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Wolfgang Bender
Afrikanische Musik braucht keine
Entwicklungshilfe
Sänger und Musiker haben ihr lokales
Publikum
Die untereinander konkurrierenden Musikvereine "Beni-Ngoma"
haben nach dem ersten Weltkrieg im früher deutschen Ostafrika
und im britischen Tanganyika europäische Blasorchester
nachgeahmt. Für die Herstellung ihrer Blasinstrumente
ließen sie Kürbisse wachsen, die wie geschwungene
Hörner aussahen und einen eher Kazoo-artigen Klang von sich
gaben.
In den 50ern spielten kleine Jungs in Südafrika die
beliebten Saxophonparts des Swing mit billigen Flöten der
Firma Hohner, den "Pennywhistles", nach. Sie begründeten damit
eine neue Musikrichtung: die Kwela-Musik. Junge Musiker in vielen
Ländern, vor allem in Ost- und Südafrika, bauen sich bis
heute ihre Gitarren aus Öldosen und Holzbrettern -
Blechdosen-Banjos. Die Rapper im Senegal, des so genannten Senerap,
die nicht das Geld aufbringen können, eine teure Musikanlage
zu erwerben, helfen sich so aus, dass sie die Rhythmen für den
Hintergrund ihres Gesangs selber akustisch eintrommeln.
Seit mehr als einem Jahrhundert finden Musiker in Afrika ihre
Wege, die Musik ihren Vorstellungen gemäß und mit den
ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen. Hier
bedurfte es keiner Experten, keiner Entwicklungshilfe. Das trifft
auch auf die jeweiligen nationalen Plattenindustrien zu. In diesem
Kontext ist wichtig zu wissen, dass mit Beginn der
Schallplattenproduktion Anfang des vergangenen Jahrhunderts sehr
bald afrikanische Musiker und Sänger aufgenommen wurden.
Sobald nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten kleinen Plattenlabel
auf dem Kontinent entstanden - ob sie nun von Afrikanern oder von
in Afrika lebenden Griechen aufgebaut wurden, soll keine Rolle
spielen - wurde Musik aufgenommen und vertrieben, die den
jeweiligen regionalen Moden entsprach. Der Plattenmarkt
verzeichnete auf dem gesamten Kontinent sehr bald höchste
Wachstumsraten. Wurden bereits Ende der 20er-Jahre in Ostafrika
72.000 Schellackplatten der berühmten Sängerin Siti Binti
Saad verkauft, so waren es im Kongo der frühen 50er schon 1,2
Millionen Tonträger pro Jahr! In jedem Dorf waren Grammophone
zu finden, bemerkte der belgische Produzent Bill Alexandre in dem
vom NWDR gedrehten Film "Musuri" (1954).
Die afrikanischen Musiker eroberten sich auch die zeitliche
Strukturierung der Plattenseiten. Ab den 60ern wurden die LP-Seiten
nur noch in drei statt in sechs Stücke unterteilt, bald darauf
gar nicht mehr. Das heißt, dass sich endlich die spezifischen
Musikkonzeptionen in ihrer eigenen zeitlichen Dynamik entfalten
konnten, so wie es "live" üblich war, mit Wiederholungen und
rhythmischer Verzögerung - was zu den Grundcharakteristika
afrikanischen Musizierens gehört. Im anglophonen Westafrika
nannte man das "stretch" - die gedehnte Scheibe.
Die Musiker waren immer auf dem neuesten Stand der Technik. Nach
Einführung der E-Gitarre kam diese bald auch nach Afrika. Dann
die Orgeln, die "PA" (public address system), die
Synthesizer-Generationen - sie schlagen sich sogar in Bandnamen wie
DO-7 nieder. Kommt ein neuer "gadget" auf den Markt - sofort finden
wir ihn bei den Orchestern in Afrika, die es sich zum Sport gemacht
haben, immer das Neueste aus Europa oder den USA mit nach Hause zu
nehmen und untereinander damit zu konkurrieren. Papa Wemba, der
legendäre Musikstar aus Kongo/Zaire feierte sogar
Rückkehr-Tourneen aus dem Ausland mit neuem equipment.
Innovation steht an oberster Stelle.
Die multinationalen Plattenkonzerne, die ab den 60ern in einigen
wirtschaftlich potenteren Länder ihre Produktion aufgenommen
haben, wurden von der Piraterie stark getroffen. Anfangs
betrachteten sie die oft noch vor dem offiziellen Erscheinen der
Platten vertriebenen Raubkopien quasi als Reklame für das
richtige Produkt. Aber bald wurde die Piraterie zur Bedrohung der
Profite, besonders mit der Einführung der Audio-Kassette, die
beliebiges Kopieren erlaubte. Im großen Stil wurden die
Piratenkassetten kommerziell aus Ostasien importiert. Die Musiker
und Sängerinnen wurden ihrer Tantiemen beraubt, ein
Riesenproblem, das bis heute nicht gelöst wurde.
Die Wirtschaftkrise Ende der 70er hatte ihre Auswirkungen auch
auf die afrikanischen Musikkulturen. In den besonders im Boden
liegenden Ökonomien, zum Beispiel in Sierra Leone, konnte bald
keine elektrisch verstärkte Band mehr auftreten. Die auf dem
Kontinent entstandenen Produktionsstätten mussten
schließen. Die ehemaligen kolonialen Metropolen bekamen erneut
größeres Gewicht für die Musiker und die
Produktionen, zumal dort auch die kaufkräftigeren Schichten
der afrikanischen Emigranten einen neuen Markt darstellten.
