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Hans Peter Hahn
Wie kommt die chinesische Sandale nach Burkina
Faso?
Globalisierter Konsum: Leder, Plastik,
Recycling-Material
Bevor die Frauen mit den schweren Bündeln
auf dem Kopf das Ziel ihres Fußmarsches erreichen, legen sie
im Schatten eines Baumes eine Ruhepause ein. In den wenigen Minuten
der Erholung von der stechenden Sonne in der Savanne holen sie aus
ihren Bündeln Sandalen aus weichem, aufgeschäumten
Plastik hervor. Damit laufen sie die letzten Meter zum Markt. Sie
wissen nur zu gut, wie schlecht haltbar ihre Fußbeklei-dung
ist. Deshalb legen sie die Sandalen erst kurz vorher an. Auf dem
Markt werfen sich alle Besucher in ihre besten Gewänder. Kaum
jemand käme hierher ohne Sandalen oder Schuhe.
Die Sandalen stammen meist aus China oder
Thailand und gehören zu den alltäglichen Gütern.
Auch auf den ländlichen Märkten in Westafrika sind fast
überall Händler zu finden, die mit einigen Dutzend Paaren
solcher Sandalen und anderen Waren auf dem Gepäckträger
ihres Fahrrads morgens zum Markt kommen. Durch ihre Auslagen mit
bunt leuchtenden Sandalen und nicht weniger grell gefärbten
Plastikgefäßen versuchen sie, die Aufmerksamkeit
potentieller Käufer auf sich zu ziehen. Plastiksandalen sind -
wenigstens im ländlichen Afrika - bei Männern und Frauen
beliebt.
Zu ihrer Verbreitung hat der niedrige Preis
beigetragen, der diese Güter für viele erschwinglich
macht. Mit 70 Cent bis 1 Euro sind die Plastiksandalen in Burkina
Faso etwa halb so teuer wie die seit Jahrhunderten in der Region
hergestellten aus Leder. Einerseits hat der Preisunterschied das
Handwerk der Lederarbeiter weitgehend zum Verschwinden gebracht,
andererseits haben die billigen Industrieerzeugnisse für
große Gruppen der Bevölkerung das Tragen irgendeiner
Fußbekleidung erst ermöglicht. In diesem Sinne sind die
Plastiksandalen nicht nur ein Ersatz für ihr lokal
hergestelltes Gegenstück aus Leder, sondern lassen neue, zuvor
undenkbare Formen des Konsums zu.
Das gilt besonders für Frauen, die vor
der Einführung dieser Plastikschlappen ohne Schuhwerk
unterwegs waren. Wer die steinigen Pfade und die zahlreichen
Dornensträucher an den Wegrändern in Afrika kennt, wird
nicht bezweifeln, dass diese Sandalen eine echte Erleichterung
darstellen - wenn sie denn getragen werden. Denn so niedrig ihr
Preis, so kurz ist auch ihre Lebensdauer in einer Gegend, in der
nur wenige Wege eben sind. Schon nach wenigen Wochen lösen
sich Teile der Plastiksohle auf. Oder die dünnen Plastikriemen
reißen. Eine Taktik, dem Zerfall der Sandalen zu entgehen, ist
die Schonung auf Kosten der bloßen Füße, die dann
den spitzen Steinen und Dornen ausgesetzt sind.
Auf dem gleichen Markt findet man aber auch
Sandalen-Flicker, die allerlei Reparaturen ausführen. Nicht
selten handelt es sich um den gleichen Handwerker, der früher
seine Fertigkeiten zur Bearbeitung von Leder anbot und nun mit
anderen Techniken auf Kundschaft wartet. So hat ein Sandalenflicker
neben Resten alter Plastiksandalen als Lager für Ersatzteile
stets Eisendraht vorrätig, um gerissene Riemen
zusammenzufügen. Er unterhält an seinem Marktstand auch
ein Holzkohlenfeuer, an dem er Ränder von Plastikteilen
einschmilzt, um sie miteinander zu verkleben. Solche Reparaturen
kosten zwischen 5 bis 15 Cent. Für manchen Benutzer dieses
Schuhwerks sind sie eine immer wieder notwendige Erledigung auf dem
Markt.
