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Das Parlament
Nr. 18 / 26.04.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Susanne Güsten

Zwei Zeitungsexemplare gehen immer an die Staatsanwaltschaft

Journalisten haben es in der Türkei noch immer sehr schwer
Für Hilmi Hacaloglu war es ein Routine-Termin. Der Reporter des türkischen Nachrichtensenders NTV wollte in Istanbul über eine Demonstration berichten - doch dann wurde er selbst von Zivilpolizisten abgeführt und auf der Wache verprügelt. Erst auf einen Anruf der übergeordneten Behörden hin, bei denen NTV sich beschwert hatte, hörten die Polizisten zu prügeln auf und boten Hacaloglu Tee an, bevor sie ihn freiließen. Öffentlich erklärte die Polizei, der Journalist sei nicht festgenommen, sondern auf die Wache "eingeladen" worden.

Dass Journalisten von der Polizei verprügelt werden, ist nur eines von vielen Problemen für die türkischen Medienvertreter. Auch Zensurbehörden, Selbstzensur, ein Konzentrationsprozess bei den Medienunternehmen und eine ungesunde Verquickung von Medien und anderen Wirtschaftsinteressen erschweren es den Zeitungen, Rundfunkstationen, Fernsehsendern und Betreibern von Internetseiten in der Türkei, das zu tun, was Medien in einer Demokratie tun sollten: objektiv berichten und die Mächtigen kontrollieren. An den Journalisten selbst liegt das nicht. Viele türkische Reporter sind handwerklich über jeden Zweifel erhaben.

Ein Türke, der sich dafür interessiert, was in seinem Land geschieht, kann aus einer ungeheuren Vielfalt von Medien auswählen: Es gibt über 5.000 lokale, regionale und überregionale Zeitungen, hunderte von Zeitschriften, über 1.000 Rundfunksender und mehr als 250 Fernsehstationen; seit der Zulassung von Privatsendern Anfang der 90er-Jahre ist die früher alles bestimmende staatliche Sendeanstalt TRT in den Hintergrund gerückt. Hinzu kommen Internetseiten, die über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Sport informieren. In diesem Angebot haben sich einige Platzhirsche etabliert. Die mit einer Auflage von täglich mehr als 400.000 Exemplaren größte Zeitung der Türkei ist "Hürriyet" ("Die Freiheit") aus dem Medienimperium des Unternehmers Aydin Dogan; andere führende Blätter wie "Milliyet" ("Die Nation") und die pro-europäische "Radikal" kommen aus demselben Haus.

Die Konzentration vieler Medien in wenigen Händen und die Zusammenführung von Medien und anderen Wirtschaftsunternehmen in großen Holdings ist ein ernstes Problem. Dass ein Unternehmer gleichzeitig eine Privatbank, ein Bauunternehmen und eine überregionale Zeitung besitzt, ist in der Türkei eher die Regel als die Ausnahme. Den Medienbaronen in der Türkei wird nachgesagt, dass Zeitungen und Fernsehsender für sie im Grunde nur Instrumente sind, um sich für andere Unternehmensbereiche politische Rückendeckung zu sichern - oder zu erpressen. Als die steinreiche Unternehmer-Familie Uzan ihren Spross Cem Uzan eine Partei gründen ließ, wurden die Uzan-Medien zu Propaganda-Lautsprechern für dessen Genc Parti (Junge Partei). Die Zeitung "Star" und der Sender "Star TV" brachten täglich seiten- und stundenlange Tiraden ihres Chefs gegen die Regierung von Ministerpräsident Erdogan. Nachdem die Uzans eine ihrer Banken in den Bankrott getrieben hatten, verlor die Familie die Kontrolle über Zeitung und TV-Sender.

In dieser starken Medienkonzentration schaffen es nur wenige Zeitungen, unabhängig zu bleiben. Beachtenswert ist die Zeitung "Zaman" ("Die Zeit"), die dem islamischen Prediger Fethullah Gülen nahe steht, sich aber trotzdem den Ruf eines seriösen Blattes erworben hat. "Zaman" hebt sich mit einem sehr modernen Layout auffällig vom sonst weit verbreiteten Boulevard-Konzept der Konkurrenz ab und orientiert sich auch journalistisch an der europäischen Qualitätspresse. Die linksnationalistische "Cumhuriyet" ("Die Republik") als Leib- und Magenblatt der türkischen Intellektuellen, zählt ebenfalls zu den Unabhängigen.

Geschwiegen wird in den türkischen Medien bei einigen Themen tatsächlich noch immer. Kritik an der Armee etwa ist nur selten zu hören oder zu lesen, obwohl die Meinungs- und Pressefreiheit im Zuge der jüngsten EU-Reformen erweitert wurden. Angesichts der Tatsache, dass der durchschnittliche Türke am Tag fünf Stunden lang Fernsehen schaut, stehen besonders die TV-Sender im Visier der staatlichen Zensoren. In der Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Fernsehen (RTÜK) in Ankara werden alle Fernsehprogramme ständig überwacht und auf staatsfeindliche Tendenzen hin überprüft. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Sendeverbote von bis zu mehreren Wochen ausgesprochen, wenn Fernsehanstalten nach Auffassung der RTÜK zu frech, sexuell zu freizügig, zu brutal oder zu beleidigend waren. In der RTÜK sitzen nach wie vor auch Vertreter der Militärs; im Zuge einer von der Regierung angekündigten Gesetzesreform sollen sie allerdings noch in diesem Jahr aus dem Gremium ausscheiden.

Neben staatlichen Zensoren sorgten auch die Gerichte lange Zeit dafür, dass die türkischen Journalisten auf Linie blieben. Insbesondere die Anti-Terror-Gesetze und die starken Einschränkungen der Meinungsfreiheit sorgten dafür, dass etwa über den Kurdenkonflikt nicht offen diskutiert oder objektiv berichtet werden konnte. Auch nach dem Inkrafttreten gesetzlicher Reformen funktioniert die Schere im Kopf noch weiter. So berichten die meisten Zeitungen über das Kurdenproblem auch heute noch lediglich vom Standpunkt des türkischen Staates aus.

Einige Veränderungen der letzten Jahre brauchten keine Gesetze. So wurde das schwere Erdbeben im August 1999 zu einem Wendepunkt im Verhältnis zwischen Medien und dem Staat. Bis zu der Katastrophe war in den Zeitungen viel vom "baba devlet" die Rede: vom "Vater Staat", der sich um seine Kinder kümmert und zu dem die Bürger aufzuschauen haben. Doch nach dem Unglück war es damit vorbei. Während Journalisten innerhalb weniger Stunden nach dem Beben vor Ort waren und live berichteten, brauchten die Behörden mehrere Tage, bis sie ihre Hilfsaktionen auf den Beine gestellt hatten. Der Kaiser Staat stand ohne Kleider da - und die Kritik an den staatlichen Stellen brach mit voller Wucht los.

"Radikal" hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Mängel der Türkei auf dem Weg in die EU aufzuspießen. "Mit dieser Mentalität kommt man nicht in die EU", heißt das Motto einer Serie über die Widerstände in Justiz und Behördenapparat gegen die Reformen. Im letzten Jahr griff "Radikal" sogar die Militärs an. Die Zeitung veröffentliche geheime Vorschriften des Nationalen Sicherheitsrates, die zeigten, wie sehr die Militärs das Land im Griff hatten. Susanne Güsten

Susanne Güsten arbeitet in Istanbul für verschiedene deutsche Zeitungen.

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