János Riesz
Zwischen "Heia Safari" und "Mord am großen
Fluss"
Afrikanische Literatur als Aschenbrödel
selbst an deutschen Hochschulen
"Schwarzer Orpheus - Moderne Dichtung
afrikanischer Völker beider Hemisphären", eine von
Janheinz Jahn herausgegebene Anthologie, kam 1954 im Münchner
Carl Hanser Verlag heraus. Bereits ein Jahr später erschien
sie in einer zweiten, vermehrten Auflage. Es war ein Augenblick
voller Zukunft und Erwartung, der das Trauma der Isolation
Deutschlands durch Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg in der
Perspektive einer weltliterarischen Öffnung auf die "neuen
Literaturen" der ehemals kolonisierten Völker zu
überwinden hoffte.
In der "Renaissance der Schwarzen" sah Jahn
"keine Angelegenheit, die nur die Farbigen anginge". Vielmehr:
"Diese Lyrik geht uns alle an. Sie wird auch in Deutschland, hoffe
ich, ihre Wirkung nicht verfehlen."
Jahns Optimismus schien zunächst Recht
zu behalten: gerade dank seiner über 20-jährigen
Bemühungen - Jahn starb 1973 - wurden mehr Werke der
afrikanischen Literaturen ins Deutsche übersetzt als in jede
andere Sprache. Oft wurden die deutschen Übersetzungen der
afrikanischen Romane bereits in dem Jahr nach ihrer Publikation im
Original veröffentlicht. Als Léopold Senghor 1968 den
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter
Paulskirche entgegennahm, war dies auch die vorläufige
"Krönung" seines Übersetzers und unermüdlichen
Mittlers Janheinz Jahn.
Das Berliner "Horizonte"-Festival 1979, der
Afrika-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 1980, die
Gründung der "Gesellschaft zur Förderung der Literaturen
aus Afrika, Asien und Lateinamerika" und der Noma-Preis für
Mariama Bâ's "Ein so langer Brief" im gleichen Jahr, nicht
zuletzt der Nobelpreis für Wole Soyinka (1986) und die
Vereinigung der beiden deutschen Staaten, durch die die zuvor in
der DDR erschienenen Übersetzungen afrikanischer Literatur auf
den nun gemeinsamen Buchmarkt gelangten, dies alles schien der
Rezeption afrikanischer Literatur im deutschen Sprachraum einen
günstigen Nährboden zu bereiten.
Dennoch ist die Situation der afrikanischen
Literatur im deutschen Sprachraum nach wie vor höchst
unbefriedigend und gibt zu fortgesetzten Klagen Anlass.
Während in England oder Frankreich - zum Teil auch in Italien
und Spanien - die Klassiker der afrikanischen Literatur in
Taschenbuchausgaben in den Regalen der meisten Buchläden
stehen, findet man auch in deutschen Universitätsstädten
an den entsprechenden Stellen allenfalls Titel wie "Nirgendwo in
Afrika" von Stefanie Zweig, "Die weiße Massai" von Corinne
Hofmann oder "Tränen am Oubangui" von Cornelia Candy. Die
Bücher der auf afrikanische Literatur speziali-sierten Verlage
wie Peter Hammer oder Lembeck findet man am ehesten in den
Dritte-Welt-Läden.
Die Gründe dafür liegen sowohl in
der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts als auch in der
speziellen Konstellation der populären Massen-Literatur zu
Afrika.
Untersuchungen zur deutschen
Kolonialliteratur, wie Oloukpona-Yinnon schrieb, haben gezeigt,
dass es vor dem Ersten Weltkrieg verheißungsvolle literarische
Ansätze gab, die - trotz der Dominanz eines kolonialistischen
und rassistischen Diskurses - vom Bemühen um Verstehen und
Aufeinander-Zugehen bestimmt waren. In Einzelfällen auch
bemüht, dem "Anderen" Stimme zu geben und afrikanische
Autobiographien und "Selbstzeugnisse" zu Gehör zu bringen.
Carl Einsteins Negerplastik (1915), die noch vor dem Weltkrieg
entstanden war, ist ein wichtiges Zeugnis für die
ästhetische Anerkennung und Wertschätzung afrikanischer
Skulpturen, die man als Vorstufe auch der literarischen Anerkennung
ansehen kann.
Der Erste Weltkrieg markiert eine Zäsur
und koppelt die deutsche Wahrnehmung Afrikas und die Einstellung
zum "Schwarzen Kontinent" von derjenigen des übrigen Europas
ab. Die Rekrutierung von über 200.000 afrikanischen Soldaten
("Tirailleurs Sénégalais") durch Frankreich, ihr Einsatz
im Krieg und ihre Verwendung bei der Besetzung der Rheinlande,
führten auf deutscher Seite zu hasserfüllten Kampagnen,
deren Nachhall unter dem Namen "Schwarze Schande" und "Schwarze
Schmach am Rhein" bis zu Hitlers "Mein Kampf" reicht und unter
anderem die Sterilisierung der sogenannten "Rheinlandbastarde" zur
Folge hatte.
Der Verlust der Kolonien im Versailler
Vertrag und vor allem die Tatsache, dass man den Deutschen in der
Folge die Grausamkeiten ihrer Kolonialherrschaft vorwarf und ihnen
die Fähigkeit zu kolonisieren und damit zu "zivilisieren"
abstritt, führte zu heftigen Kampagnen gegen die "koloniale
Schuldlüge" und zu einem kolonialen Irredentismo, der in den
1930er-Jahren in Buchtiteln wie "Wann kommen die Deutschen endlich
wieder?" gipfelte.
