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Gundel Köbke
Warum unsere Gesellschaft mehr Kinder
braucht
Die Politik hat doch nur indirekten Einfluss auf
die Familiengründung
Wir brauchen mehr Kinder, weil wir als
Gesellschaft sonst keine Zukunft haben - sagt der neue
Bundespräsident Horst Köhler. Weil eine Familie mit
Kindern ökonomisch Charme hat - sagt die
Bundesfamilienministerin. Weil sich Sozial- und Rentenversicherung
sonst nicht mehr bezahlen lassen - errechneten die Ökonomen.
Deutschland steht von insgesamt 190 Ländern bei der
Geburtenrate auf dem 185. Platz. Angesichts einer extrem niedrigen
Geburtenrate, die in Europa nur noch von dem angeblich so
kinderfreundlichen Italien, aber auch von einigen der neuen
EU-Beitrittsländer unterboten wird, fürchtet man vor
allem auch um den künftigen Wohlstand.
Ein Blick auf die Fakten: Der medizinische
Fortschritt macht es möglich, dass die Bürgerinnen und
Bürger immer älter werden, ohne dass das Verhältnis
zwischen Jung und Alt ausgeglichen werden kann. Vor 50 Jahren kamen
auf zwei Senioren elf jüngere Menschen, heute liegt das
Verhältnis bei etwa zwei zu sieben. Nach vorsichtigen
Schätzungen der Demographen werden in fünfzig Jahren auf
zwei alte Menschen, wenn die Geburtenrate weiter stetig sinkt, nur
noch vier junge kommen. Um die aktuelle Bevölkerungszahl zu
halten, müsste jedes deutsche Paar durchschnittlich also zwei
Kinder in die Welt setzen. Unser Nachbar Frankreich kommt - dank
kinder- und frauenfreundlicher Gesetze - immerhin auf 1,7 Kinder
pro Paar.
Wirtschaftliche Folgen
Die wirtschaftlichen Folgen sind bekannt: Die
Renten müssen über einen längeren Zeitraum
ausgezahlt werden, die größer werdende Last wird auf
immer weniger Schultern verteilt. Konkret bedeutet dies, dass in
Deutschland künftig weniger Wohnungen gebaut, weniger Autos
und Kühlschränke gebraucht und immer mehr Schulen
geschlossen werden, während der Bedarf im
Dienstleistungsgewerbe steigt: Die Zuwachsrate im Pflegesektor wird
auf ein Prozent jährlich geschätzt, da ein älterer
Mensch über achtmal mehr Krankheitskosten verursacht als ein
jüngerer.
Wie die Folgen der Alterung zu dämpfen
sind, wird hauptsächlich wirtschafts- und sozialpolitisch
diskutiert: Der Wirtschaftssachverständige Bert Rürup und
Bundesfamilienministerin Renate Schmidt haben Ende vergangenen
Jahres ein Gutachten zur "nachhaltigen Familienpolitik im Interesse
einer aktiven Bevölkerungsentwicklung" vorgestellt, das die
Bedingungen für die Familiengründung in Deutschland
überprüft und vor dem Hintergrund demographischer Trends
und ökonomischer Auswirkungen Leitlinien für eine
nachhaltige Familienpolitik entwickelt. Sie haben dabei eine neue
Formel kreiert, die Bevölkerungsschrumpfung,
Wirtschaftswachstumsraten und das Bruttosozialprodukt unter anderem
durch Zuhilfenahme eines Kapitalkoeffizienten ins Verhältnis
setzen und damit den ultimativen mathematischen Beweis erbringen
wollen, dass Wirtschaftswachstum und gesellschaftlicher Wohlstand
ohne Kinder nicht zu sichern sind.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass wir
unter anderem neue, betriebliche Konzepte brauchen, die ältere
Menschen und deren Kompetenzen gezielt einsetzen. Es plädiert
für eine gesteuerte Zuwanderung und eine stärkere
Erwerbsbeteiligung von Frauen, um den Arbeitskräftebedarf und
die Produktivitätsentwicklung auf mittlere Sicht abzusichern.
Das wichtigste jedoch sei eine Trendumkehr in der
Geburtenentwicklung. Begründet wird dies damit, dass für
den Staat und die Gesellschaft die so genannten "externen Effekte"
von Kindern relevant seien. Nicht die Schrumpfung als solche sei
also das Problem, sondern die zunehmende Alterung der
Bevölkerung. Dieses Problem sei auch nicht durch kluge
Sozial-, Bildungs-, Beschäftigungs- und Zuwanderungspolitik in
den Griff zu kriegen, sondern nur durch eine Erhöhung der
Geburtenrate und eine aktive Bevölkerungsentwicklung, denn
Deutschland sei nicht kinderfeindlich, sondern nur
"kinderfern".
