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Das Parlament
Nr. 18 / 26.04.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Josef-Thomas Göller

Die Türken sind als einziger NATO-Partner der USA im Irak unerwünscht

Ankaras Spagat zwischen Brüssel und Washington

Türken und Amerikaner haben seit der US-Invasion des Irak im März 2003 ein tiefgehendes Verständnis- und Wahrnehmungsproblem. Es geht tiefer, als in beiden Ländern zugegeben wird. Die Folgen für die Türkei sind offenkundig. Mit dem Quasi-Verlust der amerikanischen Supermacht als engstem Freund steht die Regierung in Ankara ohne politischen Verbündeten von Gewicht da. Der Eintritt der Türkei in die Europäische Union ist immer noch Zukunftsmusik. Und die jahrzehntelange "Schutzmacht" USA sieht vor allem in Hinblick auf den Irak in der Türkei seit März 2003 plötzlich eher eine Belastung. Die Beziehungen beider Alliierten stehen vor einem historischen Scheideweg. Die Gründe dafür sind zwar vielfältig, beruhen aber im wesentlichen darauf, dass die türkische Regierung versucht, ihre Außenpolitik der der europäischen Hauptakteure wie Frankreich und Deutschland anzugleichen.

Präsident Bill Clinton nannte die amerikanisch-türkische Beziehung 1999 noch eine "strategische Partnerschaft". Als Weltmacht halfen die USA, die Sicherheitsinteressen der Türkei zu gewährleisten. Obwohl das Land am Bosporus jahrzehntelang eher diktatorisch als demokratisch regiert wurde, wurde es 1952, drei Jahre nach Gründung der NATO, in die westliche Verteidigungsgemeinschaft aufgenommen. Die Türkei als "Frontstaat" zur kommunistischen Sowjetunion und ab 1991 als "Frontstaat" zum Irak, erhielt stets alle militärische und politische Unterstützung Washingtons, derer es bedurfte. Außerdem beteiligten die USA in den 90er-Jahren die Türkei als Partner an dem neu erschlossenen Energie-Korridor aus dem Kaspischen Becken, und sie traten als mächtiger Lobbyist für die EU-Mitgliedschaft der Türkei in Brüssel auf.

Im Gegenzug bewies Ankara stets bedingungslose Treue und stellte mit drei riesigen Flugplätzen - Batman, Diyarbakir und Incirlik - nach Deutschland gewissermaßen den zweitgrößten Flugzeugträger der USA für das Mittelmeer und den Nahen Osten.

Seit 1. März 2003 ist der türkisch-amerikanische "Honeymoon" indes vorbei. Das türkische Parlament entschied an diesem Tag, amerikanischen Streitkräften zu untersagen, von der Türkei aus in den Norden Iraks einzumarschieren. Es war zwar zu diesem Zeitpunkt kein Geheimnis, dass sich - ebenso wie in nahezu allen europäischen Ländern - ein Großteil der Bevölkerung und der Politiker gegen eine amerikanische Invasion des Irak aussprachen. Vor allem aber war auch den Kriegsplanern im Pentagon bekannt, dass seit November 2002 die islamistische "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" die Regierung in Ankara stellte, und diese machte keinen Hehl daraus, dass sie sich nicht an einen Angriff gegen ein islamisches Land beteiligen werde.

Kenner der Türkei sind sich zudem darin einig, dass der neue Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan damit auch den massivsten europäischen Kriegsgegnern - Berlin und Paris - ein Signal übermitteln wollte, in die Richtung, dass die Türkei auf die Linie der EU-Hauptakteure einschwenke. Die türkische Verweigerung führte nämlich dazu, dass die 4. US-Infanterie-Division in den entscheidenden ersten drei Wochen des Krieges nicht in den Irak verlegt werden konnte, und dass sie bei der Eroberung Bagdads zu spät kam, um die spektakulären Plünderungen zu verhindern.

