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Das Parlament
Nr. 33-34 / 09.08.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Berd Eggen

Neue Facette in einer Vielfalt von Familiennormen

Leben unterm Regenbogen
Keine andere private Lebensform löst solche heftigen Emotionen und ideologisch begründeten Diskussionen aus wie die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft mit Kindern. Immerhin stehen tief sitzende Überzeugungen unserer Kultur zur Diskussion und damit zur Disposition; es sind kulturelle Gewissheiten über Geschlecht, Sexualität, Ehe und Elternschaft. Im Kern des Streites stehen die persönlichen Entwicklungen des Kindes und die Eigenschaften der Eltern.

Die einen wehren sich gegen die rechtliche Angleichung bei Heirat, elterlicher Sorge, Adoption und Pflegschaft, weil sie vor allem um das Wohl der Kinder fürchten. In ihren Augen brauchen Kinder für ihre Entwicklung eine Mutter und einen Vater, die miteinander verheiratet sind. Bereits die "Vaterlosigkeit" der Kinder, die von ihren Müttern allein erzogen werden, betrachten sie als problematisch für die Entwicklung des Kindes. Erst recht stellten homosexuell orientierte Eltern eine unverhältnismäßig hohe Gefahr für das Kind dar. Homosexualität wird dabei häufig als Krankheit oder Sünde begriffen. Kinder von homosexuell orientierten Eltern hätten deshalb zum einen Schwierigkeiten mit der Entwicklung ihrer sexuellen Identität, die Aspekte wie Geschlechtsidentität, Geschlechtsrollenverhalten sowie sexuelle Orientierung umfasst. Es wäre daher auch wahrscheinlicher, dass die Kinder selbst homosexuell werden. Zum anderen bestünde die erhöhte Gefahr psychischer Instabilität mit entsprechenden Verhaltens- und Entwicklungsstörungen.

Was ist das Maß für Elternschaft?

Darüber hinaus hätten sie Probleme in sozialen Beziehungen; besonders wären sie der Stigmatisierung durch gleichaltrige Freunde ausgesetzt. Die Eigenschaften der Eltern werden ebenso skeptisch beurteilt. Sie gelten als grundsätzlich unfähig, Eltern sein zu können. Sie wären psychisch labiler als heterosexuell orientierte Eltern, und ihr Erziehungs- und Partnerschaftsverhalten wäre alles andere als vorteilhaft für die Entwicklung des Kindes. So fehlte homosexuellen Eltern jegliche kultivierende Beziehungsfähigkeit, aber dafür wären ihnen hybride, aggressive und perverse Züge grundsätzlich eigen.

Oder man unterstellt Promiskuität der Eltern und befürchtet, dass vor allem homosexuelle Väter ihre Kinder sexuell belästigen und missbrauchen. Ausgenommen der möglichen Stigmatisierung durch die soziale Umwelt der Eltern und Kinder fehlt jedoch allen diesen Behauptungen und Befürchtungen jegliche wissenschaftliche Grundlage.

Allerdings bewegen sich nicht nur die Gegner einer rechtlichen Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften und Verfechter scheinbar traditionaler Familienwerte auf ideologischem Glatteis. Auch bei den Befürwortern der rechtlichen Gleichstellung trüben persönliche Weltanschauungen die Argumentation. Bis auf wenige Ausnahmen nehmen die Befürworter eine defensive Haltung ein. Sie akzeptieren heterosexuelle Elternschaft als "goldenes Maß" und prüfen, ob homosexuell orientierte Eltern und ihre Kinder dieses erreichen oder nicht. Dabei gilt es, möglichst deutlich erfolgreicher zu sein. Die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen kommen auch zu dem Ergebnis, dass es entweder keine Unterschiede geibt oder dass homosexuelle Mütter und Väter die besseren Eltern sind. Dies wird schließlich sichtbar im Begriff "Regenbogenfamilien". Er verweist auf Buntes, Fröhliches, Freundliches, Positives. Sie sind eben nicht nur anders als Ehepaare mit ihren Kindern. Die Unterschiede verweisen grundsätzlich auf Defizite und nicht auf eine familiale Vielfalt moderner Gesellschaften.

Bislang gibt es nur wenige aussagekräftige Studien, die über Auswirkungen homosexueller Lebensweisen der Eltern auf ihre Kinder berichten. Hinsichtlich möglicher Verhaltens- und Entwicklungsstörungen aufgrund der sexuellen Orientierung der Eltern gibt es keine Unterschiede zwischen Kindern in gleichgeschlechtlichen und verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Beispielsweise sind Kinder und Jugendliche homosexueller Eltern genauso oft heterosexuell orientiert wie Kinder heterosexueller Eltern. Homosexuelle Eltern zeigen in keiner Weise häufiger Verhaltensstörungen als heterosexuelle Eltern.

Nicht die sexuelle Orientierung, sondern das Geschlecht homosexueller Eltern scheint auf Einstellungen und Verhalten von Kindern zu wirken. So weisen wohl vor allem Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften von zwei Frauen heranwachsen, seltener ein geschlechtstypisches Rollenverhalten auf als Kinder heterosexueller Eltern.

