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Stephan Lüke
2003 wuchs jedes fünfte Kind in einer
Ein-Eltern-Familie auf
Lebensbewältigung mit guten sozialen und
formellen Netzwerken
Es ist eine beglückende Erfahrung, nach einer
Übergangszeit feststellen zu können: Ich bin
alleinerziehend und mir und meinem Kind geht es gut." Erika S.
steht mit dieser Aussage nicht alleine da. Forscher halten fest,
dass es etwa einem Drittel der 2,5 Millionen Alleinerziehenden in
Deutschland gut geht. Sie und ihre Kinder unterscheiden sich in
ihrem Wohlbefinden nicht von vergleichbaren Paarfamilien. Ein
weiteres Drittel kommt zwar auch ganz gut klar, kämpft aber
vor allem mit zeitlich unzureichender Kinderbetreuung, den Folgen
keiner oder nur geringfügiger Erwerbstätigkeit, fehlendem
Unterhalt oder ständigen Auseinandersetzungen mit dem anderen
Elternteil. Zu den Familien in prekären Lebenslagen zählt
das letzte Drittel: Hier summieren sich mehrere Faktoren, zu denen
oftmals noch Krankheit, psychische Instabilität und - aus
dieser Kumulation resultierende - Auffälligkeiten der Kinder
hinzukommen.
Bis in die 80er-Jahre interessierten sich Wissenschaftler wie
Medien eher für die vermeintlichen Defizite von
Einelternfamilien. Inzwischen sieht man sie differenzierter und hat
vermehrt ihre Stärken im Blick. So beschreiben die Psychologen
Matthias Ochs und Rainer Orban in ihrem Buch "Was heißt schon
Idealfamilie?" die besonderen Fähigkeiten allein erzogener
Kinder. Sie beobachteten, dass diese besonders
verantwortungsbewusst sind und "über eine große
Bandbreite sozialer Kompetenzen verfügen".
Andrea F.: "Ich habe schon zwei Jahre gebraucht, bis ich die
endgültige Trennung richtig überwunden hatte. Es kriselte
schon seit längerem. Aber als mein Mann dann auszog, hatte ich
zunächst große Zweifel, ob das alles so richtig war. Zum
Glück hatte ich auch während unserer Ehe weiter als
Krankenschwester gearbeitet, wenn auch eingeschränkt. Jetzt
habe ich meine Stundenzahl aufgestockt und zusammen mit dem
Unterhalt kommen wir einigermaßen über die Runden.
Große Sprünge sind nicht drin und Urlaube fallen zurzeit
noch flach. Wichtiger ist mir, dass wir nun wieder ein schönes
Zuhause haben und die Kinder fröhlich sind. Ich finde sogar,
sie sind viel selbständiger geworden."
Viele Frauen nehmen, wenn der Schmerz der Trennung
überwunden ist, ihr Leben voller Energie wieder in die Hand.
Auf das Wohl ihrer Kinder bedacht, absolvieren sie ein enormes
Pensum: Sie sichten die Finanzen, führen - wenn nötig -
Gespräche mit den Banken, begeben sich auf die Suche nach
einer Arbeitsstelle, nach einer Kinderbetreuung mit längeren
Öffnungszeiten oder verhandeln mit ihrem Arbeitgeber
darüber, ob sie ihre Arbeitszeiten ändern können.
Sie nehmen Kontakt zu Beratungsstellen auf, informieren sich
über Unterhalts-, Sorgerechts- und Umgangsfragen und
müssen oftmals kräftezehrende Auseinandersetzungen der
Anwälte überstehen. Häufig steht ein Umzug an, wenn
die alte Wohnung oder das Haus zu teuer geworden sind. Die Suche
nach einer bezahlbaren Unterkunft, ohne dass die Kinder
Kindergarten oder Schule wechseln müssen, ist ebenfalls eines
der typischen Probleme, die Alleinerziehende zu bewältigen
haben.