Schließlich wurden einige der
populären Afrika-Bücher zu regelrechten Bestsellern, von
den Nationalsozialisten in ihrem Sinne gedeutet und zentraler
Bestandteil ihrer Ideologie: der Feldzugsbericht aus dem ehemaligen
Deutsch-Ostafrika "Heia Safari" (1920) des Generals von
Lettow-Vorbeck beglaubigte die These des "Im-Felde-Unbesiegt" und
der Kolonialroman "Volk ohne Raum" (1926) von Hans Grimm lieferte
dem Nationalsozialismus ein weiteres seiner berüchtigten
Schlagworte.
Als in den 30er- und 40er-Jahren die ersten
Texte von afrikanischen Autoren in europäischen Sprachen
erscheinen und die Négritude-Bewegung sich Gehör
verschafft, lesen deutsche Schüler den Blut-und-Boden-Roman
des Hans Grimm und die Aufschneidereien des "miles gloriosus"
Lettow-Vorbeck oder den von genozidären Ausrottungsphantasien
durchzogenen "Feldzugsbericht" "Peter Moors Fahrt nach
Südwest" des so genannten Heimatdichters Gustav Frenssen, der
es zwischen 1906 und 1953 (!) auf eine Auflage von 444.000
verkauften Exemplaren brachte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bot sich die
Gelegenheit, die zuvor versäumten Lektionen nachzuholen und in
Synchronie mit anderen europäischen Nationen die afrikanische
literarische Produktion zu rezipieren. Dass dies trotz
verheißungsvoller Ansätze nicht gelang, hat vor allem
zwei Ursachen: Einmal liegt es daran, dass den international als
"Pionierarbeiten" rezipierten Büchern von Janheinz Jahn in
Deutschland die Anerkennung durch die akademischen Instanzen
verweigert wurde und Jahn ein "Außenseiter" blieb - ebenso wie
der in Nigeria lebende Ulli Beier - und die von ihm propagierte
afrikanische Literatur erst nach seinem Tode und unter
größten Schwierigkeiten "legitimer" Bestandteil der
universitären Forschung wurde.
Zum andern, weil der Bereich, den die
afrikanische Literatur im deutschen Leseverhalten und im
Bewusstsein hätte einnehmen können, durch andere
"besetzt" war. Es gab - nach der früheren Kolonialliteratur -
andere Bücher, die dem deutschen Lesebedürfnis in Sachen
Afrika Genüge taten. Wir sprechen hier von dem (vor allem
deutschen) Phänomen Albert Schweitzer, dem elsässischen
Arzt, Theologen und Orgelspieler, Träger des Goethe-Preises
(1928), des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (1951), des
Friedensnobelpreises (1952) und zahlreicher weiterer
Auszeichnungen. Ganze Generationen von Konfirmanden,
Hauptschulabgängern und Abiturienten sind mit den
autobiographischen Büchern des "Urwald-Doktors" beschenkt
worden und haben dadurch eine bleibende Prägung ihres
Afrika-Bildes erfahren. "Zwischen Wasser und Urwald" (1921), "Aus
meiner Kindheit und Jugendzeit" (1924), "Aus meinem Leben und
Denken" (1931) erreichen über Jahrzehnte Bestsellerauflagen,
an die afrikanische Buchtitel - selbst in ihrer Gesamtheit - auch
nicht annähernd herankommen.
Seit den 80er-Jahren treten andere Bestseller
an ihre Stelle, etwa der des TV-Journalisten Peter Scholl-Latour
"Mord am großen Fluss - Ein Vierteljahrhundert afrikanischer
Unabhängigkeit" (1986). Und in den 90er-Jahren die sich zu
einer besonders erfolgreichen Gattung entwickelnden
Afrika-Frauen-Romane.
Der 1986 an Wole Soyinka verliehene
Nobelpreis hat an dieser Situation wenig geändert. Der
Feuilletonchef einer großen deutschen Wochenzeitung schrieb
dazu am 24. Oktober 1986: "Der kleine kosmopolitische Kreis der
westdeutschen Kritik erklärt mir glaubhaft, Wole Soyinka habe
den Preis verdient. Mir soll das recht sein, solange daraus kein
moralischer Zwang erwächst, den Autor ab sofort lesen zu
müssen." Der aus Burkina Faso stammende
Literaturwissenschaftler Isaac Bazié, der "Die kritischen
Reaktionen der deutschsprachigen, französischen und englischen
Presse auf den Literaturnobelpreis von 1984 bis 1994" untersuchte,
sieht in dieser Haltung einen "Vernichtungsakt gegenüber der
Auszeichnung", die damit die Ehrung wieder rückgängig zu
machen versucht.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die
deutsche Leselust auf Afrika wurde selten durch afrikanische
Literatur befriedigt. Statt der frühen afrikanischen Texte der
20er- und 30er-Jahre ist es eine rassistische und zum Teil brutale
Kolonialliteratur. Statt der afrikanischen Romane der 50er- und
60er-Jahre, während der Restauration der Adenauer-Ära,
eine Art "Vergangenheitsbewältigung", die den Namen Albert
Schweitzer trägt. Statt der anspruchsvollen afrikanischen
Literatur der 70er-, 80er- und 90er-Jahre ein Ausweichen auf
Sensationsberichte und fingierte Exoten sowie Tiersafaris, unter
denen Bernhard Grzimek gewiss eine Erwähnung verdient
hätte. Nicht zuletzt die aufdringli-chen Journalistinnen und
Journalisten und "mutigen Frauen", denen Afrika zum "Schicksal"
wurde. Eine Änderung freilich ist nicht in Sicht.
János Riesz ist Professor für
Romanische Literaturwissenschaft und Komparatistik an der
Universität Bayreuth.
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