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Karl-Otto Sattler
Auch die Kleinen wollen ernst genommen
werden
Die Kinderkommission des Bundestages engagiert
sich für die Belange der ganz Jungen
Den wachsamen Augen des Adlers entgeht Ingrid Fischbach nie. Im
Büro der Bundestagsabgeordneten sitzt der Stoffvogel auf der
Rückenlehne eines Sofas und beobachtet genau, ob die
Vorsitzende der Kinderkommission ihren Auftrag auch entschieden
wahrnimmt. "Das ist unser Maskottchen", lächelt die
CDU-Politikerin. Unter dessen Blick geht Fischbach zu einem Regal
und greift nach der "Schatzkammer des Zaren" und anderen
Märchenbüchern: "Aus diesen Werken werde ich im Herbst
bei den Berliner Märchentagen vorlesen." Die Förderung
von Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben bei Kindern gehört
zu den Aufgaben, denen sich der nur vierköpfige Ausschuss
verschrieben hat. Da will Fischbach persönlich mit gutem
Beispiel vorangehen.
Vorrangig dreht es sich bei der Arbeit dieses einem breiten
Publikum kaum bekannten Gremiums natürlich um Politik. Bei
Hearings, ein Beispiel, wird die Gesundheitsversorgung von Kindern
erörtert: Als Erfolg diverser Initiativen zu diesem Thema
verbucht es die Parlamentarierin, dass die "Kiko", wie die
Kommission im Polit-Jargon abgekürzt wird, im
Arzneimittelrecht eine bessere Prüfung von Medikamenten auf
Kindertauglichkeit habe verankern können. Und dass Autofirmen
an ihren Fahrzeugen auf "Bullenfänger" verzichten wollen, die
als gefährlich für die Kleinen gelten, rechnet die
CDU-Frau auch dem Drängen ihres Ausschusses zu.
Gleichwohl: Richtig handfeste politische Siege sind nur schwer
dingfest zu machen. Fischbach: "Spektakuläre Knaller
können wir nicht präsentieren." Die Vorsitzende spricht
von einem "eher indirekten Einfluss", vom steten Bemühen um
eine stärkere Sensibilisierung der Kollegen im Bundestag und
der Ministerien wie der Öffentlichkeit für die Belange
von Kindern. Das Dilemma: Die Kommission hat kein Antragsrecht in
der Volksvertretung, man kann Resolutionen verabschieden, kann mit
so genannten Beschlussempfehlungen zu Gesetzesvorlagen Stellung
nehmen - aber das hat eben keine politisch-juristische
Verbindlichkeit. Über die Einführung eines Antragsrechts
für die "Kiko", also eines zentralen Hebels im
parlamentarischen Betrieb, "sollte man mal nachdenken", meint
Fischbach. Aber jenseits formeller Strukturen und Kompetenzen kann
man ja eigene Aktivitäten entfalten. So machten beim Ausschuss
eingehende Emails die Abgeordneten darauf aufmerksam, dass Kordeln
an Anoraks Verletzungsrisiken für Kinder in sich bergen: Man
wurde in dieser Frage bei den Produzenten vorstellig, und die
sagten eine Lösung des Problems zu.
Intensive Diskussionen
Die Kinderkommission, die sich um die Interessen des Nachwuchses
bis zum Alter von 14 Jahren kümmert, fällt aus dem Rahmen
des politischen Alltags im Bundestag. Gerade mal vier
Parlamentarier sitzen in diesem Unterausschuss des
Familienausschusses, die Fraktionen entsenden ihre jeweiligen
Kinderbeauftragten: Neben Fischbach sind dies Marlene Rupprecht
für die SPD, Ekin Deligöz für die Grünen und
Klaus Mann für die FDP. Die Vierertruppe wechselt sich im
Vorsitz ab. Alle Beschlüsse müssen einstimmig gefasst
werden, "das ist so eine Art permanente Große Koalition",
merkt die Vorsitzende mit leichter Ironie an. Der Zwang zum Konsens
führt zu intensiven Diskussionen und gemeinsam getragenen
Vorschlägen, bringt aber auch Komplikationen mit sich: Driften
die politischen Konzepte bei einem Thema weit auseinander, so wird
ein einvernehmliches Vorgehen schwierig. Die Kinderarmut ist so ein
Beispiel: Strategien zu deren Bekämpfung spielen
zwangsläufig in die Steuer-, Sozial- und Familienpolitik
hinein, und da haben die Parteien recht unterschiedliche, wenn
nicht gar gegensätzliche Positionen.
