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Eckhard Stengel
"Enweder kommt die Arbeit zu kurz oder das Kind -
und die Partnerschaft sowieso"
Nichts für Perfektionisten: Wie allein
erziehende Väter ihren Alltag meistern
Mein Sohn sitzt gerade auf dem Töpfchen, und ich habe
endlich Zeit, mal kurz in die Zeitung zu schauen. Erstaunlich, was
die Kollegen so schreiben: "Der Münchner Pipi-Verlag feiert
heute seinen 100. Geburtstag." Oh, das war wohl ein Freudscher
Verleser. Als Vater denkt man eben eher an Pipi und Kacka als an
Piper und Kafka.
Eltern sein und trotzdem berufstätig - das ist auch
für Männer ein mittleres Abenteuer. Immer wieder bietet
es neue Überraschungen und erfordert logistische
Meisterleistungen. Vor allem, wenn die Bazillen zuschlagen. Statt
die neuesten Pressemitteilungen zu studieren, forsche ich dann
lieber nach der Inkubationszeit von Windpocken. Alle Räder
stehen still,
wenn's die Kinderkrankheit will!
Während ich diese Zeilen schreibe, sitzt mir gerade mein
Sohn im Nacken. Das tut er oft im übertragenen Sinne: Da will
er unbedingt einen Lego-Turm mit mir bauen, während ich
unbedingt meinen Turm unerledigter Arbeiten um zumindest eine Etage
verkleinern möchte. Heute aber turnt er real auf meinem Nacken
herum und bringt den gut gefederten Schreibtisch-stuhl in
rhythmische Wallungen. Der Inhalt seiner Triefnase ergießt
sich auf meinen Pullover. Denn Junior ist leider krank - zu krank
für den Kindergarten, aber nicht krank genug fürs Bett.
Also wurde morgens schnell ein Notfallplan konzipiert. Man
könnte ihn "E-PaBü-OuO" nennen: Zunächst kommt der
Verschnupfte mit zum Einkaufen, dann in Papas Büro, und
mittags springen Oma und Opa ein. Nachmittags übernimmt dann
Mama den Kleinen, wenn sie auf ihrer Teilzeitstelle Feierabend
macht. Es gibt noch viele andere Notfallpläne - zum Beispiel
"PaBü-MaBü-E". Man muss eben flexibel bleiben. Sehr
passend, dass eine Bremer Zeitung neulich in einer Beilage
über Logistikbetriebe auch eine Familie mit ihrem
ausgeklügelten Tagesablauf vorgestellt hat.
Dabei haben meine Frau und ich es noch gut: Wir sind zu zweit.
"Zwei gegen einen" ist zwar eigentlich unfair, aber dank unserer
Überzahl haben wir gute Chancen, die kindliche Trotzphase zu
überstehen, die bekanntlich von null bis 20 dauert (Jahre,
nicht Monate!). Als Alleinerziehender würde ich mich
hoffnungslos überfordert fühlen.
Ein unbedingtes Muss für uns Eltern ist Hilfe von
außen: Neben Freunden und Verwandten brauchen wir
Krabbelgruppen, Kindergärten und Ganztagsschulen. Vor allem in
kleineren Orten herrscht da noch einiger Nachholbedarf. Etwas mehr
Staatsknete wäre auch nicht schlecht - und die
Möglichkeit, unsere Kosten voll von der Steuer abzusetzen.
Denn Kinder sind uns nicht nur lieb, sondern auch teuer. Mit
Entsetzen habe ich unserem jüngsten Steuerbescheid entnommen,
dass von unseren Kindergartenbeiträgen (fast 3.000 Euro pro
Jahr) gerade mal 1.137 Euro als steuermindernd anerkannt werden.
Hallo, Politiker - Reformbedarf!
"Papa, komm!" Inzwischen sitze ich nicht mehr im Büro,
sondern am häuslichen Schreibtisch, der manchmal abends oder
am Wochenende als Zweitarbeitsplatz dient. "Paaapa, kooomm!"