Gleichwohl unterliegen Kinder homosexueller Mütter und Väter Diskriminierungen und Stigmatisierungen durch ihre soziale Umwelt, die Einstellungen und Verhalten der Kinder beeinflussen können. Hierzu gehören die familienrechtlichen und politisch-rhetorischen Diskriminierungen ebenso wie die Stigmatisierungen etwa durch Peergroups. Die Kinder können unter diesen Diskriminierungen und Stigmatisierungen leiden. Um deshalb nicht selbst als homosexuell zu gelten, scheinen besonders Kinder in der Pubertät die Homosexualität ihrer Eltern gegenüber Gleichaltrigen zu verbergen oder es zu missbilligen, wenn die Eltern ihre sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit zeigen. Insgesamt jedoch treten wohl die Kinder mit einer erstaunlichen psychischen Stärke diesen Stigmatisierungen entgegen.

Die Kinder sind wohl eher offener gegenüber Homosexualität und möglichen eigenen homosexuellen Erfahrungen als andere Kinder, ohne deshalb selbst homosexuell zu sein. Grundsätzlich scheinen sie ihre sexuelle Orientierung reflektierter zu erleben.

Die Betonung der Unterschiedslosigkeit von Kindern aus homo- und heterosexuellen Familien dürfte auf lange Sicht an der Realität vorbeigehen und auch politisch in die Irre führen. Denn Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften heranwachsen, können sich anders entwickeln und anders verhalten als Kinder heterosexuell orientierter Eltern.

Diese möglichen Unterschiede in der Entwicklung und im Verhalten sind zunächst schlichtweg nur Unterschiede und keine Defizite. Es sind Unterschiede etwa aufgrund sozialer Vorurteile, politischer Unterlassungen oder nur solche Unterschiede, die eine moderne, demokratische Gesellschaft auch bei anderen respektiert und schützt.

Die Datenlage über Kinder und Elternschaft im Zusammenhang mit gleichgeschlechtlichen Lebensweisen ist sehr dürftig. Es fehlt bereits an grundlegenden statistischen Informationen. So wissen wir nicht, wie viele Kinder in Deutschland homosexuelle Eltern haben, wie viele von den Kindern bei ihnen leben und in welchen Familienformen.

Von den 52.300 gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften in Deutschland sind mindestens 7.300 Familien mit mindestens 10.600 Kindern. Jedoch dürften wesentlich mehr Kinder bei gleichgeschlechtlich orientierten Eltern leben. Unbekannt bleiben die Kinder, deren Eltern sich nicht offen als gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften zu erkennen geben. Zudem fehlen die Kinder allein erziehender homosexueller Mütter und Väter. Schließlich fehlen auch die Kinder von homosexuell orientierten Eltern, die weiterhin in einer heterosexuellen ehelichen oder nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben. Doch ungeachtet der tatsächlichen Zahl wachsen vergleichsweise nur sehr selten Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft heran. Von den rund 21 Millionen Kindern in Deutschland ist es deutlich weniger als ein halbes Prozent. Ihre Lebenslagen ähneln eher den Kindern nicht ehelicher heterosexueller Lebensgemeinschaften als denen ehelicher Lebensgemeinschaften. Drei von vier Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften sind unter 18 Jahren, zwei von drei sind 14 Jahre und jünger. Mehr als die Hälfte der Kinder hat Geschwister, die auch in der Lebensgemeinschaft leben. Die relativ junge Altersstruktur der Kinder zeigt sich auch am Schulbesuch. Etwas mehr als zwei Drittel von ihnen gehen zur Schule. Die Kinder wohnen mit ihren Eltern überwiegend in Gemeinden bis 50.000 Einwohnern, also in kleineren Gemeinden. Zwei Drittel der Kinder haben einen nicht ledigen Elternteil. Die Mutter oder der Vater des Kindes ist geschieden, verwitwet oder verheiratet, aber wohnt nicht mehr bei ihrem bzw. seinem einstigen Ehepartner. So wächst nur eine Minderheit der Kinder in Lebensgemeinschaften auf, in denen beide Partner ledig sind. Die Kinder leben sowohl bei homosexuellen Müttern als auch bei homosexuellen Vätern.

Die Eltern sind im Schnitt Mitte bis Ende 30. Das Bildungsniveau homosexueller Eltern gleicht dem heterosexueller Eltern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Sie verfügen im Mittel über einen höheren Schulabschluss als verheiratete Eltern. Die meisten Kinder haben Eltern, die beide erwerbstätig sind. Allerdings wächst auch etwa ein Drittel der Kinder in Familien heran, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist. Diese unterschiedliche Aufgabenwahrnehmung ist in Familien homosexueller Mütter ebenso zu beobachten wie in Familien homosexueller Väter. Und hier unterscheiden sich doch homosexuell orientierte Eltern von heterosexuell orientierten Eltern. Denn in ehelichen, aber auch in nichtehelichen heterosexuellen Lebensgemeinschaften ist es, wenn nur einer erwerbstätig ist, überwiegend der Vater, also der Mann.

Bernd Eggen, Diplom-Soziologe und Diplom-Sozialpädagoge, ist Mitarbeiter an der Familienwissenschaftlichen Forschungsstelle des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg in Stuttgart.

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