Im Parlament selbst sieht das Mini-Team seine wichtigste Aufgabe
darin, bei bundesrechtlichen Vorschriften die Auswirkungen auf
Kinder zu überprüfen und Änderungsvorschläge zu
machen. Der Kommission fiel etwa auf, dass bei der Berechnung der
Fallpauschalen, mit denen die Kassen den Kliniken ihre Leistungen
vergüten, kindspezifische Aspekte außer acht gelassen
worden waren: Beispielsweise können die Kleinen anders als
Erwachsene in einem Krankenhaus nicht allein über die Flure
zur Röntgenabteilung geschickt werden, sondern benötigen
eine Begleitung durchs Personal - was dann bei der Klinik als
Kostenfaktor zu Buche schlägt. Aufsehenerregend sind solche
Details wahrlich nicht. Fischbach: "Es sind eben die vielen kleinen
Dinge, die unsere Arbeit ausmachen."
Wer sich mit Kinderpolitik befasst, engagiert sich
zwangsläufig auch für eine gute Bildung und für eine
ausreichende Betreuung des Nachwuchses im Vorschulalter: Da vermag
ein Bundestagsausschuss freilich kaum Einfluss zu nehmen, diese
Fragen fallen schließlich in die Zuständigkeit der
Länder - "da können wir letztlich nur appellieren", meint
die Abgeordnete.
In den bei der "Kiko" eingehenden Emails schlummern immer mal
wieder Themen, die aufgegriffen werden. Meist werden diese
Botschaften von Eltern oder Verbänden verfasst, zuweilen
schreiben aber auch Kinder selbst. Da kritisieren Schüler die
unzureichende Ausstattung ihrer Bildungsstätte mit
Lehrmaterial und fragen an, ob die Kommission nicht mal ein paar
Bücher besorgen könne. Eine Klasse erhofft sich Hilfe
gegen die geplante Abschiebung zweier Kameraden in deren
ausländisches Heimatland. Im elektronischen Briefkasten fand
sich auch dieses Email: "Könnt Ihr unseren Lehrern nicht mal
sagen, wie man einen spannenden Unterricht macht?" Eine Schule soll
geschlossen werden, und gegen das drohende Aus möchten die
Betroffenen gern die Vier vom Bundestag mobilisieren. Über
Mitteilungen dieser Art wurde das Gremium auch auf ein diffiziles
Problem aufmerksam: Kinderarbeit ist verboten, aber nicht selten
will sich jemand das Taschengeld aufbessern - und wo ist da die
Grenze zu ziehen? Manche dieser Anliegen fallen nicht in die
Kompetenz der Kommission: Dann werden Anfragen an die
zuständigen Stellen weitergeleitet, manchmal hängen sich
die Abgeordneten auch selbst ans Telefon, wenn dies sinnvoll
erscheint.
"Wir müssen Kinder als Person ernst nehmen." So formuliert
Fischbach eine zentrale Richtschnur für die politische Arbeit
der Kommission. Dieses Motiv steht auch hinter der für den
Herbst avisierten Präsenz des Gremiums auf der Frankfurter
Buchmesse: Dort wollen die vier Parlamentarier Verlage für die
Idee gewinnen, Kinderbücher verstärkt von Kindern selbst
schreiben zu lassen.
Kinder ernst nehmen: Da spielen auch altersgerechte
Mitbestimmungsmöglichkeiten des Nachwuchses eine Rolle. Der
Bundestagsausschuss macht sich deshalb für Kinder- und
Jugendparlamente von Kommunen bis zu höheren politischen
Ebenen stark. "Aber das dürfen nicht bloß Pseudorechte
sein", betont Fischbach: Vorschläge und Forderungen von
Kindern müssten sich auch in den konkreten politischen
Entscheidungen niederschlagen, etwa bei der Gestaltung von
Spielplätzen oder bei der Ausformung von Verkehrskonzepten.
Karl-Otto Sattler
Karl Otto Sattler ist freier Journalist und lebt in Berlin.
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