Eigentlich müsste ich diesen Artikel zu Ende schreiben, aber
mein Sohn möchte heute nicht von Mama, sondern von mir die
Gute-Nacht-Geschichte hören. "Paaaaaaapa, koooooomm!" Na gut,
ich kann ja auch nachher noch weiterschreiben. So, da bin ich
wieder. Eine typische Situation. Als berufstätiger Vater
fühlt man sich oft hin- und hergerissen zwischen beruflichen
und familiären Ansprüchen. Ständiger Begleiter ist
das schlechte Gewissen: Entweder kommt die Arbeit zu kurz oder das
Kind - und die Partnerschaft sowieso. Von meinen Hobbies ganz zu
schweigen. Perfektionisten sollten lieber nicht Vater werden; sie
müssten mit zu vielen Kompromissen und Halbheiten leben.
Ich habe es immerhin einfacher als viele andere
berufstätige Väter. Als freiberuflicher Journalist kann
ich mir meine Arbeitszeit oft frei einteilen. Nach der Geburt
unseres Sohnes habe ich manchmal nachts meine Artikel geschrieben
und vormittags gleich nach dem Aufstehen recherchiert, wenn er
gerade an der Mutterbrust hing. Da saß ich dann unrasiert und
ungewaschen im Bademantel und telefonierte mit Politikerinnen und
Pressesprechern. Gut, dass sich das Bildtelefon noch nicht
allgemein durchgesetzt hat! Weil ich dann oft erst nach dem
Mittagessen ins Büro fuhr, fragte schon mal ein Nachbar meine
Frau: "Ist Ihr Mann arbeitslos?" Das war noch die Zeit, als wir uns
zu halbwegs gleichen Teilen für Kinderbetreuung und Haushalt
zuständig fühlten und es so auch praktizierten.
Mittlerweile ist daraus ein nur noch gefühlter Zustand
geworden. Zwar ist jeder von uns grundsätzlich weiterhin zu
gleichen Teilen für alles verantwortlich, aber im Alltag bin
ich jetzt doch viel länger im Büro als meine Frau in
ihrer Firma, und entsprechend mehr kümmert sie sich um Kind
und Kegel.
Fluchttendenz der Männer
Vielen Eltern geht es ähnlich (wenn sie nicht gerade, wie
ein Journalistenpaar aus meinem Kollegenkreis, einen
minutiösen Schichtplan mit Fifty-fifty-Zuständigkeit
entwickeln). Bald nach der Geburt wächst bei vielen
Männern der teils nur subjektiv empfundene, teils objektiv
vorhandene Druck, wieder verstärkt Geld zu beschaffen. Wenn
die Frauen dann abgestillt haben und ebenfalls wieder arbeiten
könnten, begnügen sie sich oft mit einer Teilzeitstelle.
Dabei könnten durchaus auch die Männer ihre Arbeit
reduzieren: Das neue Teilzeitgesetz von Ende 2000 gibt auch ihnen
einen Rechtsanspruch auf reduzierte Arbeitszeit, zumindest in
Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten und "soweit
betriebliche Gründe nicht entgegenstehen". Aber viele kennen
ihr Recht gar nicht, und selbst wenn, entscheiden sie sich doch
für das traditionelle Modell mit Haupternährer und
Dazuverdienerin. Finanziell mag das sinnvoll sein, wenn Frauen
schlechter bezahlt werden als Männer.
Oft steckt dahinter aber auch eine gewisse Fluchttendenz:
Solange die Kinder noch zu klein sind für Fußball und
Modelleisenbahn, ist es für viele Männer befriedigender
und bequemer, sich nur nach Feierabend um den Nachwuchs zu
kümmern und ansonsten den Alltagsstress mit den Kleinen den
Frauen zu überlassen. Wir leben also auch nicht sehr viel
anders als unsere oft kritisierten Vorfahren.