Das betraf stärker die frankophonen Gebiete. Produktionen
in Paris bringen zumindest Tantiemen ein. Die Musiker der
anglophonen Länder lösen ihre Probleme eher für
sich. Zum einen werden lokal Sängerinnen auf Master-Kassetten
aufgenommen, die risikolos nach Bestellung kopiert werden
können - Beispiel für die geniale Anpassung an den
veränderten Markt! Zum anderen kam in den 80ern das Musikvideo
auf, das sich zum Beispiel in Nigeria zum Haupttonträger
entwickelte. Heute sind es die Video-CD und die DVD.
Nach dem Tod von Bob Marley 1981 versuchte die Plattenfirma
Island Records den nigerianischen Gitarristen, Sänger und
Bandleader King Sunny Ade zu einem Nachfolge-Star aufzubauen. Sunny
Ade gehörte in Nigeria zu den größten Stars, und der
Island-Produzent Martin Meissonnier versuchte sich in einem
musikalischen Konzept mit Blick auf die Weltmusik. Doch die
Konsequenzen waren eher zum Nachteil für alle Beteiligten. Der
frühere Marley-Produzent bestand auf einer Beschleunigung der
"bpm" (beats per minute) der eher getragenen Yoruba Juju Music von
Sunny Ade. Außerdem wurden wieder "tracks" (Stücke)
verordnet und muss-ten einige Lieder in Englisch anstatt in Yoruba
sein. Yoruba ist eine Tonsprache, Musik und Liedtext sind
untrennbar tonlich verstrickt. Ein englischer Text kann auf diese
Musik unmöglich angepasst werden. Es wurden zwei LPs dieser
Produktionen lanciert, dann wurde der Versuch beendet. Aber das das
schnellere Tempo hatte in der nigerianischen Musik einen neuen
Maßstab gesetzt, der nicht einfach zurückzufahren
war.
Daraus spricht auch, dass es den westlichen Musikproduzenten
nicht um Übernahme afrikanischer Musikstile ging, sondern um
eine Erweiterung des Repertoires, das sich nicht allzu sehr vom
globalisierten mainstream der Klänge und Rhythmen
unterscheiden durfte. Der inzwischen weltbekannte Sänger aus
dem Senegal, Youssou N'Dour, war in den 90ern mit der Amerikanerin
Neneh Cherry auf einem Clip mit dem poppigen Titel "7 Seconds" in
MTV zu sehen. Der Titel war auf der CD "Wommat" zu hören, die
für den Weltmarkt gedacht war. Im Senegal erschien dazu die
passende Audiokassette für den lokalen Markt,
bezeichnenderweise ohne "7 Seconds". Youssou N'Dour trat auch im
Stadion bei der Eröffnung der Fußball-WM 1998 in Paris
zusammen mit der Belgierin Axelle Red auf. Frankreich machte
deutlich, dass es diese Vertreterinnen der Frankophonie als
Repräsentaten seiner Kulturpolitik und Ausrichtung ansah.
So verwundert es nicht, dass ein Großteil der afrikanischen
Musiker, die in Deutschland auf Tournee gehen, vom
französischen Staat finanziell unterstützt, für das
kulturpolitische Konzept der Frankophonie eintreten oder dafür
funktionalisiert werden. In Paris entstanden neue afrikanische
Musiken für das Publikum in Europa und den USA.
In Afrika hat Land für Land seine eigenen populären
Musikstile. Die Größe der Bevölkerungsgruppen
bestimmt meist die Dominanz auf dem nationalen Musikmarkt, obwohl
es immer wieder Unterschiede geben kann. Die Luo in Kenia
gehören zu einer Bevölkerungsgruppe unter vielen. Dennoch
war es ihre Musik, die einen der wichtigsten Stile der kenianischen
Popmusik heute prägte: den Benga. Selbst die berühmtesten
Rapper, das Duo Gidigidi MajiMaji sind Luo. Ihr erfolgreichstes
Lied war der Titel "unBwogable", das zur Wahlkampfmelodie der
Opposition bei den Präsidentschaftswahlen 2002/2003 wurde.
"unBwogable" ist eine Zusammenstellung von Luo und englischen
Worten und bedeutet so viel wie: "Wir sind nicht
unterzukriegen".
In Deutschland sind zahlreiche afrikanische Gruppen zu
hören, die im Rahmen der Begeisterung für Weltmusik
erfolgreich sind und Tourneen gestalten. Dass diese häufig
nicht unbedingt viel mit der Musik zu tun haben, die in den
afrikanischen Ländern zu hören ist, interessiert die
Konsumenten in westlichen Ländern wenig. Musikliebhaber in
Afrika zeigen ein hohes Bewusstsein für Qualität. Kein
Musiker, keine Sängerin hat dort eine Chance, die nicht
wirklich sehr gut spielt oder singt. Viele von denen, die sich in
westlichen Ländern gut verkaufen, hätten es in ihren
eigenen Ländern sehr viel schwerer.
Wer hat nicht schon einmal eine der vielen Varianten des Liedes
"Wimoweh" gehört? Die auch unter dem Titel "The Lion sleeps
tonight" vielfach übernommene, neuarrangierte Komposition des
Südafrikaners Solomon Linda (1939), gehört zu den meist
gecoverten Liedern der Welt. Sie ist nur ein Ausdruck der
Allgegenwart afrikanischer Musik in populären Musikstilen
weltweit. Dass der ursprüngliche Komponist dabei so gut wie
leer ausging, ist der traurige Zynismus des internationalen
Musikgeschäfts. "Wimoweh" ist nur ein Beispiel. Dabei stellt
afrikanische Musik letztlich die Grundlage aller westlichen
Popmusik dar - verursacht durch den Sklavenhandel und die
Entstehung afroamerikanischer Musiken in den Diasporas der Neuen
Welt.
Wolfgang Bender leitet das von ihm gegründete Archiv
für die Musik Afrikas am Institut für Ethnologie und
Afrikastudien an der Universität Mainz.
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