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Laurence Marfaing
Ein Paradies für informelle
Händler
Dakar-Agadir - die neue Verbindung über
Mauretanien
Seit dem 11. Jahrhundert konstituierte sich das Gebiet, das die
heutigen Staaten Senegal, Mauretanien und Marokko umfasst. Es war
ein durch gemeinsame soziokulturelle und religiöse Bezüge
geprägter Raum, der in wirtschaftlicher Hinsicht bis zum 19.
Jahrhundert durch die transsaharischen Handelsbeziehungen
strukturiert wurde. Hier entstanden zum einen Handelsrouten, auf
denen Waren wie Gold, Salz oder auch Sklaven transportiert wurden,
zum anderen die den Karawanenhandel regulierenden Beziehungen
zwischen den lokalen Bevölkerungsgruppen und den
Händlern.
Nun haben die marokkanische und die mauretani-sche Regierung die
Grenze geöffnet und mit der senegalesischen Regierung
beschlossen, eine durchgehende Straße von Dakar nach Tanger zu
bauen. Diese Strecke, die zuvor überflogen werden musste,
ermöglicht den Händlern, neue Strategien anzuwenden.
Senegal und Mauretanien gehörten zum französi-schen
Kolonialreich. Marokko dagegen war französisches Protektorat.
Seit dem 19. Jahrhundert wurde versucht, in diesem Großraum
eine Monopolsituation zu erzeugen: Die Franzosen stellten die
Infrastruktur und bestimmten, wo mit welchen Waren und Produkten
gehandelt wurden. Da die transsaharischen Routen nur schwer
kontrollierbar waren, wurden sie zum Teil von der
Kolonialverwaltung umgeleitet oder gesperrt. Mit der
Unabhängigkeit (1960) wurden nationale Grenzen gezogen, dabei
diente der Fluss Senegal als natürliche Grenze. Koloniale
sowie postkoloniale Konflikte bis 1976, die Nichtanerkennung
Mauretaniens durch Marokko bis 1970, schließlich der Konflikt
um die ehemals spanische West-Sahara sowie am Fluss Senegal
prägten den gesamten Raum während des 20. Jahrhunderts
und schürten Gewalt und Widerstand. Dabei wurde der
historische Zusammenhalt aufgebrochen.
Die Vision einer direkten befestigten Verbindung zwischen
Senegal und Marokko über Mauretanien ist alt, wurde aber nie
durchgehend realisiert. Dennoch wickelten in der Sahara die
einheimischen Händler ihre Geschäfte außerhalb der
Reichweite der Kolonialmächte ab und handelten mit Waren, die
nicht unmittelbar auf das Interesse der Kolonialmächte
stießen. Sie suchten nach Geschäftsnischen, Umgehungs-
oder Anpassungsstrategien, um Grenzen und Handelsgesetze zu
umgehen. Die Händler bewegten sich zwischen Legalität und
Illegalität, Solidarität und Gewalt; ihre Logik entsprang
Erfahrungen mit Abhängigkeit, Widerstand und Verarmung
während der Kolonialzeit und nach der Unabhängigkeit.
Seit Beginn des West-Sahara-Konfliktes (1975) um die
Unabhängigkeitsforderungen der Sahrawis war der
Grenzübergang Mauretanien-Marokko gesperrt. Weiter
südlich, an der Grenze zwischen Senegal und Mauretanien,
ließ der Bau des Staudammes am Senegal die Konflikte zwischen
Nomaden und sesshafter Bevölkerung - 1989 gar zu rassischen
Auseinandersetzungen - eskalieren. Infolgedessen war der Verkehr
auf der Straße fast vollständig unterbrochen. 1990, als
sich die Beziehungen zwischen Mauretanien und Marokko
normalisierten, wurde der Grenzübergang zweimal pro Woche
geöffnet. Dann bildeten sich lange Konvois und die Menschen
konnten teilweise wieder ihre Geschäfte aufnehmen. Die
Regelung schuf jedoch lange Wartezeiten und bedeutete für
Händler Geld- und Zeitverlust, da diese nur haltbare Waren
transportieren konnten. Obwohl die Landesgrenze im Februar 2002
geöffnet wurde, verlaufen die neuen Handelsmöglichkeiten
weiterhin meist informell.