Selbst was die Flug- und Überflugrechte für amerikanische Kampf-Jets anbelangt, zierte sich der "Flugzeugträger Türkei" bis zum 21. März und war damit das letzte Nato-Mitglied, das den Amerikanern diese Rechte einräumte. Der gesamte Invasionsplan der Amerikaner wurde dadurch nachhaltig beeinträchtigt. Kein Wunder, dass die Amerikaner auf die Türken nicht mehr sonderlich zu sprechen sind. Einerseits!

Andererseits glaubt Washington immer noch, auf Ankara als Partner nicht gänzlich verzichten zu können. Für Präsident Bush ist die Türkei der moslemische Vorzeigestaat, wenn es darum geht, zu beweisen, dass Islam und Demokratie vereinbar seien. Der amerikanische Präsident wird seit dem Terror-Anschlag am 11. September 2001 nicht müde, den 22 arabischen Nationen mit Demokratisierung zu "drohen". Insbesondere am türkischen Nachbar Irak soll ein Exempel statuiert werden: ein demokratischer Staat tief im Herzen der islamischen Welt, die sich bisher permanent geweigert hat, auch nur den geringsten Versuch zu unternehmen, in einem ihrer Staaten demokratische Strukturen zu bilden.

Außerdem spielt die Türkei in der Nahostpolitik der Amerikaner ein Rolle, wenngleich vorwiegend hinter den Kulissen. Ankara gilt nämlich als enger Partner Israels und als Gegner Syriens. Denn Damaskus hat lange die kurdische Terroristenbewegung mit dem Decknamen Kurdische Arbeiterpartei (PKK) unterstützt und tut dies möglicherweise erneut. Die PKK hat ihren im Februar 2000 angekündigten "Waffenstillstand" am 2. September 2003 wieder aufgehoben. Und es gibt zumindest Hinweise aus Geheimdienstkreisen, dass Syrien - das ja auch die Terrorgruppen Hamas und Hizbollah unterstützt - den kurdischen Terroristen ebenfalls wieder Geld und Waffen zufließen lässt.

Wer mit der nahöstlichen "Logik" vertraut ist, dem erscheint es nicht als paradox, dass Syriens Staatschef Assad dennoch im Januar 2004 der Türkei einen offiziellen Staatsbesuch abstattete, den ersten in der Geschichte beider Staaten. Diese Gespräche passen in die Taktik der Bush-Regierung, die den gesamten israelisch-palästinensischen Streit möglichst tiefhängen und Lösungen im Hintergrund ausarbeiten will. Ankara kommt, zumindest was Syrien anbelangt, dabei eine nicht unbedeutende Rolle zu. Es geht darum, Syrien einzuschüchtern: Damaskus soll sich aus dem Irak heraushalten, seinen Staatsterrorismus aufgeben und in Verhandlungen mit Israel über die Golanhöhen eintreten.

Bereits fünf Monate nach der Invasion des Irak bot Erdogan den Amerikanern 10.000 Soldaten als "Peace Keeper" an. Präsident Bush, dankbar für jede internationale militärische Beteiligung an der Besetzung des Irak, hätte über dieses Angebot einen Luftsprung machen müssen. Denn mit der Türkei hätte sich erstmals ein moslemisches Land an der Friedenssicherung im Irak beteiligt. Außerdem hätten die Türken nach Großbritannien das größte ausländische Truppenkontingent gestellt. Der Haken an der Sache offenbarte sich umgehend. Der provisorische irakische Regierungsrat lehnte einhellig jegliche türkische Präsenz im Lande entrüstet ab. Und die USA konnten es sich nicht leisten, den von ihnen eingesetzten Rat zu brüskieren.

