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Susie Reinhardt
In Zeiten der Bastelbiografie verzichten immer
mehr Frauen auf Nachwuchs
Wahlfreiheit mit Nebenwirkungen
Deutschland hat mit weniger als 1,3 Kindern pro Frau eine der
niedrigsten Geburtenraten in Europa. Inzwischen bleibt fast jede
Dritte des Jahrgangs 1965 kinderlos, unter Akademikerinnen sind es
bereits rund 40 Prozent, die nicht Mutter werden. Was sind die
Gründe?
Die Zeiten des Babybooms sind lange vorbei. Seit Mitte der
60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts fallen in vielen
europäischen Ländern die Geburtenraten steil ab. Die
Pille machte es Frauen möglich zu wählen, ob Sex zur
Mutterschaft führen soll oder nicht. Zudem leben wir in Zeiten
der Bastelbiografie. Der vorgezeichnete Lebensweg für Frauen
ist in unserer Gesellschaft Geschichte. Heute kann jede weitgehend
selbst bestimmen, ob sie ihre Kraft in Beruf, Familienleben,
politische Arbeit oder andere Interessen investieren
möchte.
Aber wie entsteht überhaupt der Kinderwunsch, und wann
setzen Menschen ihn in die Tat um? Die amerikanischen
Sozialpsychologen Hoffman und Hoffman entwickelten ein
Value-of-Children-(Kinderwert)- Modell, das diese Frage beantworten
soll: Zunächst einmal wirken äußere Einflüsse
wie die Haltung der Gesellschaft gegenüber Kindern,
Rahmenbedingungen und Barrieren sowie die finanzielle und soziale
Stellung auf die Entscheidung zur Familiengründung ein.
Wichtig ist außerdem der Wert, den Kinder für uns
persönlich bedeuten und die vermuteten "Kosten" der
Elternschaft (nicht nur die finanziellen). Dazu prüfen wir, ob
es Lebensbereiche gibt, die in Konkurrenz zum Kinderwunsch stehen.
Und schließlich spielt es eine Rolle, ob wir uns alternative
Lebensziele - also ein Leben ohne Nachwuchs - überhaupt
vorstellen können.
Harter Schnitt in der Biografie
Folgt man dieser Theorie, dann spricht für Frauen einiges
gegen Kinder. Das beginnt beim Wunsch nach beruflicher Entwicklung,
den viele hegen, der aber mit einer Mutterschaft heftig kollidiert.
Während für Väter trotz der Familiengründung
vieles beim Alten bleibt, bedeutet das Baby für die Mutter
einen harten Schnitt in der Biografie. Nicht einmal fünf
Prozent der Väter nehmen Elternzeit in Anspruch, informierte
die Bundesfamilienministerin Renate Schmidt im Juni 2004. Es sind
also weiterhin Mütter, die sich den Bruch in der beruflichen
Entwicklung zumuten. Viele verbringen Jahre in der Babypause,
einige finden nie zurück in den Beruf.
Aber das ist nicht alles. Sobald eine Mutter im Job aussetzt,
schleicht sich die traditionelle Rollenverteilung ein, wie
Familienforscher berichten. Bald ist eine Mutter für alle
ungeliebten, prestigearmen Hintergrundarbeiten zuständig, weil
sie ja sowieso zu Hause ist. Wenn sie statt des Computers die
Waschmaschine bedient, verdient sie kein eigenes Geld mehr, wird
finanziell vom Familienernährer abhängig. Als Betreuerin
des Babys wird sie in ihrer Selbstbestimmung stark
eingeschränkt, im flexiblen und mobilen Lebensstil
behindert.
Zu diesen "Kosten" der Elternschaft kommen schlechte Nachrichten
aus der Familienforschung. Kinder sind ein Risiko für die
Partnerschaft, legt eine Studie der Forscher Fthenakis, Kalicki und
Peitz nahe: Danach sprechen Paare ab dem letzten Drittel der
Schwangerschaft immer weniger miteinander. Und wenn, dann
drücken sie darin immer seltener Zuneigung oder
Wertschätzung für den anderen aus. Streits werden
häufiger und heftiger. Aktuelle Studien über Paare mit
und ohne Kind belegen, "dass die Verschlechterung der
Partnerschaftsqualität durch die Geburt des ersten Kindes
deutlich beschleunigt wird", so die Wissenschaftler.
Wenn Elternschaft zu viele Nachteile bringt, werden Menschen
keinen Kinderwunsch entwickeln oder nach reiflichen
Überlegungen auf Nachwuchs verzichten, erklärt das
Value-of-Children-Modell. Wir wissen aber nicht, was die Zukunft
bringt. Entscheidend ist daher, welche Lebensveränderungen wir
durch Kinder vermuten und ob wir glauben, dass uns ein
Familienleben glücklich machen wird. Es geht also um
persönliche Vorteile, die sich Menschen durch Kinder - oder
eben durch Kinderlosigkeit - erhoffen. Dass Kinderlose als Egoisten
gelten, ist ein altes Vorurteil, das sich bis heute hält.
