Steffen Wippel
Die Wüste als Brücke und Chance
zwischen den Völkern in Nord und Süd
Die Wiederbelebung transsaharischer
Beziehungen
In Medien und Fachwelt werden das nördliche und
subsaharische Afrika meist getrennt betrachtet und die Sahara vor
allem als Hindernis für Kontakte an-gesehen. Historisch
bestanden jedoch enge politische, wirtschaftliche und kulturelle
Beziehungen der nord-afrikanischen Länder in die Sahara hinein
und über sie hinweg, die in letzten Jahren wieder an Bedeutung
gewonnen haben. In erster Linie verband der Karawanenhandel mit
Gold, Sklaven, Gewürzen oder Straußenfedern die beiden
"Ufer" der Wüste Sahara.
Immer wieder gingen von Nordafrika Versuche aus, im Sahara- und
Sahelraum Einfluss zu nehmen. Durch die Sahara gelangte der Islam
in das subsaharische Afrika und Pilger- und Studentenströme
durchquerten sie auf dem Weg in die religiösen Zentren des
Nordens. Diese engen Bindungen wurden mit der kolonialen Aufteilung
des Kontinents weitgehend unterbrochen. Erst in den ersten Jahren
nach der Unabhängigkeit nahmen die Beziehungen zu Afrika in
der Außenpolitik der nordafrikanischen Staaten wieder einen
wichtigen Stellenwert ein. Sie unterstützten die
Befreiungsbewegungen, und vor allem Marokko, Algerien und
Ägypten ging es darum, politische Positionen zu markieren.
Schließlich waren die 70er-Jahre von Versuchen zu einer
umfassenden arabisch-afrikanischen Kooperation geprägt, die
finanziert wurde von den rasch steigenden Einnahmen der
Ölexportländer.
Nach dem weitgehenden Stillstand in den 80er-Jahren kam erst im
folgenden Jahrzehnt erneut Bewegung in das
nordafrikanisch-subsaharische Verhältnis. Nicht zuletzt der
Wegfall des Ost-West-Gegensatzes und die Intensivierung der
Globalisierung trugen dazu bei, dass herkömmliche
Vorstellungen über regionale Aufteilungen der Welt aufgeweicht
wurden und ein "Zwischenraum" wie die Sahara auch in der
politischen Praxis mit Aufmerksamkeit bedacht wurde. Seit etwa 1997
engagieren sich besonders Ägypten, Libyen und Marokko beim
Ausbau ihrer politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum
subsaharischen Afrika. Die Anstrengungen umfassen nicht nur rein
bilaterale Kontakte, sondern es lassen sich auch regionale
Verdichtungen außenpolitischer und außenwirtschaftlicher
Beziehungen beobachten, die bis zur Annäherung an subregionale
Organisationen reichen.
In den genannten Ländern werden immer wieder die eigene
Zugehörigkeit zu Afrika und die ethnische und historische
Zusammengehörigkeit der beiden Seiten der Sahara betont. Man
versteht sich als "Brücke" zwischen beiden Teilen des
Kontinents und als "Scharnier" am Berührungspunkt mehrerer
Weltregionen. Besonders augenfällig ist auf offizieller Ebene
die zunehmende Zahl gegenseitiger Besuche, die in den Medien
ausführlich gewürdigt werden. Schließlich
unternahmen die nordafrikanischen Länder zahlreiche
Vermittlungsbemühungen in regionalen Konflikten im
subsaharischen Afrika.
Politische Motive spielten weiter eine Rolle bei der
Neuorientierung in Richtung subsaharisches Afrika. So bemühte
sich Muammar al Gaddafi, dort Unterstützung für die
Aufhebung der internationalen Sanktionen zu erhalten. Das
dauerhafte ägyptische Interesse liegt hingegen vor allem in
der Sicherung des Zugangs zu den Wasserressourcen des Nil. Für
die Führung Marokkos geht es darum, sich die
Unterstützung in der Westsaharafrage zu sichern. Daneben
bauten seit der zweiten Hälfte der 90er vor allem Ägypten
und Marokko die wirtschaftliche Kooperation mit subsaharischen
Ländern aus. Sie hoffen, die Ausfuhr von Produkten, die keinen
Zugang zum europäischen Markt finden und zugleich den
Qualitätsstandard vieler afrikanischer Waren übertreffen,
ausweiten zu können. Noch behindern politische und
wirtschaftliche Risiken, die geringe Kaufkraft und vor allem hohe
Transportkosten den Warenaustausch. So ist zwar die Bedeutung des
subsaharischen Afrikas für den Außenhandel der
nordafrikanischen Staaten immer noch äußerst gering, aber
seit Beginn der 90er lassen sich häufig
überdurchschnittliche Zuwachsraten des Transsaharahandels
beobachten. Hinzu kommt der informelle Handel über die kaum
kontrollierbaren saharischen Grenzen hinweg, der vor allem mit den
direkten Nachbarländern ein Vielfaches des offiziellen Umfangs
erreichen kann.
