer Freundinnen sind arm und ohne
Arbeit, sie hungern. Oftmals ist Prostitution der einzige Ausweg.
"Die Männer hier benutzen keine Kondome. Das ist nicht
richtig", sagt Caroline. Aber sie habe keine Wahl: "Es hilft uns ja
keiner. Unsere Kinder hungern."
Zwar scheint die Weltöffentlichkeit AIDS heute ernster zu
nehmen als noch vor zehn Jahren, und mehr und mehr Gelder werden
flüssig gemacht, um gegen die Folgen der
Immunschwächekrankheit zu kämpfen. (4,7 Milliarden
US-Dollar im zurückliegenden Jahr. 23 Mal mehr als 1996.) Aber
noch ist das längst nicht genug. UNAIDS, das AIDS-Werk der
Vereinten Nationen, das weltweit die Folgen von der Krankheit
beobachtet, verlangt von der Internationalen Gemeinschaft 10
Milliarden US-Dollar für 2005 und gar 15 Milliarden für
2007.
Es werden die Jahre sein, in denen die erste große
Todeswelle über Afrika schwappen und viele Regionen ihrer
Menschen berauben wird. Viele Länder können sich keine
kostenlose Antiretroviral-Therapie für ihre Bevölkerung
leisten. Kaum einer kann sie sich selber leisten.
Sie kostet umgerechnet 120 Euro im Monat; das
Durchschnittseinkommen liegt zwischen 50 und 100 Euro, die
Arbeitslosenquote ist oftmals bis zu 80 Prozent hoch.
Vergleichsweise reiche Länder wie Botswana aufgrund der
Diamantenminen versorgen ihre Bevölkerung dagegen mit freien
Medikamenten.
"Es hat lange gedauert, bis ich meinen HIV-Status akzeptiert
habe. Es war nicht leicht. Ich habe mich gefürchtet, wollte
mir sogar das Leben nehmen", sagt Kgalalelo Ntsepe. Kürzlich
wurde die 32-jährige Sozialarbeiterin aus Gaborone, der
Hauptstadt Botswanas, zur Miss HIV/Stigma Free gewählt.
Heute habe sie ihre Ängste überwunden, denke und lebe
"positiv". Als Miss HIV/Stigma Free sei es ihre Aufgabe, anderen
Frauen Mut zu machen. Sie sagt: "Es gibt ein Leben mit Aids. Wir
müssen nur solidarisch und stark sein, bis die Medizin endlich
ein Mittel gegen diese Krankheit findet."
Was können Länder wie Deutschland tun, um
entwicklungspolitisch einen Beitrag zur Bekämpfung von
HIV/AIDS zu leisten. Kürzlich hat das christliche
Kinderhilfswerk World Vision unter anderem folgende Forderungen
gestellt:
- Ohne eine drastische Erhöhung der Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit kann HIV/AIDS in vielen Ländern
nicht wirksam genug bekämpft werden. Eine sukzessive
Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit
von heute 0,27 Prozent des Bruttosozialproduktes auf die bereits
zugesagten 0,7 Prozent Deutschlands ist daher notwendig.
- Arme Länder mit hohem HIV/AIDS-Vorkommen brauchen einen
zügigen Schuldenerlass. Simbabwe zum Beispiel muss schon 2005
bis zu 70 Prozent seines Gesundheitsbudgets für die Behandlung
von AIDS-Kranken ausgeben.
- Eine Ratifizierung von UNICEFs "Strategischen Richtlinien
für den Schutz, die Versorgung und die Unterstützung von
Waisen und anderen, durch HIV/AIDS gefährdete Kinder" vom 21.
Oktober 2003 muss durchgesetzt werden.
- Durch großzügige finanzielle Unterstützung des
"Three by Five"-Projektes der Weltgesundheitsorganisation muss
erreicht werden, möglichst viele Eltern am Leben zu erhalten.
Das Ziel dieser Aktion: Bis zum Jahr 2005 drei Millionen Menschen
mit AIDS-Medikamenten zu behandeln.
- Man muss nach Unterstützung für die Einrichtung
eines Sonderstatus von besonders betroffenen Ländern bei
internationalen Geldgebern suchen, wie der Weltbank und dem
Internationalen Währungsfonds.
"Traurig ist, dass ich vor wenigen Monaten noch so schön
war wie meine Zwillingsschwester. Heute ist das nicht mehr so. Ich
sehe schlimm aus. Ich weiß", sagte Zanele Mazibuko (25) aus
Johannesburg in Südafrika wenige Tage bevor sie starb.
Ihre Zwillingsschwester Queen saß an ihrem Sterbebett,
pflegte sie bis zum Ende. Zaneles Kinder leben jetzt bei ihr. Ihre
letzten Worte waren: "Ich habe so große Schmerzen. Mein ganzer
Körper brennt. Aber ich habe kein Geld für Medikamente.
Ich hoffe nur, dass meine Kinder gesund aufwachsen."
Sämtliche Hungersnöte in Afrika sind heute auch eine
Folge von HIV/AIDS. Kranke haben weder die Kraft, ihre Krankheit zu
bekämpfen noch können sie ihre Äcker bestellen. Die
Folgen sind Hunger und Armut. Arme haben nicht das Geld, um
vitamin- und mineralreiche Lebensmittel zu kaufen. Ihre Körper
können sich immer weniger gegen Krankheiten und Viren wehren.
Sie sterben.
Die Folge für ganze Länder: Tote Eltern können
ihren Kindern nicht mehr beibringen, wie man das Land bestellt,
eine Familie ernährt und eine Gesellschaft errichtet. Die
Früchte, die eine vernünftige Entwick-lungspolitik
bringen würden, kämen langsam, dafür aber
nachhaltig. Geschieht nichts, wird das große Sterben erst noch
kommen. Das Schlimmste ist zu befürchten.
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