Der Getreidehandel am Fluss Senegal und in den angrenzenden
Regionen, der normalerweise als for-meller Handel gilt,
verläuft nach Aussagen von Beobachtern über die Grenzen
hinweg. Der Fischhandel mittels Kühltransportern ist zwischen
Saint-Louis beziehungsweise Dakar und den senegalesischen Fischern
gut organisiert. Während der Vertrieb formell abgewickelt
wird, trifft das nicht unbedingt für den Transport und Fang
der Produkte zu. Für die Händler tun sich hier
Gelegenheiten auf, die nur wenig Kapital beanspruchen. Sie handeln
mit importierten Waren aus Europa, Dubai, Saudi Arabien sowie aus
Asien, die über den Hafen von Nouakchott eingeführt
werden. Die Geschäfte lohnen sich, da die Zollgebühren
erheblich niedriger sind als in Dakar oder in marokkanischen
Häfen.
Am Grenzposten Rosso zwischen Senegal und Mau-retanien wird der
informelle Handel hauptsächlich von Frauen betrieben. Ziel ist
es, zunächst ein wenig Kapital zu erwirtschaften. Dann weiten
die Frauen den Handel bis Marokko aus, wohin sie offiziell als
Pilgerinnen reisen, um schließlich bis Dubai zu gelangen,
Krönung ihres Erfolgs.
Die Überquerung des Senegal ist nur auf der Dammbrücke
oder mit einer Fähre möglich. Die senegalesischen
Händlerinnen, die in der Regel zu Fuß unterwegs sind,
benutzen überwiegend die Fähre, die Händler mit
eigenen Transportmitteln den Damm. Im Zollabfertigungsamt dauert es
Stunden, bis alle bürokratischen Angelegenheiten geregelt
sind. Gelegentlich ringen die Händlerinnen mehrere Tage um
adäquate Zollgebühren.
Der wirtschaftliche und soziale Radius der Händle-rinnen
ist einerseits in alte Beziehungsgeflechte eingebettet. Denn die
Frauen bewegen sich in komplexen Netzwerken, die ihre
Ehemänner oder Familien hergestellt haben und die über
die familiären Bindungen hinausgehen. Andererseits entwickeln
die Händlerinnen eigene wirtschaftliche Strategien und bauen
individuelle Strukturen auf. Diejenigen, die Handel im
größeren Stil betreiben oder einen Großauftrag
haben, beteiligen kleinere Händlerinnen daran. Diese Art der
Organisation sorgt für die Zirkulation von Informationen und
erlaubt gegenseitige Hilfe und Ausbildung. Die Aktivitäten der
Teilnehmerinnen stehen zwar in Konkurrenz zueinander, ergänzen
sich aber auch. Frauen, die so viel akkumuliert haben, dass sie
ihre Handelskreise über Mauretanien hinaus erweitern
können, integrieren ihre Geschäftspartnerinnen in ihre
Netzwerke, indem sie sie einführen, das heißt an ihren
eigenen Geschäften am Ort beteiligen, um eine Rotation zu
ermöglichen. Das Handelsmilieu ist so kodiert, dass man ohne
Fürsprecherinnen daran nicht teilnehmen kann.
Zollgebühren von Mauretanien nach Senegal sind viermal
höher als in der anderen Richtung. Um dieses Problem zu
umgehen, versuchen viele Händlerinnen mit am Straßenrand
angehaltenen Lkw-Fahrern oder in der Wartezone der Fähre zu
verhandeln, um ihre Waren am Zoll vorbei zu transportieren. Diese
werden in den Trennwänden der Lkw's oder zwischen der Ladung
versteckt. Der Fahrer wird bei Polizeikontrollen entsprechend
"verhandeln".
Weiter nördlich, an der Grenze zwischen Maureta-nien und
Marokko trifft man ebenfalls viele Händler. Sie gehören
oft denselben Sahrawis-Familien an. Einige Verwandte arbeiten an
den Grenzposten, was die Zolltransaktionen erleichtert. Die
Händler transportieren ihre Ware in kleinen Wagen und
entrichten dem Zollbeamten am Übergang circa zwei Prozent des
Warenwertes als Standardpreis. Durch die Öffnung der
Straße hat sich die Warenmenge wesentlich verviel-facht, womit
die Verdienstmöglichkeiten auch der Beamten stiegen.
