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Martina Fietz
Keimzelle der Gesellschaft stärken
Vom Lastenausgleich zum
Leistungsausgleich
Das Thema Familie hat Konjunktur. Kein Politiker, der nicht
Kinder als die Zukunft der Gesellschaft preist. Kein Medium, das
sich nicht in irgendeiner Form mit den vielen Facetten des
Kindseins in Deutschland befasst. Doch aus der Nische, in der sie
jahrelang ihr Dasein fristeten, rückten Eltern und Kinder
nicht, weil endlich der Sinn dafür erwacht wäre, dass
Familien eine besonders zu pflegende Keimzelle der Gesellschaft
sind. Die Dringlichkeit, die das Thema gegenwärtig
erfährt, gründet eher in der demographischen Entwicklung
und hat damit in erster Linie eine ökonomische Dimension: Die
Deutschen werden immer älter. Es gibt zu wenig junge Menschen,
um den Bestand der sozialen Sicherungssysteme zu
gewährleisten, um hinreichend Nachwuchs für den
Arbeitsmarkt zu generieren. Überwiegend ökonomisch wird
auch die Debatte darüber geführt, wie die Geburtenrate
stimuliert werden kann. Zumindest was das Vokabular anbelangt, hat
sich der Grundtenor positiv gewandelt: Der Familienlastenausgleich
wurde zum Familienleistungsausgleich.
Der Begriff scheint jedoch so ziemlich der einzige Konsens in
der Debatte. Die Wirtschaftsforschungsinstitute etwa sind sich
nicht einig, ob Bürger, die Kinder erziehen, finanziell
angemessen behandelt werden oder nicht. Während das Kieler
Weltwirtschaftsinstitut lobend hochrechnet, der Staat wende
jährlich rund 150 Milliarden Euro für Familien auf - von
der Bildung bis zu Steuervergünstigungen -, kommt das
Münchner ifo-Institut zu dem Schluss, die Familien hätten
in zwölf Jahren rund 33 Milliarden zu viel an Steuern gezahlt.
Fest steht so viel: Ein Kind schlägt nach Erhebungen des
Statistischen Bundesamtes monatlich mit rund 670 Euro an Kosten zu
Buche. Hochgerechnet auf 18 Jahre summieren sich die Ausgaben
danach auf 145.000 Euro. Für das Studium oder die finanzielle
Unterstützung bei der Ausbildung kann noch einmal die
Hälfte hinzu gerechnet werden. Davon trägt die
öffentliche Hand nach den Angaben des sechsten
Familienberichts etwa 25 Prozent. Der Rest bleibt für die
Eltern.
Einkommensdifferenzen durch Kinder
Deren Einkommen aber sinkt mit der Geburt des ersten Kindes. Das
Statistische Landesamt in Baden-Württemberg errechnete 2002,
dass kinderlose junge Ehepaare mit 2.387 Euro durchschnittlich
über 376 Euro mehr verfügen als junge Familien. Eine
Ursache für die Einkommensdifferenzen ist die Aufgabe
beziehungsweise Einschränkung der Berufstätigkeit -
zumeist immer noch der Mutter. Kinderlose Partner sind zu 90
Prozent beide erwerbstätig, Eltern nur noch zu 70 Prozent,
wobei der Anteil weiter sinkt, je mehr Kinder geboren werden.
Um diese strukturellen Nachteile von Familien gegenüber
Kinderlosen abzubauen, wurden seit den 80er-Jahren die gesetzlichen
Leistungen verbessert. Die Liste ist lang und viel versprechend:
Kindergeld, Kinderfreibetrag, Erziehungsgeld, Anerkennung von
Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung, um nur einige zu
nennen. Der Staat greift tief in seine Kassen: 1982 erhielt eine
Familie mit drei Kindern über das Kindergeld insgesamt 179
Euro monatlich an Zuwendungen. Im Jahr 2000 gingen 737 Euro an eine
dreiköpfige Familie an Kindergeld und Erziehungsgeld, also 558
Euro monatlich mehr als zu Beginn der 80er-Jahre.
Das ließe vermuten, dass die Benachteiligung der Familien
zwischenzeitlich ausgeglichen wurde. Doch der Schein trügt.
