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Konrad Watrin
Die Islamisten-Gefahr ist noch lange nicht
gebannt
Nordafrika zwischen moderater Modernisierung und
Gewalt
In Nord-Afrika spiegelt sich die ganze Vielfalt der kolonialen
Einflüsse wider: vom ehedem "britischen" Ägypten, dem
"italienischen" Libyen über Tunesien bis Algerien, das einst
zum französischen Mutterland gehörte, bis zu dem vor gut
25 Jahren noch "spanischen", heute von Marokko beanspruchten Gebiet
der West-Sahara. Das einigende Band all dieser Länder ist der
Islam. Dessen Depravation indes zum politischen Extremismus zeigte
sich - außer bei der Machtergreifung der Ayatollahs in Iran
(1979) und der Ermordung Anwar al Sadats in Ägypten (1981) -
vor allem in Algerien. 1991/1992 wurden im Land von Albert Camus
die ersten freien Wahlen annulliert, und was folgte, war ein
bestialisches Gemetzel, einer der am grausamsten geführten
Konflikte vor unserer mediterranen Haustür, mit über
100.000 geschätzten Toten - hier zu Lande weidlich
ignoriert.
Vor allem in Deutschland unzulänglich beachtet ist die nach
"9/11" allenthalben diskutierte Bedrohung durch die transnationale
Nachfolge-Ideologie des arabischen Nationalismus in Nordafrika seit
langem virulent. Spätestens seit sich der Schauplatz für
Islamisten-Gefahr und Terror - neben dem fortdauernden
Palästina-Israel-Konflikt - nun nach Afghanistan und Irak
verlagert hat, ruht das im Jahrzehnt zuvor so unruhige Nordafrika
im Windschatten der Weltgeschichte.
Modernisierer Gaddafi?
Nun hat sogar der Oberst von Tripolis, bis vor Jahren einer der
obersten Paten, dem Terror abgeschworen. Er kündigte
jüngst an, Libyens Programme zur Mas-senvernichtung einstellen
zu wollen, nachdem er von ETA bis IRA so ziemlich alles, was einmal
bombte, unterstützt hatte. Dabei verzweifelte Muammar al
Gaddafi an der stets beschworenen Einheit der arabischen
Brüder und ihrer Scheinheiligkeit und wandte sich zuletzt
Afrika zu. Seine über Jahrzehnte hinweg ehrgeizige, oft als
verrückt titulierte Außenpolitik hat er
gemäßigt, denn er sucht die Annäherung an den
Westen. Er steuert einen Liberalisierungskurs, um Investoren in das
Land des uneffektiven und korrupten Dschamaharija ("Massenstaat"),
doch mit einem kostenlosen Gesundheitswesen und sozialen
Errungenschaften wie günstigen Wohnungen sowie hoch
subventionierten Konsumgütern zu locken.
Für den Westen stellt nun ausgerechnet Gaddafi - nach dem
Ausscheiden von Saddam Hussein, und zu-sammen mit dem jungen Assad
von Syrien - einen der beiden nahezu unumschränkten Herrscher
dar, die die Islamisten mit militanten Mitteln bekämpfen
können, rücksichtsloser als die anderen autoritären
Herrscher Ägyptens, Tunesiens oder Algeriens, vom jungen,
modernen König Marokkos zu schweigen. Diese stellen,
unterstützt von ägyptischen Muslim-Brüdern und dem
Mystikerorden der Senussi - aus deren Stamm der letzte libysche
König stammte - im Süden des Erdöllandes, auch die
einzige politisch organisierte Opposition dar. Vor vier Jahren soll
es, so weit bekannt, in Bengasi zu einem Gefecht der
Sicherheitsdienste mit Extremisten gekommen sein. Ein Jahr zuvor
hatte Gaddafi nahe der Küstenstadt offenbar einen Unfall, der
ihn monatelang an den Rollstuhl gefesselt haben soll, nachdem er
offenbar aus dem Hinterhalt beschossen worden war. Nun sucht er die
im Innern murrenden Libyer zufrieden zu stellen, indem er das Land
vorsichtig nach außen öffnet.