Plastiksandalen haben die Tätigkeit
dieser Handwerker grundlegend verändert, ihnen aber nicht die
Möglichkeit des Broterwerbs genommen. Das gilt auch für
das Handwerk des Schneiders, der heute in Westafrika viel
häufiger mit der Reparatur von Secondhand-Kleidung befasst
ist, als mit dem Nähen von Gewändern aus lokal
hergestellten Stoffen.
Plastiksandalen stehen hier für viele
Alltags-Gegenstände, die in Afrikas Haushalten Verwendung
finden: Gefäße aus Plastik, Emaille oder Aluminium. Oder
die Bekleidung, die zum großen Teil aus Altkleidersammlungen
der Konsumgesellschaften stammt. Oder Haushaltsgeräte wie
Messer, Löffel, Siebe. All die importierten Sachen, oft aus
China und anderen Ländern Asiens oder Europas, machen einen
großen Anteil der materiellen Güter aus. In einer Studie
über ländliche Haushalte im südlichen Burkina Faso
wurde festgestellt, dass weit über die Hälfte der
Alltagsgüter von außerhalb Afrikas stammt. Es handelt
sich zum Teil um Dinge, die an die Stelle lokaler Erzeugnisse
getreten sind. Das gilt für Keramik, die durch Plastik- und
Metallgefäße ersetzt wird, oder für Bekleidung, die
früher von Webern der Region aus Baumwolle gefertigt
wurde.
Von der Anzahl bedeutender ist die Zahl der
Güter, die es früher nicht gab und die als Ausdruck einer
Expansion zu verstehen sind. So wie die Frauen nicht mehr
barfuß laufen wollen - wenigstens nicht, wenn sie auf dem
Markt ankommen -, so gibt es zahlreiche Dinge, die, auch wenn sie
erst in den vergangenen Jahrzehnten gebräuchlich wurden, heute
zu den unverzichtbaren Alltagsgütern gerechnet
werden.
Der rasche Wandel des Konsums und die
Selbstver-ständlichkeit, mit der diese neuen Sachen im Alltag
verwendet werden, stehen in deutlichem Widerspruch zu einem in
Europa verbreiteten Bild der afrikanischen Gesellschaften. Dort
überwiegt nach wie vor der Glaube, der afrikanische Alltag
werde weitgehend aus lokalen Ressourcen bestritten und das Leben
gestalte sich unabhängig von weltweit verbreiteten Mustern des
Konsums. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade Konsumgüter des
Alltags sind ein Bereich, in dem Einflüsse von außerhalb
Afrikas eine große Rolle spielen. Die oft explizit
ausgedrückte Wertschätzung solcher Dinge ist zudem als
Zeichen der Offenheit afrikanischer Gesellschaften gegenüber
Neuem zu verstehen. Die Praxis der Aneignung solcher Güter ist
auch lebendiger Ausdruck der Überlebensfähigkeit dieser
Gesellschaften. Die Gegenwart derart globaler Güter wird
keinesfalls als Bedrohung für die eigene Kultur empfunden oder
als Entfremdung. Im Gegenteil, viele neue Sachen sind hoch begehrt,
ihr Besitz gilt als Ausdruck besonderer Weltoffenheit und
Wohlstandes.
Zugleich geht die Aneignung der Güter
mit der kreativen Ausformung eigener Vorstellungen und Techniken
des Gebrauchs einher. Gebrauchsweisen, Wissen über Dinge und
die Einordnung in spezifische Kontexte der lokalen Gesellschaften
sind aber auch kontrovers empfundene Prozesse, die Zeit brauchen.
Der Übergang von einer lokalen Ordnung, in der - auf das
Beispiel der Sandalen bezogen - das Tragen der teuren, zum Teil
kunstvoll verzierten Ledersandalen ein exklusives Vorrecht
älterer Männer war, bis zu dem heutigen Zustand, in dem
jedermann seine Plastiksandalen trägt, impliziert nicht nur
ein neues Konsumverhalten, sondern hat auch eine neue soziale
Einordnung von Kleidung insgesamt zur Folge, und damit ein
Stück weit auch eine Veränderung des
Geschlechterverhältnisses. Frauen entscheiden selbst, ob sie
solche Sandalen erwerben, so wie überhaupt ein großer
Teil der neuen, alltäglich gebrauchten Konsumgüter von
ihnen beschafft und verwendet wird. Diese Dinge eröffnen
Frauen neue Möglichkeiten der Artikulation. Sie tragen
außerdem dazu bei, alte Vorstellungen über
Geschlechtsunterschiede zu überwinden.
