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Eva Wunderer
Warum immer mehr Ehen in Scheidung enden
Mit Toleranz im Gepäck für die
wichtigste Entdeckungsreise des Menschen
Die Ehe ist "der Versuch, zu zweit wenigstens
halb so glücklich zu werden, wie man allein gewesen ist". So
die ernüchternde Beschreibung des irischen Schriftstellers
Oscar Wilde - und die Statistik scheint ihm Recht zu geben. Die
Zahl der Eheschließungen fällt seit Jahrzehnten, die der
Scheidungen steigt.
Rund ein Drittel der heute in Deutschland
geschlossenen Ehen wird voraussichtlich in Trennung und Scheidung
enden. Soziologen gehen davon aus, dass der Anteil derjenigen
Bundesbürger, die niemals in ihrem Leben heiraten, in Zukunft
40 Prozent und mehr erreichen wird. Als Grund wird der soziale und
historische Wandel angeführt: Frauen sind stärker am
Erwerbsleben beteiligt und damit unabhängiger von ihren
Männern, uneheliche Kinder sind kein Makel mehr, zusammenleben
können Mann und Frau problemlos auch ohne Trauschein, wobei es
schwieriger wird, einen gemeinsamen Wohnsitz zu finden, da gerade
von jungen Erwerbstätigen Mobilität und Flexibilität
verlangt werden. Und: Es gibt immer weniger Kinder, was sich
unmittelbar auf die Eheschließung auswirkt, denn diese, so die
These der Familiensoziologin Rosemarie Nave-Herz, ist
kindorientiert. Geheiratet wird demnach, wenn ein Kinderwunsch
vorhanden, das Kind bereits unterwegs oder gar schon geboren
ist.
Freilich gibt es noch andere Gründe
für eine Heirat: den Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit,
das Gefühl, erst dann ein richtiges Familienleben zu
führen und Steuervorteile. Für mehr als
90 Prozent junger Ehepaare ist schlicht und
ergreifend ihre gegenseitige Liebe der Grund, die Ringe zu
tauschen. Doch die Ehe erscheint weniger notwendig, manchem fast
antiquiert - und ein Garant für eine sichere, stabile Zukunft
zu zweit ist sie längst nicht mehr. Die steigenden
Scheidungszahlen führen Soziologen unter anderem auch auf die
zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen zurück, die es
ihnen ermöglicht, nach einer Trennung ihren Lebensunterhalt zu
sichern. Dadurch senkt sich die Trennungsbarriere. Ein
ähnlicher Kreislauf zeigt sich bei den Investitionen in die
Ehe: Wird wenig investiert, um den Verlust im Falle einer Scheidung
zu minimieren, fällt diese leichter.
Scheidungen gehören gerade in
Großstädten fast schon zum normalen Beziehungsalltag. Die
Chancen, danach wieder einen Partner zu finden, stehen nicht
schlecht - schließlich gibt es genügend andere
Geschiedene. Diskutiert wird ferner eine Art "Vererbung" des
Scheidungsrisikos: So haben junge Menschen, die aus
Scheidungsfamilien stammen, beispielsweise weniger Vertrauen in die
Zukunft ihrer eigenen Ehe. Die Bereitschaft, eine langjährige
Beziehung oder auch eine Ehe aufzulösen, steigt - nicht
umsonst spricht man vorsorglich nur mehr vom
Lebensabschnittsgefährten.
Und dennoch schritten im Jahr 2003 knapp
383.000 Paare in Deutschland vor den Traualtar. Warum? Macht Liebe
blind? Nun, zumindest gibt es tatsächlich so etwas wie die
"rosarote Brille", und in der Regel wirkt sie sich positiv auf die
Partnerschaft aus - gerade zu deren Beginn. So
überschätzen in ihrer Beziehung glückliche Frauen
und Männer ihren Partner, stellen ihn positiver dar als er
sich selbst. Zugleich unterschätzen sie das Risiko, dass die
eigene Partnerschaft in Trennung und Scheidung enden wird,
systematisch, obwohl ihnen die entsprechenden Statistiken
geläufig sind. Dabei sind die Partner durchaus anspruchsvoll.