Einige der Transferleistungen werden mittlerweile sehr selektiv
gezahlt. Das Erziehungsgeld beispielsweise wurde seit 1986 nicht
mehr erhöht und geht nur noch an Geringverdiener. Für
Familien mit drei Kindern liegt das Kindergeld mittlerweile bei 462
Euro. Die baden-württembergische Studie kann eine weitgehende
Angleichung der Lebensverhältnisse für ihren
Untersuchungszeitraum ebenfalls nicht bestätigen. Es zeige
sich, "dass die strukturelle Schlechterstellung der Familien nicht
behoben werden konnte". Familien mit einem Kind verfügen pro
Kopf über all die Jahre relativ konstant über etwa 60 bis
63 Prozent des Einkommens kinderloser Ehepaare. Familien mit zwei
Kindern liegen bei etwa der Hälfte, mit drei Kindern bei rund
40 Prozent.
Mahnung des Verfassungsgerichts
Seit Beginn der 90er-Jahre hat das Bundesverfassungsgericht
wiederholt den Gesetzgeber zum Handeln im Interesse der Familien
ermahnt. In der Folge wurde beispielsweise das Existenzminimum
unterhaltspflichtiger Kinder steuerfrei gestellt. Die Deutsche
Bundesbank errechnet in ihrem nach wie vor aktuellen Monatsbericht
von April 2002, dass dieser verfassungsrechtlich notwendige
Freibetrag etwa für das Jahr 2000 Steuerausfälle von 20,5
Milliarden Euro zur Folge hatte. Dabei handelt es sich jedoch nicht
um wohltätigen Verzicht des Staates zugunsten der Familien. Er
hat auf die ihm vermeintlich entgangenen Summen keinen Anspruch,
denn der Steuerfreibetrag ist die Folge des im Grundgesetzartikel
20 festgelegten Sozialstaatsprinzips, wodurch das Existenzminimum
garantiert wird.
Überhaupt ist bei der Liste der Transferleistungen ebenso
wie bei den Ausgaben für Betreuungs- und Bildungsausgaben -
von der Versorgung der unter Dreijährigen, dem Rechtsanspruch
auf einen Kindergartenplatz bis hin zum BAFöG - zu
berücksichtigen, dass diese aus staatlichen Einnahmen und
damit zu einem erheblichen Teil von Familien mit Kindern selbst
aufgebracht werden. Die Bundesbank errechnet, "dass Haushalte, in
denen im Jahr 2000 Kinder lebten, die ihnen gewährten
Vergünstigungen zu etwa einem Drittel selbst finanzierten".
Verbrauchssteuern wie die Mehrwertsteuer schlagen natürlich
wegen des hohen Konsumbedarfs bei Familien stärker zu Buche.
Gleiches gilt für die Ökosteuer, die der Gesetzgeber
obendrein eingeführt hat, um die Rentenbeiträge
überschaubar zu halten - wovon Kinderlose ebenso profitieren
wie Eltern. Abgesehen davon: Die jüngste Debatte um die
Beiträge von Kinderlosen zur Pflegeversicherung hat gezeigt,
wie die desolate Haushaltslage die politische Phantasie
beflügelt. Um der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts
gerecht zu werden, wonach die Familien bei der Beitragszahlung zur
Pflegeversicherung besser gestellt werden müssen, wurde eine
Beitragserhöhung für Kinderlose in den Blick
genommen.
Die hessische Landesregierung kommt in einer Studie unter dem
Titel "Muss die Familienpolitik neue Wege gehen?" zu dem Schluss,
erforderlich sei eine familienpolitische Strukturreform des
Sozialstaates: "Familien müssen in den Stand versetzt werden,
ihre Kinder aus dem selbst erwirtschafteten Einkommen zu
unterhalten, statt in die Rolle von Almosenempfängern
gedrängt zu werden." Mittlerweile würden rund drei
Viertel aller staatlichen Einnahmen über
Sozialversicherungsbeiträge und indirekte Steuern erhoben.
Beides sei familienfeindlich. Obwohl sich die Geburtenzahlen seit
den Wirtschaftswunderjahren fast halbierten und der Anteil der
Sozialausgaben verdoppelte, habe sich die materielle Situation
vieler Familien nicht etwa verbessert, sondern verschlechtert.
Frankreichs Familienkasse gefüllt
Wie es besser gehen kann, macht beispielsweise Frankreich vor.
Der Nachbar im Westen hat eine gut gefüllte Familienkasse mit
einer Vielzahl von Transferleistungen gepaart mit einem
Steuersystem, in dem das zu versteuernde Einkommen nicht für
den Haushalt, sondern pro Kopf berechnet wird. Jedes Kind
verringert die Steuerschuld - und hat obendrein auch gute
Aussichten auf einen Betreuungsplatz, was zu einer hohen
Beschäftigungsquote von Müttern führt. Das Ergebnis:
Die Franzosen stehen mit ihrer Geburtenrate von 1,9 Kindern pro
Frau weit über dem europäischen Durchschnitt von 1,5.
Deutschland dagegen hat eine Geburtenrate von 1,35 - eine der
niedrigsten in der Welt- und Platz 185 von 190 erfassten
Ländern. Martina Fietz
Die Autorin ist Parlamentarische Korrespondentin von "Cicero"
und lebt in Berlin.
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