Nicht mal fünf Prozent aller heutigen Väter nehmen ihr
Recht in Anspruch, bis zu drei Jahre lang beruflich zu pausieren -
früher nannte man das schönfärberisch
"Erziehungsurlaub", mittlerweile heißt es "Elternzeit", wird
aber immer noch schlecht bezahlt (307 bis 460 Euro Staatsbeihilfe
pro Monat). Als freier Journalist hätte ich mir eine solche
Auszeit wahrscheinlich nicht leisten können, weil dadurch
meine Kontakte zu Informanten und Redaktionen bedroht worden
wären. Festangestellten dürfte der Ausstieg auf Zeit
leichter fallen, da sie einen Rückkehranspruch haben. Doch in
der Praxis haben auch sie vielfach Angst vor beruflichen
Nachteilen.
Zum Beispiel mein Bekannter T. Er ist noch ein halber Neuling
auf seiner Ingenieur-Stelle und möchte lieber nicht
ausprobieren, was passiert, wenn er jetzt Elternzeit beantragt.
Vaterschaft scheint in dieser Art Firmen nicht vorgesehen zu sein.
T. arbeitet 40 Stunden pro Woche, mit Fahrzeit sind es sogar 50.
Logisch, dass sich sein Baby oft nicht von ihm, sondern nur von
Mama trösten lässt. Die wiederum wird noch mehr ans Haus
gefesselt, obwohl sie selber einen hoch qualifizierten Beruf
erlernt hat. So geht es vielen Eltern, und irgendwann zerbricht
daran womöglich noch die Beziehung.
Manchmal geht es auch anders. Mein Kollege H., seit Jahren fest
angestellt bei einer Regionalzeitung, war so mutig, für
anderthalb Jahre in "Erziehungsurlaub" zu gehen. "Das war die
beglückendste und tollste Zeit, die ich je erlebt habe",
erzählt der 40-Jährige. "Ich wollte unbedingt erleben,
wie mein Kind aufwächst." Anders als er war sein Arbeitgeber
"nicht gerade freudig erregt" über die Auszeit, aber "er hat
nicht einmal versucht, mich davon abzubringen". Auch bei seinen
Kollegen hat keiner gesagt: "Nun ist der Mann total durchgeknallt!"
Seine Arbeit hat H. nicht ein einziges Mal vermisst. Denn: "Mein
Beruf, so leidenschaftlich und gerne ich ihn ausübe, ist nicht
das Maß aller Dinge - sondern Frau und Kind." Inzwischen
arbeitet er auf einer Dreiviertelstelle - und tut dem Arbeitgeber
womöglich noch einen Gefallen damit, denn die Firma wollte
sowieso Personalkosten einsparen.
Nicht alle Väter sind so uneingeschränkt
glücklich, wenn sie sich nur um ihren Nachwuchs kümmern.
Der Journalist Christian Nürnberger zum Beispiel hatte vor 14
Jahren seinen Job gekündigt, um sich ganz der
Säuglingspflege zu widmen. Ihn traf offenbar ein mittlerer
Schock, wie er kürzlich in der "Zeit" schrieb: "Statt eines
fröhlich glucksenden Babys hielt ich ein schreiendes
Triebbündel in der Hand, das jedem Versuch, es zu
zivilisieren, hartnäckig widerstand." Und doch würde er
es wieder tun: "Erst heute, wenn ich die Videos von damals angucke,
sehe ich, wie süß dieses Bündel damals war, und
bedauere, diese Zeit nicht genossen zu haben."
Fazit: Ob sich Männer mehr Zeit für ihren Nachwuchs
nehmen, hängt zwar teilweise von äußeren
Zwängen ab, aber auch von den persönlichen
Prioritäten und dem eigenen Durchsetzungsvermögen. Also,
liebe Geschlechtsgenossen: Nur Mut!
Eckhard Stengel
Der Autor (49) lebt als freier Journalist in Bremen und ist seit
August 2000 Vater eines Sohnes.
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