Eindrucksvoller als der Handel ist das direkte Enga-gement
nordafrikanischer Unternehmen in Form von Beteiligungen,
Tochterfirmen und Unternehmensko-operationen. Dieses findet
häufig auch in Schlüssel-sektoren wie im Bankenbereich,
Luftverkehrswesen oder der Telekommunikation statt. Aufgrund ihrer
strategischen Lage zwischen Europa, arabischer Welt und Afrika
hoffen Länder wie Marokko oder Ägypten zugleich auf
Niederlassungen internationaler Firmen, die auch die subsaharischen
Märkte bedienen können. Damit verbunden sind
Bemühungen um den Ausbau der saharaüberschreitenden
Infrastruktur, insbesonde-re der Verkehrsverbindungen auf dem
Land-, Luft- und Seeweg.
Die vermehrten Aktivitäten betreffen in erster Linie das
nordöstliche und östliche Afrika für Ägypten,
den Sahelraum und die südlich anschließenden Staaten
für Libyen und das westliche und zentrale Afrika, vor allem
die Küstenpartien im Falle Marokkos. Daneben wurden seit Ende
der Apartheid die Kontakte mit der Republik Südafrika als
neuem Partner auf dem Kontinent gestärkt. Die Länder
versuchen auch auf gesamtafrikanischer Ebene an Statur zu gewinnen,
beim Aufbau einer neuen Afrikanischen Union, als Vermittler
zwischen dem Kontinent und Europa oder bei der Ausarbeitung eines
Entwicklungsplans für Afrika. Auf regionaler Ebene berief
Algerien bereits 1993 ein Treffen der Sahara- und Sahelstaaten ein,
um in Sicherheits- und Entwicklungsfragen zu kooperieren.
Schließlich wurde 1998 auf libysche Initiative die
Gemeinschaft der Sahel- und Saharastaaten gegründet. Auf Dauer
soll eine Wirtschaftsunion geschaffen werden; Kooperation besteht
auch auf stabilitäts- und sicherheitspolitischem Gebiet. In
den folgenden Jahren sind dem Bündnis von ursprünglich
sechs Staaten weitere nord-, west-, zentral- und ostafrikanische
Länder beigetreten, darunter 2001 Ägypten, Tunesien und
Marokko. Heute umfasst es 18 Mitglieder und zählt zu den nach
Fläche, Bevölkerung und Wirtschaftskraft
größten afrikanischen Regionalorganisationen.
Ägypten trat 1998 dem bestehenden Gemeinsamen Markt
für Ost- und Südafrika bei. Neun der heute 20 Mitglieder
bilden seit 2000 eine Freihandelszone, der auch Ägypten
angehört. Gerne würde das Land auch der
Inter-Governmental Authority on Development im nordöstlichen
Teil des Kontinents beitreten und mehr Einfluss am Horn von Afrika
ausüben können. Deswegen arbeitet das Land auch intensiv
mit den Mitgliedern der Nile Basin Initiative zusammen.
Mit der Westafrikanischen Wirtschafts- und Wäh-rungsunion,
die seit 2000 eine Zollunion bildet, schloss Marokko im gleichen
Jahr ein präferentielles Handels- und Investitionsabkommen,
das die bilateralen Handelsvereinbarungen mit den meisten
Mit-gliedsländern ersetzt. Auch mit der geographisch
um-fassenderen und politisch aktiveren Wirtschaftsge-meinschaft
westafrikanischer Staaten wird eine engere Zusammenarbeit
angestrebt. Mauretanien hingegen, das im Übergangsbereich
zwischen dem nord- und südsaharischen Afrika ethnisch und
kulturell besonderen Spannungen ausgesetzt ist, wollte sich nicht
an der weiteren Vertiefung der Integration der Gemeinschaft
beteiligen; es trat 1999 aus und verstärkte statt dessen die
Zusammenarbeit mit den Maghrebstaaten.