Auch Tunesien, dessen Präsidenten bis heute Wahlen mit
vorgestrigen 99 Prozent gewinnen, gilt als einer der wichtigsten
westlichen Verbündeten im Kampf gegen den Terror. Hinter der
Fassade des angenehmen Urlaubslandes indes, wo zuletzt die
Afrika-Meisterschaft im Fußball stattfand, steckt ebenfalls
ein Polizeistaat, ohne Pressefreiheit, in dem der Anti-Terror-Kampf
laut amnesty international auch unter Zine al Abidine ben Ali als
Vorwand für die Verfolgung Oppositioneller herhält.
Vor vier Jahren diente Tunesien dem Nachbarland Libyen als
Türöffner bei dessen angestrebter Rückkehr in die
internationale Politik, indem es als erstes Land die Blockade
Libyens mit der Wiederaufnahme des Flugverkehrs durch Tunis Air
nach Tripolis durchbrach. Im vergangenen Jahr vereinbarten beide
Nachbarstaaten den Bau von zwei Öl-Pipelines. Und beide
Länder gemeinsam haben sich für 2010 um die Ausrichtung
der Fußball-WM beworben, dürften aber wohl kaum Chancen
besitzen.
In Ägypten, wo seit annähernd 200 Jahren alles mehr
oder minder zerfällt und die Lage auf freundlich-liberalem
Niveau stagniert, wo Gamal Abdel Nasser Opponenten einst "hinter
die Sonne" schickte, scheint die zu Beginn der 90er-Jahre
eskalierte Gefahr wieder unter Kontrolle, seit die zuvor brutal
verfolgten Mus-lim-Brüder offiziell der Gewalt abschworen.
Noch immer sind sie als Partei jedoch nicht zugelassen. Ihre
militanten Abspaltungen, die zuletzt beim Massaker am
Hatschepsut-Tempel im November 1997 über 50 ausländische
Touristen, vor allem deutsche und Schweizer, mordeten, werden mit
harter Hand ver-folgt. Schätzungsweise 30.000 bis 40.000
Extremisten sollen in ägyptischen Gefängnissen
einsitzen.
Hauptursache der Gewalt
Doch gefährlicher noch für das scheinliberale Regime
Mubaraks, der sich letztlich ebenso auf das Militär
stützt, sind wohl die Erfolge der Islamisten auf kommunaler
Ebene. Nicht zuletzt das Wahl-Debakel in Algerien hat das für
orientalische Verhältnisse moderate Regime in Kairo
veranlasst, auch eventuelle Wahlerfolge sich vergleichsweise
maßvoll gerierender Muslim-Brüder zu fürchten.
"Die Hauptursache der fundamentalistischen Gewalt unserer Tage
ist das völlige Versagen der herrschenden Regime - seien sie
nun republikanisch oder monarchisch, sozialistisch oder
kapitalistisch, progressiv oder konservativ - und zwar in allen
Bereichen der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Erziehung und der
Kultur", schrieb unlängst der Politikwissenschaftler Mir A.
Ferdowski. Der Westen aber - dies zeigen die abgebrochenen Wahlen
in Algerien, aber auch die frisierten in Ländern wie
Ägypten und anderen Ländern und möglicherweise bald
auch im Irak - steht vor dem Dilemma, dass islamistische
Forderungen nach Demokratisierung gegenüber den
autoritären und repressiven Regimen in der arabischen und auch
afrikanischen Welt die Probleme, vor allem den Modernisierungs- und
Entwicklungsstau nicht auflösen würden. Dennoch böte
sie wahrscheinlich die einzige Chance zur Rückgewinnung von
Glaubwürdigkeit.
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