Gisela Z. erzählt: "Die erste Zeit nach der Trennung war
hart. Heute bin ich stolz darauf, dass wir so einen reibungslosen
und harmonischen Alltag haben. Ich denke, ich habe mir sehr viel
Mühe gegeben, dass mein Sohn einen guten Kontakt zu seinem
Vater aufbauen konnte. Das war sehr anstrengend, aber es hat sich
gelohnt. Unser Alltag läuft nach ganz bestimmten Regeln ab.
Wenn Niklas aus dem Hort kommt und ich von der Arbeit, trinken wir
zum Beispiel erst einen Kakao zusammen und erzählen vom Tag,
bevor ich die Hausarbeit erledige und Niklas zum Spielen geht. Wir
haben oft andere Kinder in der Wohnung, und das finde ich für
uns beide sehr schön. Meine Freundinnen haben mir von Anfang
an sehr geholfen und springen auch jetzt noch ein, wenn ich
länger arbeiten muss oder mal ins Kino möchte und mir
keinen Babysitter leisten kann."
Ein gut ausgebautes soziales Netz, wie Gisela Z. es beschreibt,
ist ein wesentlicher Faktor dafür, dass Eltern und Kinder nach
einer Trennung nicht in ein emotionales Loch fallen oder im
alltäglichen Chaos versinken. "Die Pflege von sozialen und
informellen Netzwerken (wie Freundschaften, Nachbarschaften,
Verwandtschaften) ist neben der Nutzung von formellen Netzwerken
(zum Beispiel Ämter oder Beratungsstellen) äußerst
ertragreich für die Ratio- und Gefühlswelt." Das
beobachtete Veronika Hammer von der Universität Erfurt, als
sie die Lebenslage Alleinerziehender genauer unter ihre
wissenschaftliche Lupe nahm. Anders formulieren es Monika Czernin
und Remo H. Largo in ihrem Buch "Glückliche Scheidungskinder":
"Gefühle gehen gewissermaßen ungebremst auf das Kind
über. (...) Deshalb sind andere Bezugspersonen für Kinder
so wichtig, die helfen, das emotionale Gleichgewicht immer wieder
herzustellen. (...) Eltern in Trennung und Scheidung brauchen
Erwachsene, die sie zeitlich entlasten und mithelfen, die
emotionalen Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen."
Allein zu erziehen ist zumindest eine Zeitlang eine gute
Alternative. So empfinden es viele Eltern, die sich nach oft
jahrelangen zermürbenden Streitereien auf eine Trennung
einigen. Gelingt es ihnen, die Bedürfnisse der Kinder sowie
ihre eigenen im Blick zu behalten und einen gut strukturierten
Alltag aufzubauen, so steht einem gesunden Familienklima nichts im
Wege. Inzwischen häufen sich die Beobachtungen von Fachleuten,
dass eine saubere Trennung für die Ausgeglichenheit von Eltern
und Kindern wirkungsvoller sein kann als das Verharren in einer
unzufriedenen Familie. 2003 wuchs jedes fünfte Kind in einer
Einelternfamilie auf. Zu rund 85 Prozent bleiben die Kinder bei den
Müttern. Henning Dimpker, Mitglied im
nordrhein-westfälischen Landesvorstand des Verbandes
alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV),
gehört zu den wenigen Ausnahmen. Er erzieht seine beiden
Töchter allein und weiß, dass Kindererziehung und
Haushaltsführung mit der klassischen männlichen
Erwerbsbiografie nur schwer in Einklang zu bringen sind. "Das ist
einer der Gründe, warum Väter sich nach einer Trennung
schwer damit tun, die Kinder zu sich zu nehmen."
Peggi Liebisch, Bundesgeschäftsführerin des VAMV mit
Sitz in der Hauptstadt, hält fest: "Einelternfamilien sind
eine Familienform unter vielen geworden. Sie wird von einem
großen Teil der Mütter und Väter sehr selbstbewusst
gelebt. Erschwert wird ihnen dies jedoch durch eine Politik, die
die Erwerbstätigkeit von Eltern grundsätzlich vor
Probleme stellt. Wir fordern deshalb seit Jahren
flächendeckend Ganztagsschulen und einen Rechtsanspruch auf
ganztägige Kinderbetreuung." Stephan Lüke
Stephan Lüke ist freier Journalist in Bonn.
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