An den bevölkerungspolitischen
Implikationen des Rürup-Gutachtens scheiden sich die Geister:
Tilman Mayer, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn,
hält es in einer von pro familia initiierten Debatte für
unseriös, den Gutachtern bevölkerungspolitisches Denken
unseligen Angedenkens zu unterstellen, "weil die zuständige
Ministerin, durchaus familienpolitisch-publizistisch ausgewiesen,
davon weit entfernt ist". Kritische Stimmen halten nichts von einer
ausschließlich ökonomisch orientierten Diskussion, die
eine verdeckte Bevölkerungspolitik betreibt. Die
Sachbuchautorin Claudia Pinl argumentiert in diesem Zusammenhang,
dass entgangenes Einkommen (vor allem der Mutter) oft schwerer
wiege "als zum Beispiel die Hoffnung, durch Kinder das eigene Leben
zu bereichern". Interessant auch die Beobachtung von Christian
Schmitt vom Berliner Wirtschaftsinstitut DIW, der herausfand, dass
Kinderlosigkeit bei Männern weiter verbreitet ist als bei
Frauen und dass die Wahrscheinlichkeit, als Mann mit über 45
erstmals Vater zu werden, gleich null ist. Die
Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Mechthild Jansen sieht eine
"Kapitalisierung der Kinder als Standortfaktor" voraus und
bezweifelt, dass die Alterung der Gesellschaft eine Katastrophe
sein soll: "Wenn das Leben sich verlängert, braucht eine
Gesellschaft schlichtweg weniger Kinder." Christel Riedel vom
Deutschen Frauenrat bemängelt an einer ausschließlich
ökonomischen Betrachtungsweise, dass die tatsächlichen
Wünsche der Menschen dabei zu wenig vorkommen. Wenn es so sei,
dass die meisten jungen Frauen sich Kinder wünschen und diesen
Wunsch mangels ausreichender Infrastruktur nicht nachgehen, dann
müsse sich hier etwas ändern.
Bundesfamilienministerin Renate Schmidt
zitierte bei der Zertifikatsverleihung zum Audit Beruf &
Familie Ende Juni in Berlin die Schweizer Prognos AG, die errechnet
habe, dass die durchschnittliche Rendite auf Investitionen in
Familienfreundlichkeit 25 Prozent beträgt und dass damit in
der Kosten-Nutzen-Relation der betriebswirtschaftliche Nutzen auch
kurzfristig betrachtet die Investitionen deutlich übersteigt:
"Familienpolitik ist ,harte' Wirtschaftspolitik, denn niedrige
Geburtenraten bedeuten schon heute niedrige Wachstumsraten und
werden nach Schätzungen der OECD ab 2005 dazu führen,
dass unser Wirtschaftswachstum auf 0,5 Prozent statt der
möglichen 2,3 Prozent absinken wird." Und weiter:
Familienpolitik sei auch "harte" Bildungspolitik, denn ohne
ausreichende und frühe Förderung in den Familien und
ausreichende Betreuungseinrichtungen könnten die
Zukunftschancen unserer Kinder nicht verwirklicht
werden.
Die Frage, ob mehr Kinder aus
ökonomischer Sicht das Wirtschaftswachstum sichern, scheint
also vordergründig leicht mit Ja zu beantworten zu sein. Eine
Studie des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und
demographischer Wandel (MEA) kommt jedoch zu einem
differenzierteren Ergebnis: Kurzfristig würde eine Steigerung
der Geburtenrate sogar zu mehr Kosten anstatt zum Anwachsen des
Bruttonationaleinkommens pro Kopf führen. Erst sehr
langfristig, das heißt, in den Jahren 2020 bis 2040 könne
sich der Effekt einer steigenden Geburtenrate bemerkbar machen -
allerdings nur dann, wenn es sich bei den Kindern, die dann zur
Welt kämen, um besser ausgebildete handelt, die als
produktives Humankapital Wirkung auf die Einkommen und die Arbeit
pro Kopf zeitigen.
Fest steht: Investiert werden muss auf jeden
Fall - vor allem in Erziehung, Bildung und Betreuung; Bereiche, in
denen die öffentlichen Aufwendungen für Kinder in
Deutschland im internationalen Vergleich beschämend niedrig
sind. Nach dem neuen "Tagesbetreuungsausbaugesetz" sollen die
selbst notleidenden Kommunen für die Vervierfachung der
Betreuungsplätze jährlich bis zu 1,5 Milliarden Euro
ausgeben. Investiert werden müsste nicht zuletzt in die
familiengerechte Veränderung der Arbeitsbedingungen in
Betrieben und Unternehmen, um eine bessere Vereinbarkeit von
Familie und Beruf zu bewirken. Unter dem Dach der "Allianz für
die Familie" sollen sich neuerdings mittelfristig starke Partner
aus Wirtschaft, Verbänden und Politik zusammenfinden, um
Initiativen für eine bessere Balance von Familie und
Arbeitswelt zu bündeln. Das Leitbildpapier dieser Allianz
basiert auf dem unermüdlich wiederholten Konsens, dass wir
eine höhere Geburtenrate, qualifizierte Arbeitsplätze,
mehr erwerbstätige Frauen und dass Kinder eine frühe
Förderung brauchen.
Das alles ist richtig, reicht aber sicher
immer noch nicht aus, damit Frauen überhaupt oder mehr Kinder
bekommen. Bei der Entscheidung für oder gegen ein Kind
zählen neben den subjektiven finanziellen und den
gesellschaftlich-ökonomischen Gründen zahlreiche nicht
berechenbare Motive und auch das Recht auf Familienplanung. Es
besagt, dass Frauen und Männer das Recht haben, über die
Zahl ihrer Kinder und den Zeitpunkt ihrer Geburt frei und
verantwortlich selbst entscheiden zu können und sich dabei
nicht unter Druck setzen zu lassen - auch nicht von einer
Gesellschaft, die um ihren materiellen Wohlstand fürchtet.
Wenn es stimmen sollte, dass nach einer US-Studie ein höheres
Einkommen weder mehr Sex noch mehr Sexualpartner verschafft,
müssen wir uns als Folge wohl mit sinkendem Einkommen und
weniger Wirtschaftswachstum einrichten.
Gundel Köbke ist freie Journalistin in
Berlin.
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