In einem Forschungsprojekt "Was hält Ehen zusammen" an der
Münchner Ludwig-Maximilians-Universität wurden im Jahr
2001 663 Ehepaare befragt, die damals im Schnitt bereits 27 Jahre
verheiratet waren. Es zeigte sich, dass glückliche Partner
viel voneinander fordern, was Gemeinsamkeit, Gleichberechtigung und
Investition in die Beziehung angeht, sich dann aber auch
entsprechend engagieren und unterstützen. Hohe Ansprüche
sind also keineswegs Gift für die Beziehung. Jedoch lässt
sich auch bei noch so gutem Willen und Einsatz nicht alles
erreichen und verändern. So nannten die Befragten Toleranz und
Akzeptanz als wichtigste "Zutat" ihres "Ehe-Erfolgsrezepts"
(genannt von 32 Prozent der Befragten). Vertrauen, Offenheit,
Ehrlichkeit folgten an zweiter (30 Prozent), Liebe und Zuneigung an
dritter Stelle (28 Prozent). Wichtig waren den Ehepartnern zudem
konstruktive Konfliktlösung und Kommunikation (25 Prozent),
gemeinsame Interessen, Hobbys und Freunde (20 Prozent) sowie
Solidarität und gegenseitige Unterstützung (19 Prozent).
Die lebenslange Verantwortung für Kinder und Enkelkinder
nannten 14 Prozent der Befragten als wichtige "Zutat" ihres
"Ehe-Rezeptes". In der Tat wirken sich Kinder insgesamt
stabilisierend auf die Ehe aus, die Ehezufriedenheit von Partnern
mit Kindern fällt allerdings in vielen Phasen des
familiären Lebenslaufs eher geringer aus als derjenigen von
kinderlosen Paaren.
Natürlich muss eine Krise nicht gleich
zur Trennung führen. Sie kann auch als Herausforderung
verstanden werden, sich noch einmal zusammenzutun und gemeinsam
für die Zukunft der Partnerschaft und der Familie zu
kämpfen. Dabei spielen grundsätzliche Überzeugungen
über das Wesen, die Natur von Beziehungen eine wichtige Rolle,
denn wer Beziehung als Schicksal sieht - unter dem Motto: Zwei
Partner finden sich und passen zueinander oder eben nicht - wird
wenig Hoffnung auf Veränderung haben. Wichtig für
dauerhaftes Beziehungsglück ist, daran zu glauben, dass
Partnerschaften wachsen und reifen können, gerade auch an
Herausforderungen und Krisen. In der Befragung im Forschungsprojekt
"Was hält Ehen zusammen?" stellten sich diejenigen
Langzeitehepaare als am zufriedensten heraus, die sowohl an das
Schicksal als auch an das Wachstum von Beziehungen glaubten, also
der Meinung waren, eine gewisse "Passung" müsse schon von
Anfang an vorhanden sein, die Partnerschaft könne sich aber
weiterhin verändern und anpassen. Ein romantisches
Beziehungsideal wird sich demnach vor allem dann negativ auswirken,
wenn es für sich steht, wenn nach der "Liebe auf den ersten
Blick" wenig Chancen für eine gemeinsame Entwicklung gesehen
werden. Dann liegt bei Schwierigkeiten der Weg aus dieser in die
nächste Partnerschaft, zum nächsten vermeintlich besser
passenden Partner nahe.
Gegenseitige Unterstützung
Ausschlaggebend dafür, ob eine Ehe
hält oder nicht, ist neben der Art, in und über die
Beziehung zu denken, freilich auch das Verhalten in dieser. Dass
konstruktive Kommunikations- und Konfliktlösefertigkeiten
sowie gegenseitige Unterstützung in Stresssituationen eine
wichtige Rolle spielen, ist hinreichend belegt und bildet die Basis
verbreiteter Präventionsprogramme, die auf das (Ehe-)Leben zu
zweit vorbereiten wollen. Zentral ist, wie die Forschung des
amerikanischen Paarforschers John Gottman ergab, vor allem das
Verhältnis positiver und negativer Verhaltensweisen in einer
Partnerschaft. Soll die Beziehung von Dauer sein, darf dieses
Verhältnis den Wert 5:1 nicht wesentlich unterschreiten. Das
bedeutet: Ein negatives Ereignis muss also mit fünf positiven
aufgewogen werden.
Die hohe Zufriedenheit vieler langjährig
verheirateter Paare zeigt, dass die Ehe kein Auslaufmodell sein
muss, vielmehr nach wie vor ein Modell mit (lebens)langer Laufzeit
sein kann. Mit Wertschätzung, Komplimenten und aufmerksamen
Gesten, mit konstruktiver Konfliktlösung, gegenseitiger
Unterstützung, dem Glauben an das Wachstum der Beziehung und
einer gehörigen Portion Toleranz im Gepäck können
sich Paare also auch heutzutage guten Mutes aufmachen in die Ehe,
jene, so der dänische Theologe und Philosoph Sören
Kierkegaard, "wichtigste Entdeckungsreise, die der Mensch
unternehmen kann".
Dr. Eva Wunderer ist Diplompsychologin und
wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Forschungsprojekt "Was
hält Ehen zusammen" an der Ludwig-Maximilians-Universität
München.
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