Von Süden nach Norden werden Stoffe und lokale Waren wie
afrikanische Gewänder oder Matten transportiert. Diese Waren
werden in Marokko von den Sahrawis verkauft oder gegen Kamele,
Zigaretten und Waren aus der Ost-Sahara getauscht. Von Norden nach
Süden werden besonders Obst und Gemüse, die im Souss, der
reichen marokkanischen Agrarregion, für den Exportmarkt
angebaut werden, gehandelt sowie djellabahs und babouches, die in
Mauretanien und in Senegal sehr beliebt sind.
Da es keine öffentlichen Transportmittel gibt, bieten
Händler oft ihre Dienste an, um Reisende, besonders kleine
Händlerinnen, mitzunehmen. Mercedes-Busse und
Toyota-Geländewagen mit Ladefläche sind besonders
beliebt, vor allem die der Obst- und Gemüsehändler, die
leer nach Dakhla, in das von Marokko besetze West-Sahara-Gebiet,
fahren, um tags darauf mit drei Tonnen Gemüse für den
mauretanischen Markt zurückzukommen. Die Händlerinnen
transportieren so ihre Warenbündel. Da die Formalitäten
an der Grenze langwierig sind, nutzen die Händlerinnen die
Zeit: Sie kochen Tee für die Gemeinschaft, besonders für
die Zollbeamten, und erleichtern so ihre Verhandlungen.
Im Raum Senegal-Mauretanien-West-Sahara leben die selben
Bevölkerungsgruppen, gar Verwandte. Einerseits sind es die
Tukuleur und Peulh im Bereich Senegalfluss-Mauretanien; im Raum
Mauretanien-West-Sahara sind es die Sahrawis. Die Identität
dieser Menschen beruht eher auf ihren Bevölkerungsgruppen als
auf nationaler Zugehörigkeit.
Die Eröffnung einer befestigten und frei passierbaren
Straße ermöglicht nun neue Lebensmöglichkeiten
für die Bevölkerung. Zudem erlaubt sie eine Reise in die
Vergangenheit. In Rosso am Senegal erkennt man Spuren des
Gummihandels aus dem 19. Jahrhundert zwischen senegalesischen
Zwischenhändlern und Mauren. Aufeinander folgende koloniale
Besatzungen gab es in Portendick; Boujdour (Cap Bojador), verloren
in der Steilküste, erzählt Geschichten von
Entführungen, von schiffbrüchigen Seeleuten oder
Reisenden; Cap Juby, bekannt als Zwischenstopp des Aeropostal
(Luftpostdienst, 1920 - 1930) durch die Romane von
Saint-Exupéry, ist nun Anlaufstelle für illegale
Migrationskandidaten, die in Fischerbooten in Richtung
Fuerteventura aufbrechen. Schließlich Guelmim, an der Pforte
zur Wüste, der erste Handelsplatz an der Karawanenstraße
aus Timbuktu mit einem immer noch florierenden und besonders
für Kamele berühmten Markt.
Politisch gesehen ist das Gebiet, das die Straße
Da-kar-Tanger durchquert, heute noch eine große
Herausforderung. Zum einen sind die rassischen Konflikte in der
Region des Flusses zwischen Mauren und Senegalesen immer noch
latent. Dass die politische Situation der Militärregierung in
Mauretanien instabil ist, zeigt der misslungene Putsch im letzten
Sommer. Der Grenzübergang und die ehemalige West-Sahara sind
immer noch Militärzone, da der Status der Sahrawis trotz
Waffenstillstandes nicht gelöst ist: Die Forderungen der
POLISARIO an die marokkanischen Besatzer sind nicht
erfüllt.
So lassen auf einem Großteil der Strecke die Kontrollen
durch Polizei und Zollbeamte sowie die Gegenwart des Militärs
ein gespanntes Klima entstehen. Daran ändert auch deren oft
lockere Umgangsart und die Arrangements mit den Händlern
nichts. Dennoch ist diese Region in vollem Aufschwung und
benötigt nichts anderes als einen auf lange Sicht stabiler und
friedlichen Status, um seine Entwicklung voranzutreiben. Die
marokkanischen Investitionen im saharischen Raum, besonders seit
2000, und die Zunahme des Grenzverkehrs und des Warenaustauschs an
der mauretanisch-marokkanischen Grenze seit 2002 stießen auf
eine begeisterte Bevölkerung, die gleichwohl die Lage besorgt
verfolgt.
Laurence Marfaing ist Historikerin und wissenschaftliche
Mitarbeiterin am ZMO Berlin.
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