Vergleicht man die Wirtschaftskraft der nordafrikanischen
Staaten mit derjenigen der jeweils bevorzugten
Regionalorganisationen, stellt man fest, dass sie eine bedeutende
ökonomische Macht darstellen. Auf sie entfällt jeweils
ein Großteil des gemeinsamen Sozial-produkts und des
Außenhandels. In den subsahari-schen Ländern stoßen
daher auch der Freihandel und die Investitionen auf erhebliche
Bedenken, aus Furcht vor wirtschaftlicher Dominanz und
Einbußen für die eigenen
Entwicklungsmöglichkeiten.
Zu den facettenreichen Beziehungen gehört die zu-nehmende
Zahl von Migranten, die die Sahara über-queren. Gastarbeiter
in Libyen kamen aus dem subsa-harischen Afrika, litten aber unter
einem unsicheren Status und Übergriffen aus der
Bevölkerung. In den letzten zehn Jahren versuchten immer mehr
Schwarz-afrikaner über Marokko und Tunesien nach Europa zu
gelangen. Die Überwachung der EU-Außengrenzen macht die
Überfahrt jedoch immer schwieriger.
Zu den weiteren Besonderheiten des transsaharischen
Verhältnisses zählen die Entwicklungshilfe der
nordafrikanischen Staaten und der Austausch im Bil-dungsbereich.
Zahlreiche Studenten aus dem subsaharischen Afrika studieren in
Nordafrika, aber auch umgekehrt kommen inzwischen beispielsweise
marokkanische Studenten nach Dakar, um Medizin oder Pharmazie zu
studieren. Auf religiösem Gebiet haben Einrichtungen wie
al-Azhar in Kairo großen Einfluss jenseits der Sahara;
Anhänger des islamischen Ordens der Tijâniya pilgern noch
heute zum Grab des Gründers in Fès und Länder wie
Marokko helfen beim Bau von Moscheen im subsaharischen Afrika.
Die zunehmende Dichte der Kontakte verweist ein-deutig auf den
Aufschwung der transsaharischen Verbindungen in den vergangenen
Jahren. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede in den Motiven
und Herangehensweisen. So überwiegen bei Libyen die
politi-schen Beweggründe, im Falle Ägyptens und Marok-kos
zunehmend die ökonomischen. Ihre Zuwendung zum subsaharischen
Afrika lässt sich vor dem Hinter-grund der anderen regionalen
Orientierungen der nordafrikanischen Staaten erklären. Auch
dort wuchs in jüngster Zeit die Einsicht in die Notwendigkeit
regionaler Zusammenarbeit. Demgegenüber ist die
wirtschaftliche Integration im Nahen Osten und Nordafrika nur wenig
vorangekommen. Aber auch die Möglichkeiten der
euro-mediterranen Beziehungen erwiesen sich als begrenzt. Vor allem
bestehen Befürchtungen, dass Unternehmen eher in Europa
investieren, um von dort die frei zugänglichen, untereinander
kaum vernetzten nordafrikanischen Märkte zu beliefern. Deshalb
suchen Staaten wie Marokko oder Ägypten nach
Wirtschaftspartnern.
Die Wiederbelebung des übergreifenden transsaharischen
"Zwischenraums", der auf der Ebene der Kleinhändler, Pilger
oder Studenten nie aufgehört hatte zu existieren, erweitert
die Handlungsmöglichkeiten der nordafrikanischen Staaten. Sie
versuchen, ihre geographische Position zu nutzen und zu einer
Drehscheibe zu werden. Aufgrund der begrenzten
Aufnahmekapazität der subsaharischen Länder für
Exporte werden aber auch in naher Zukunft diese
Wirtschaftsbeziehungen im Vergleich zur Orientierung nach Norden
letzten Endes ergänzenden Charakter behalten. Allerdings ist
auch die Süd-Süd-Kooperation, auf die sie setzen, nicht
konfliktfrei. Zudem bleibt der transsaharische Raum eine Zone
erheblicher Spannungen, ohne deren Lösung eine Integration
Afrikas über die Sahara hinweg kaum vorstellbar ist.
Steffen Wippel ist Fellow am ZMO in Berlin mit
Forschungsschwerpunkt Nordafrika.
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