Neue globale Güter führen aber auch
zu neuen sozialen Unterschieden. Ein Beispiel dafür ist die
Situation der jungen Männer, die mit Luxusobjekten wie
Kleidung, Radio, Armbanduhr aus der Arbeitsmigration an die Orte
ihrer Herkunft zurückkehren und somit ein Konsummuster
vorführen, das mit lokalen Mitteln unerreichbar wäre. Die
wenigen, die sich solche Dinge leisten können, markieren
zugleich ihre Überlegenheit im sozialen Ansehen. Die anderen
haben keine Chance, mit ihnen gleich zu ziehen.
Dieser Kontext ermöglicht ein besseres
Verständnis der geschilderten Handlungsweisen der Frauen auf
dem Weg zum Markt. Trotz dem niedrigen Preis ist der Erwerb solcher
Sandalen für sie keine Selbstverständlichkeit. Für
viele stellt es vielmehr eine große Ausgabe dar. Da sie auf
dem Markt dennoch zeigen wollen, dass sie es sich leisten
können, müssen sie die Sandalen bis unmittelbar davor
schonen. Nicht anders verhält es sich mit Kleidung: die
Anschaffung "neuer" Secondhand-Sachen ist für viele Frauen
eine große Belastung. Daher ziehen sie es vor, diese
Stücke nur am Markttag zu tragen. Wenn sie schon nicht
über Radio und Armbanduhr verfügen, wollen sie mit ihren
geringen Mitteln dennoch zeigen, dass sie mit anderen mithalten
können.
Neben Ledersandalen und Plastikschlappen
jedoch gibt es noch eine dritte, überall in Afrika verbreitete
Form des Schuhwerks: Sandalen aus Autoreifen, echte
Recycling-Objekte, die von vielen Handwerkern nach dem immer
gleichen Prinzip hergestellt werden. Aus der Profilseite des
Reifens werden die Sohlen zurechtgeschnitten und die flexiblen
Seiten sind als Ausgangsmaterial für die Riemen verwendbar.
Durch Drahtstifte werden die Teile miteinander verbunden und
ergeben eine besonders stabile Form von Sandalen, die dazu mit 50
Cent auch recht günstig ist. Die recycelte ist im Gegensatz
zur Ledersandale nicht empfindlich gegen Feuchtigkeit;
gegenüber dem weichen Plastik ist sie durch ihre
größere Haltbarkeit von Vorteil. Allerdings sind
wenigstens im Süden Burkina Fasos Frauen kaum mit diesen
Sandalen anzutreffen. Beliebt sind sie eigentlich nur bei den
Bauern, die angesichts der immer größeren Distanzen zu
ihren Feldern deren besondere Robustheit schätzen.
Im Vergleich zwischen der Plastikschlappe und
dem Recyclingmodell zeigt sich, dass der Gebrauch der neuen
Güter nicht nur an Erwägungen der Nützlichkeit
gebunden ist. Er ist auch Ausdruck lokal dominierender Moden und -
trotz großer Armut - der genauen Vorstellung davon, wie
"richtige Kleidung" auszusehen hat. Recycling-Sandalen werden im
Vergleich nicht ohne Spott beschrieben. Man erkennt in der neuen
Verwendung jedoch auch die Kreativität im Umgang mit dem, was
an globalen Gütern verfügbar ist. Und an abgenutzten
Reifen herrscht in Burkina Faso kein Mangel.
Kreativität und Verwendung sonst
unbrauchbarer Reifen sind die eine Seite. Auf der anderen steht das
Faktum, dass kaum ein Bauer die Möglichkeit hat, jemals einen
Pkw zu besitzen. Bei den Kasena im Süden Burkina Fasos kommen
Aneignung und Distanz auch in der Benennung der Sandalen zum
Ausdruck. Man nennt sie, nicht ohne ironischen Unterton, kar-kobi -
das, "was das Auto zurückgelassen hat".
Hans Peter Hahn ist Privatdozent für
Ethnologie an der Universität Bayreuth.
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