Im Irak sind die Türken nicht nur bei den Kurden im Norden verhasst, sondern auch bei den Arabern im übrigen Land. Die Türken werden als die Nachfolger des Ottomanischen Reiches gesehen, das im Irak mit der üblichen Brutalität von Eroberern bis 1917 herrschte. Zudem gesellt sich ein "historisches Langzeitgedächtnis". Im Jahr 1517 wurden alle Araber vom türkischen Sultan Selim I. vor den Kopf gestoßen, als dieser das Kalifat von Kairo nach Konstantinopel verlegte und sich zum Vertreter des Propheten sowie dem Führer aller Sunniten erklärte.

Tatsache ist, dass die Spannungen zwischen der Türkei und den irakischen Kurden seit dem Irak-Krieg wieder gewachsen sind, da Ankara nachweislich Konflikte zwischen den Turkmenen - den so genannten "türkischen Irakern" - und den Kurden schürt. Im April 2003 etwa stoppten die Kurden einen Konvoi des türkischen "Roten Halbmonds" und beschlagnahmten Waffen und Sprengstoff, eingepackt in Säcken mit der Aufschrift "Humanitäre Hilfe".

In diesen Konflikt wurden die USA im vergangenen Jahr tiefer hineingezogen, als ihnen lieb ist: Am 4. Juli 2003 stürmten 100 US-Soldaten ein sogenanntes Verbindungsbüro der türkischen Armee in der Stadt Sülemaniye im nordirakischen Kurdengebiet. Elf türkische Offiziere und Unteroffiziere wurden von den Amerikanern verhaftet und drei Tage lang verhört. Während der türkische Ministerpräsident Erdogan entrüstet von einem "hässlichen Vorfall" sprach, "der unseren Nationalstolz kränkt", und während die deutsche Presse überwiegend der türkischen Darstellung breiten Raum widmete, muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass die kurdische und amerikanische Verlautbarung eher der Wahrheit entspricht: Dieses türkische "Verbindungsbüro" in Sülemaniye wurde von den Amerikanern nicht nur verdächtigt, die Turkmenen gegen die Kurden zu bewaffenen, sondern auch die Ermordung des kurdischen Bürgermeisters der Stadt Kirkuk geplant zu haben.

Washington ist sich seit letztem Jahr weitgehend unschlüssig darüber, welche Politik die USA künftig gegenüber der Türkei einschlagen sollen. Währen zwei so genannte "Think Tanks" - also Experten - Steven Simon und Jonathan Stevenson in der jüngsten Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift "Foreign Affairs" die Türkei nassforsch weiterhin als "einen Haupt-Verbündeten der USA" bezeichnen, werden in gebildeteren Zirkeln der amerikanischen Hauptstadt andere Überlegungen angestellt: Die derzeitige amerikanische Irak-Politik sei nicht hart und konsequent genug, um eine funktionierende demokratische Regierung aufzubauen. Vielmehr werden spätestens im nächsten Jahr Präsident Bush oder sein demokratischer Nachfolger im Irak "den Sieg erklären und gehen".

Solch eine Situation würde den Kurden in die Hände spielen, die die ganze Zeit still gehalten und die Amerikaner unterstützt haben. Die Amerikaner, so die Überlegungen weiter, werden die loyalen Kurden in ihrer Bestrebung nach Autonomie weiterhin unterstützen, auch weil Kurdistan möglicherweise ihre einzige Plattform im Irak bleiben wird, insbesondere da damit zu rechnen ist, dass im übrigen Irak zwischen Schiiten und Sunniten bürgerkriegsähnliche Konflikte ausbrechen werden.

Andererseits hat Ankara die Option, Luft aus dem Kurdenproblem zu nehmen, mit mehr Autonomie und indem es Handel zwischen den irakischen und türkischen Kurden fördert; gerade hier bietet die Europäische Union zahlreich funktionierende Beispiele. Damit würde die Westintegration der Türkei einen entscheidenden Schritt vorankommen. Die EU sollte sich nicht mehr lange zieren, die Türkei aufzunehmen, schon aus Sicherheitsinteressen. Josef-Thomas Göller

Der Autor berichtet regelmäßig für "Das Parlament" aus Washington.

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