Dabei offenbart eine psychologische Studie, dass Frauen ebenso
eigennützige Ziele mit der Mutterschaft verfolgen. Beide, die
Kinderlose und die angehende Mutter, verbinden nämlich ihre
Entscheidung in der Kinderfrage mit der Suche nach
"Selbstverwirklichung". Mütter sagen ja zum Kind, weil sie das
Baby als Vehikel für dieses Ziel betrachten; Kinderlose
entscheiden sich gegen das Kind, weil sie den Nachwuchs als
Hemmschuh für die eigene Entwicklung einschätzen.
Nun sind nicht alle Motive zur Familiengründung wohl
überlegt und rational gesteuert. Frauen entscheiden die
Kinderfrage auch durch einen inneren Vergleich mit der eigenen
Mutter, stellt die Psychologin Christine Carl fest. Ebenso
können Botschaften aus der Herkunftsfamilie Frauen in Richtung
pro Kind lenken (Kinder sind das höchste Glück einer
Frau!) oder sie contra Kind beeinflussen (Sei nie von einem Mann
abhängig!). Die Herkunftsfamilie, Freunde und Bekannte,
häufig auch Frauenärzte, nehmen außerdem indirekt
Einfluss, indem sie nachfragen, ob denn schon was "unterwegs" ist,
auf die biologische Uhr hinweisen oder berichten, wie sehr Kinder
das Leben bereichern.
In ihrer Studie über gewollt Kinderlose stieß die
Psychologin Carl auf drei verschiedene Typen von Frauen, die aus
unterschiedlichen Gründen auf Nachwuchs verzichten: Die
Frühentscheiderinnen kennen gar keinen Kinderwunsch. Sie
fällen schon in jungen Jahren ihr Votum kontra Mutterschaft
und lassen sich in der Kinderfrage auch nicht vom Partner
umstimmen, falls dieser Kinder möchte. Meist benutzen sie sehr
sichere Verhütungsmittel. Einige befürchten, dass Kinder
sie in ihrer Selbstverwirklichung gefährden, manche zweifeln
an der eigenen Fähigkeit zur Erziehung, viele legen
großen Wert auf ihren Beruf.
Die Spätentscheiderinnen wollen zunächst Mutter
werden, zögern den Zeitpunkt für eine Schwangerschaft
aber immer wieder hinaus. Um Mitte 30 ändern sie ihre Meinung
und entscheiden sich gegen die Mutterschaft, oft nach langem
Überlegen und Hadern. Eigene Kinder kollidieren für sie
nicht nur mit beruflichen Wünschen. Sie möchten
außerdem die gute Partnerschaft nicht durch Nachwuchs
gefährden. Carl vermutet, dass bei diesen Frauen der
Kinderwunsch vor allem gesellschaftlich geprägt ist.
Andere Kinderlose finden, dass ihnen zur Familiengründung
hauptsächlich der passende Partner fehle. Die Aufschieberinnen
geben an, sich Kinder zu wünschen - und tun trotzdem vieles,
um keine zu kriegen. Anders als die Spätentscheiderinnen
ändern sie aber ihre Meinung nicht. Bei ihnen wird die
Kinderfrage schließlich durch die biologische Uhr entschieden.
Als Grund, warum sie kinderlos geblieben sind, nennen sie
retrospektiv, und fast immer ohne Reue, die äußeren
Umstände.
Die Entscheidung in der Kinderfrage ist also von
vielfältigen Einflüssen und Faktoren abhängig.
Egoismus, Beziehungsunfähigkeit oder der Wunsch als
Doppelverdienerpaar (DINKS) ein Leben in Luxus zu führen, sind
häufige Vorurteile gegen Kinderlose - aber selten die wahren
Motive. Wenn Frauen heute nicht Mutter werden wollen, dann weil sie
gar keinen Kinderwunsch kennen und schon immer andere
Lebenspläne verfolgt haben. Oder weil sie, trotz
Nachwuchswünschen, meinen, dass die Schattenseiten der
Mutterschaft überwiegen: Stattdessen wollen sie sich dem Beruf
oder anderen Interessen widmen, unabhängig und selbstbestimmt
leben, ungestörte Zweisamkeit in der Partnerschaft
genießen und diese mit einer modernen Rollenverteilung
führen.
Der Glaube an den Mythos, dass eine Frau erst durch ein Kind ein
vollständiges Wesen ist, bröckelt. Auch wenn Mutterschaft
immer noch das Normschicksal einer Frau ist - beginnen sich andere
weibliche Lebensentwürfe zu etablieren. Kinder oder keine?
Frauen dürfen selbst wählen, schließlich müssen
sie mit der Entscheidung leben. Susie Reinhardt
Susie Reinhardt ist Diplom-Psychologin. Sie arbeitet als freie
Journalistin und Autorin in Hamburg.
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